EuGH, C 159/23: Schlussanträge des Generalanwalts vom 25.4.2024

Schutz von Computerprogrammen: Zulässigkeit von „Schummelsoftware“ (cheat software)

Soll die Entwicklung und Verwendung von Programmen, die ein Spiel erleichtern, indem sie bestimmte von dessen Urheber entworfene Schwierigkeiten umgehen, und die gemeinhin als „Schummelsoftware“ (cheat software) bezeichnet werden, ohne die Zustimmung der Inhaber der Urheberrechte an diesen Spielen erlaubt sein? Der Generalanwalt ist der Ansicht, dass die Richtlinie über den Rechtsschutz von Computerprogrammen nicht zum Schutz vor cheat software herangezogen werden kann.

Der Sachverhalt:
Die Sony Computer Entertainment Europe Ltd (im Folgenden: Sony) vertreibt als exklusiver Lizenznehmer für Europa PlayStation-Spielkonsolen sowie Spiele für diese Konsolen. So vertrieb Sony bis zum Jahr 2014 u. a. die PlayStationPortable (PSP) und das für diese Konsole konzipierte Spiel „MotorStorm: Arctic Edge“. Die Gesellschaften Datel Design and Development Ltd und Datel Direct Ltd (im Folgenden gemeinsam: Datel) entwickeln, produzieren und vertreiben Software, insbesondere Zusatzprodukte für Sonys Spielkonsolen, darunter die Software „Action Replay PSP“ sowie ein Gerät namens „Tilt FX“, mit dem die PSP durch Bewegung im Raum gesteuert werden kann. Datels Software funktioniert ausschließlich mit den Originalspielen von Sony. Nach dem Neustart der PSP kann der Nutzer auf dieser Konsole eine zusätzliche Registerkarte auswählen, mit der er Änderungen an den Sony-Spielen vornehmen kann.

In der ersten Instanz des Ausgangsverfahrens beantragte Sony im Wesentlichen, Datel zu untersagen, seine Software, die für den Einsatz mit Sony-Spielen und -Konsolen bestimmt ist, zu vertreiben. Das LG gab den Anträgen von Sony teilweise statt. Dieses Urteil wurde jedoch vom OLG Hamburg abgeändert, das die Klage von Sony in vollem Umfang abwies.

Der BGH hat das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem EuGH u.a. die Frage vorgelegt, ob in den Schutzbereich eines Computerprogramms nach Art. 1 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2009/24 eingegriffen wird, wenn nicht der Objekt- oder Quellcode eines Computerprogramms oder dessen Vervielfältigung verändert wird, sondern ein gleichzeitig mit dem geschützten Computerprogramm ablaufendes anderes Programm den Inhalt von Variablen verändert, die das geschützte Computerprogramm im Arbeitsspeicher angelegt hat und im Ablauf des Programms verwendet.

Der Generalanwalt ist der Ansicht, dass Art.1 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen dahin auszulegen ist , dass sich der durch diese Richtlinie nach dieser Bestimmung gewährte Schutz nicht auf den Inhalt von Variablen erstreckt, die das geschützte Computerprogramm im Arbeitsspeicher des Computers angelegt hat und die es im Ablauf dieses Programms verwendet, wenn ein anderes Programm, das zur gleichen Zeit wie das geschützte Computerprogramm abläuft, diesen Inhalt verändert, ohne dass der Objektcode oder der Quellcode des letztgenannten Programms verändert wird.

Die Gründe:
Sowohl nach dem Unionsrecht als auch nach dem für die Union geltenden Völkerrecht sind Computerprogramme als Werke der Literatur im Sinne der Berner Übereinkunft zu schützen. Jedoch kann ein Computerprogramm zwar in Form eines „Texts“ vorliegen, d. h. einer Liste von Anweisungen, die vom Computer auszuführen sind, doch ist es in vielerlei Hinsicht ein spezifischer Text, der keiner anderen Kategorie von literarischen Werken ähnelt.

In der vorliegenden Rechtssache geht es um die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der unionsrechtliche Schutz von Computerprogrammen über den Text selbst hinausgehen kann. Mit anderen Worten: Wie weit kann der Begriff „Text“ im Fall solcher Programme ausgedehnt werden? Konkret geht es im Zusammenhang mit Videospielen um die Frage, ob Dritten die Entwicklung und Nutzern die Verwendung von Programmen, die ein Spiel erleichtern, indem sie bestimmte von dessen Urheber entworfene Schwierigkeiten umgehen, und die gemeinhin als „Schummelsoftware“ (cheat software) bezeichnet werden, ohne die Zustimmung der Inhaber der Urheberrechte an diesen Spielen erlaubt ist.

Die in der vorliegenden Rechtssache aufgeworfenen Fragen gehen jedoch über den engeren Bereich der Videospiele hinaus, da Software, die es ermöglicht, Computerprogramme auf eine Weise zu nutzen, die von ihrem ursprünglichen Design abweicht, auch in anderen Bereichen vorkommen kann.

Mehr zum Thema:

Kurzbeitrag:
BGH: Vorlagefragen zu Cheat-Software
Brian Scheuch, ITRB 2023, 85

Kurzbeitrag:
BGH: Vertrieb von Bot-Programmen für World of Warcraft unzulässig
Matthis Grenzer, CR 2017, R15

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 29.04.2024 14:36
Quelle: EuGH online

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