These 1: Effekt auf die Nutzung
„Die Drosselung der Verbindungsgeschwindigkeit von Breitband-Internetanschlüssen bei Erreichen einer bestimmten Volumengrenze auf teilweise weniger als 1% der ungedrosselten Verbindungsgeschwindigkeit schränkt die Nutzungsmöglichkeiten in einer Art und Weise ein, die für viele Nutzungsszenarien einer Abschaltung des Internetzugangs gleichkommt.“
Nach derzeitigen Plänen sieht die Deutsche Telekom AG nach Verbrauch des Inklusivvolumens eine Absenkung der Verbindungsgeschwindigkeit auf einheitlich 384 Kbit/s vor. Dies erlaubt im Idealfall das Übertragen von 48 KByte/s (ausführlich Hausen, „Ist der Versuch der Deutschen Telekom, Volumengrenzen bei Breitband-Internetanschlüssen jetzt vertraglich festzuschreiben aber erst 2016 umzusetzen, zum Scheitern verurteilt?“, CRonline Blog v. 25.4.2013). Doch was bedeuten 48 KByte/s in der Praxis?
E-Mail, Musik und einzelne Seiten von Websites
Während der Empfang und der Versand von E-Mails ohne große Dateianhänge oder das Streamen von komprimierter Musik (z.B. von MP3-Dateinen kodiert mit 128 Kbit/s) ohne merkliche Verzögerung möglich sein dürfte, führt schon der gewöhnliche Abruf einer Website (einer einzelnen Seite einer Website) zu deutlichen Verzögerungen im Seitenaufbau. So beträgt nach aktuellen Zahlen des HTTP Archive die durchschnittliche Größe der einzelnen Seite einer Website mittlerweile mehr als 1 Mbyte bei einer jährlichen Steigerungsrate von 24% („Page weight grows 24% year-over-year“, Stevesaunders.com v. 5.4.2013). Das bedeutet: Der Abruf einer einzelnen Website dauert nicht weniger als 25 Sekunden.
Fotos, Videomaterial und Streaming
Drastischer wirkt sich die Drosselung beim Versand oder Abruf von Fotos aus. Das Foto einer durchschnittlichen Digitalkamera mit 8 Megapixel-Sensor hat bei Einsatz der gängigen JPEG-Kompression eine Größe von ca. 4-5 Mbyte. Die Übertragung dauert bei 48 KByte/s mehr als 90 Sekunden für ein einzelnes Foto. An ein Streaming von Videos aus dem Internet ist mit 48 KByte/s nicht zu denken; dies gilt nicht nur für hochauflösende Videos (z.B. die HD-Formate 1280*720 oder 1920*1080 Bildpunkten) sondern bereits für Videomaterial in Standardauflösung (z.B. 768*576 Bildpunkten nach dem PAL-Standard).
Software-Updates
Weiter ist im Rahmen der gefühlten Geschwindigkeit eines gedrosselten Internetzugangs zu bedenken, dass im Unterschied zum Mobilfunkbereich, die Updateroutinen von Software auf PCs für ein kontinuierliches Datenaufkommen sorgen. Der Virenscanner möchte mehrmals täglich mit Signatur-Updates versorgt werden, Oracle Java- und Adobe Flash-Updates sollten schon aus Sichergründen zeitnah eingespielt werden. Microsoft veröffentlicht einmal monatlich Sicherheitsupdates für ihre Betriebssysteme, die standardmäßig automatisch heruntergeladen werden. Dieses „Hintergrundrauschen“ sorgt dafür, dass in großem Umfang selbst an sich bandbreitenschmale Dienste wie z.B. E-Mail und Musik-Streaming u.U. nicht oder nicht mehr ohne spürbare Verzögerung genutzt werden können.
These 2: Informationspflicht
„Klärt der TK-Anbieter seine Kunden nicht hinreichend über die Auswirkungen einer Drosselung auf die Nutzungsmöglichkeiten des Internetzugangs auf, so kann darin eine unangemessene Benachteiligung des Kunden liegen und eine Drosselung unzulässig sein.“
Eine – auch drastische – Reduzierung der Verbindungsgeschwindigkeit bei Erreichen einer Volumengrenze kann der TK-Anbieter mit seinem Kunden grundsätzlich wirksam vereinbaren. So hat der Kunde keinen Rechtsanspruch darauf, gegen pauschale Vergütung zu einer festen Verbindungsgeschwindigkeit zeit- und volumenunabhängig surfen zu dürfen, noch darauf, nach Erreichen einer vereinbarten Volumengrenze ohne zusätzliche Kosten – wenn auch zu geringerer Bandbreite – weitersurfen zu dürfen. Aber gerade dieses vermeintliche Entgegenkommen des TK-Anbieters, den Internetanschluss nicht vollständig abzuschalten, sondern „nur“ zu drosseln und damit zumindest eine, wenn auch sehr eingeschränkte Funktionalität, aufrechtzuerhalten (siehe These 1 oben) verleitet dazu, den Kunden im Unklaren darüber zu lassen, welche Auswirkungen das Überschreiten des inkludierten Übertragungsvolumens in der Praxis hat.
Werbebotschaft des TK-Anbieters
Sollte der TK-Anbieter das bis zum Erreichen der Volumengrenze nutzbare Datenvolumen als „Highspeed-Volumen“ vermarkten (diese Begrifflichkeit verwendet z.B. die Deutsche Telekom AG: “Telekom ändert Tarifstruktur fürs Festnetz”, Pressemitteilung der Telekom vom 22.4.2013), so erweckt dies den Eindruck, dass nach Verbrauch des Inklusivvolumens jedenfalls weiterhin ein Surfen mit „normaler“ Geschwindigkeit möglich sei. Dies ist aber bei einer Drosselung auf 384 Kbit/s nicht der Fall (siehe These 1 oben).
Intransparenz
Darin kann eine rechtlich relevante unangemessene Benachteiligung des Kunden zu sehen sein, wenn sich aus der Leistungsbeschreibung bzw. den AGB nicht hinreichend transparent ergibt, welche wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen für einen durchschnittlichen Vertragspartner mit der Drosselung der Verbindungsgeschwindigkeit verbunden sind, vgl. BGH v. 7.12.2010 – XI ZR 3/10.
These 3: IT-Sicherheit
„Eine Drosselung der Verbindungsgeschwindigkeit von Festnetz Breitband-Internetanschlüssen auf 384 Kbit/s ist dazu geeignet, die IT-Sicherheit in erheblichem Maße zu gefährden.“
Es liegt nicht fern jeglicher Lebenserfahrung, dass ein stark gedrosselter Internetzugang dazu führt, dass sicherheitskritische Betriebssystem-Updates oder Sicherheitsaktualisierungen von Anwendungssoftware nicht oder zeitlich stark verzögert heruntergeladen und eingespielt werden.
Einzelrechner: Muss das Patchen einer bereits aktiv ausgenutzten Sicherheitslücke im Betriebssystem mit dem Streaming des Lieblingsmusikstücks konkurrieren, ist abzusehen, welchem der (unbedarfte) Anwender den Vorzug geben wird.
Botnetze: Unsichere Rechner stellen nicht nur eine Gefahr für den Nutzer des betroffenen Rechners dar, sondern auch für andere, denn solche Rechner werden auch zum Aufbau von Botnetzen missbraucht, die wiederum andere Rechner und (E-Commerce-)Plattformen im Internet attackieren können.
These 4: Cloud-Dienste und Online-Werbebranche
„Setzt sich die Drosselung von Internetzugängen im Festnetz am Markt durch, so bremst dies das Wachstum von Cloud-Diensten, einem der wesentlichen Wachstumsmotoren für die digitale Wirtschaft. Auch werden werbefinanzierte Internet-Dienste von einer Drosselung stark betroffen.“
Die Cloud und darauf aufsetzende Dienstleistungen sind seit ein paar Jahren in aller Munde. Der BITKOM rechnet vor, dass der Umsatz mit Cloud-Services für Privat-Kunden im laufenden Jahr um 39% auf 3,2 Milliarden und bis 2016 auf 6,4 Milliareden wächst („Umsatz mit Cloud Computing steigt auf fast 8 Milliarden Euro“, BITKOM v. 6.3.2013). Cloud-Dienste leben aber wesentlich davon, dass ihre Nutzer mit einer ausreichenden Bandbreite „always on“ sind. Muss der Nutzer von Cloud-Diensten zukünftig monatlich u.U. mehrfach Datenvolumen nachkaufen, um etwa weiter seine Daten in der Cloud speichern oder von dieser abrufen zu können, so bremst dies die weitere Verbreitung von Cloud-Diensten erheblich.
Die Einführung von Volumenobergrenzen dürfte auch spürbare Auswirkungen auf die Internet-Werbebranche haben. Denn dann werden mehr Anwender Werbeblocker wie z.B. AdBlockPlus einsetzen, damit das integrierte Datenvolumen nicht durch Werbeeinblendungen verbraucht wird.
These 5: Leistungsgerechtere Vergütung
„Der von TK-Anbietern erhobenen Forderung nach einer leistungsgerechten Vergütung kann anstatt durch die Einführung von Volumenobergrenzen auch durch die Einführung von preislich stärker ausdifferenzierten Flatrate-Tarifen Rechnung getragen werden.“
Einer der Gründe, die für die Einführung von Volumenobergrenzen vorgebracht werden ist, dass es einen niedrigen einstelligen Prozentsatz an Intensivnutzern gäbe, die einen ca. 10- bis 20-mal höheren Datenverbrauch haben als der durchschnittliche Nutzer und so die Normalnutzer die Intensivnutzer mitfinanzieren würden (siehe offener Brief des Vorstandsvorsitzenden René Obermann an Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Dr. Philip Roesler v. 25.4.2013).
Realitätsnahe Preisstaffel statt Drossel
Der Wunsch, Intensivnutzer stärker zur Kasse zu bitten, ist nachvollziehbar und könnte ohne die Einführung von Datenobergrenzen umgesetzt werden. Als Differenzierungsmerkmal böte sich – wie bisher – die zur Verfügung gestellte Bandbreite an, wobei die Preisdifferenzierung zwischen den unterschiedlichen Bandbreiten anders ausfallen müsste als dies heute der Fall ist. So fallen die Aufpreise für eine höhere Bandbreite zum Teil sehr gering aus:
- So erhält der Kunde bei der Deutschen Telekom AG anstatt „VDSL mit 25 MBit/s“ eine Verdoppelung auf „VDSL mit 50 MBit/s“ bereits für einen Aufpreis von nur 5 Euro auf den Grundpreis von ca. 40 Euro.
- Bei der 1&1 Internet AG sieht das Bild ähnlich aus. Für nur 5 Euro Aufpreis (gegenüber dem Grundpreis von ca. 35 Euro) erhält man statt eines DSL-Anschlusses mit 16.000 Kbit/s einen mehr als doppelt so schnellen VDSL-Anschluss mit 50 Mbit/s.
Der Aufpreis steht damit aus Sicht der TK-Anbieter in keinem angemessenen Verhältnis zur größeren Bandbreite und dem damit in der Regel einhergehenden höheren Datenverbrauch. Denn wenn man einen sehr breitbandigen Internetzugang hat, dann möchte man den auch nutzen und z.B. Videos auf Youtube nicht in der Standardauflösung, sondern in voller HD-Auflösung ansehen.
Warum TK-Anbieter Drosselung vorziehen:
Dass deutsche TK-Anbieter anstatt einer Anhebung der Preise für sehr breitbandige Internetanschlüsse eher den Weg einer Drosselung für alle wählen könnten, zeichnet sich spätestens seit der Ankündigung der Deutschen Telekom AG vom 22.4.2013 ab. Nur eine Drosselung schafft die Voraussetzungen für TK-Anbieter mittelfristig höhere Einkünfte zu erzielen, als dies mit einer pauschalen Preisanhebung für sehr breitbandige Internetanschlüsse möglich wäre. Das Stichwort lautet Next Generation Network (NGN) (siehe Sietmann, „Der stille Machtkampf“, c’t 24/09). NGN versprechen durch die Einführung von Diensteklassen mit garantierten Bandbreiten neue Erlösquellen für TK-Anbieter, die den Profit nicht alleine den Inhalteanbietern im Internet überlassen wollen (siehe „Telekom: Flatrate-Kappung für alle Kunden, Managed Services für alle Anbieter“, Heise Online v. 2.5.2013). Dies ist verständlich, wirft aber Fragen der Netzneutralität auf, für die zuvorderst auf politischer Ebene eine Lösung gefunden werden muss (dazu Hausen, „Ist der Versuch der Deutschen Telekom, Volumengrenzen bei Breitband-Internetanschlüssen jetzt vertraglich festzuschreiben aber erst 2016 umzusetzen, zum Scheitern verurteilt?“, CRonline Blog v. 25.4.2013).