Grundsatz: Freie Rechtswahl
Soweit es – etwa bei einem Sozialen Netzwerk – um die Ausgestaltung eines privaten Rechtsverhältnisses (Vertrages) geht, gilt nach Art. 3 Abs. 1 ROM-I-VO der Grundsatz der freien Rechtswahl. Den Parteien steht es daher frei, für ihr Rechtsverhältnis die Anwendung deutschen Datenschutzrechts oder auch des Datenschutzrechts eines anderen Staates zu vereinbaren.
Drei Einschränkungen bei der Wahl ausländischen Rechts
1. Keine Rechtswahl zum Nachteil eines Verbrauchers:
- Zwingendes Recht: Unabhängig von der getroffenen Rechtswahl kann sich der Verbraucher gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ROM-I-VO auf die zwingenden Bestimmungen des Rechts des Staates berufen, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn sein Vertragspartner ein Unternehmer ist, der entweder seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Aufenthaltsstaat des Verbrauchers ausübt (Art. 6 Abs. 1 lit. a ROM-I-VO) oder eine solche Tätigkeit jedenfalls (auch) auf den Aufenthaltsstaat des Verbrauchers ausrichtet (Art. 6 Abs. 1 lit. b ROM-I-VO).
- Ein „Ausrichten“ einer Website auf inländische Verbraucher gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b ROM-I-VO liegt vor, wenn für den inländischen Verbraucher erkennbar ist, dass sich die Website auch an inländische Kunden richtet. Kriterien sind etwa Sprache, Ansprechpartner oder die Ausrichtung der Vertragsbedingungen auf das Inland (vgl. Borges, Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr, S. 712; Rüßmann, K&R 1998, 129, 134, a.A. Thorn in Palandt, Art. 6 ROM-I Rdnr. 6). Die „Zugänglichkeit einer Website“ allein ist jedenfalls nicht ausreichend für eine „Ausrichtung“ auf inländische Verbraucher (Erwägungsgrund 24 der ROM-I-VO). Ebenso wenig lässt sich schon aus der Aufnahme einer Rechtswahlklausel in die eigenen AGB auf ein „Ausrichten“ der Website auf Kunden schließen, die sich nicht im Heimatland des Anbieters aufhalten (vgl. LG Hamburg, Urt. v. 6.1.2011 – 327 O 779/10, Rz. 68).
- Art. 6 ROM-I-VO macht von dem Grundsatz der freien Rechtswahl nach Art. 3 ROM-I-VO keine Ausnahme (Thorn in Palandt, Art. 6 ROM-I Rdnr. 1). Allerdings erfährt die freie Rechtswahl durch die Sonderanknüpfung in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ROM-I-VO die Ergänzung, dass in den Fällen des Art. 6 Abs. 1 lit. a oder b ROM-I-VO die Rechtswahl nicht dazu führen darf, dass dem Verbraucher der Schutz seiner zwingenden Heimatvorschriften entzogen wird LG Hamburg, Urt. v. 6.1.2011 – 327 O 779/10, Rz. 66).
2. Datenschutzrechtliche Eingriffsnormen:
- Erlaubnisnorm: Art. 9 Abs. 2 ROM-I-VO erlaubt die Anwendung zwingender Eingriffsnormen des inländischen Rechts trotz abweichender Rechtswahl (Martiny in MünchKomm-BGB, Art. 9 ROM-I-VO Rdnr. 1). Ergänzend lässt Art. 9 Abs. 3 ROM-I-VO eine Anwendung von Eingriffsnormen des Staates zu, in dem die vertraglichen Verpflichtungen erfüllt werden sollen.
- Zwingender Charakter: Eine Eingriffsnorm ist nach Art. 9 Abs. 1 ROM-I-VO eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe der ROM-I-VO für den Vertrag geltenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist.
- Fallgruppen: Als Generalklausel bedarf Art. 9 Abs. 1 ROM-I-VO einer fallweisen Konkretisierung, bei der es einerseits auf die Stärke des Inlandbezuges des zu entscheidenden Falles und andererseits auf den Gerechtigkeitsgehalt der betreffenden Eingriffsnorm ankommt (vgl. Hohloch in Erman, Art. 34 EGBGB Rdnr. 13; Thorn in Palandt, Art. 9 ROM-I Rdnr. 6). Typische Anwendungsfälle sind das Außenwirtschafts- und Devisenrecht oder auch das Kartell- oder Wohnraummietrecht. Bei Internet-Versandapotheken kann sich die Frage stellen, ob die Bestimmungen der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) als Eingriffsnormen gemäß Art. 9 Abs. 1 ROM-I-VO anzusehen sind (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 17.2.2011 – 2 U 65/10, Rz. 143; LG München I, Urt. v. 18.6.2008 – 1 HK O 20716/07 und 1 HKO 20716/07, MMR 2008, 782 (Ls.)).
- Fallgruppe Datenschutz: Als Eingriffsnormen gemäß Art. 9 Abs. 1 ROM-I-VO kommen auch Vorschriften des Datenschutzrechts in Betracht. Die „fallweise Konkretisierung“ steht noch aus.
3. Keine Rechtswahl im öffentlichen Recht:
- Die Freiheit der Rechtswahl gilt nur für das Privatrecht. Soweit es um Eingriffsbefugnisse der Aufsichtsbehörden und somit um öffentliches Recht geht, sind die Aufsichtsbehörden ausschließlich an § 1 Abs. 5 BDSG gebunden. Wenn sich aus § 1 Abs. 5 BDSG keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit deutschen Rechts ergibt, ist deutsches Recht für die Aufsichtsbehörde anwendbar, ohne dass eine Rechtswahlklausel hieran etwas ändern könnte.
Die Wahl deutschen Datenschutzrechts unterliegt keinen Bedenken
- Freie Rechtswahl des Datenschutzrechts: Weder aus Art. 6 noch aus Art. 9 ROM-I-VO lässt sich ableiten, dass für das Datenschutzrecht keine Rechtswahlfreiheit gilt.
- Wahl deutschen Datenschutzrechts: Haben die Vertragspartner für einen in Deutschland zu erfüllenden Vertrag (vgl. Art. 9 Abs. 3 ROM-I-VO) die Anwendung deutschen Datenschutzrechts vereinbart, stellt sich die Frage einer Anwendbarkeit von Eingriffsnormen des angerufenen Gerichts (Art. 9 Abs. 2 ROM-I-VO) gar nicht erst, da es an einer abweichenden Rechtswahl fehlt. Die Wahl deutschen Datenschutzrechts ist wirksam (Vgl. LG Berlin, Urt. v. 6.3.2012 – 16 O 551/10 – Rz. 37, CR 2012, 270 (272) m. Anm. Piltz; LG Berlin, Urt. v. 30.4.2013 – 15 O 92/12, Rz. 24, CR 2013, 402(403) = ITRB 2013, 130 (Kümmel); a.A. VG Schleswig, Urt. v. 14.2.2013 – 8 B 61/12, Rz. 12).