Der EuGH ist kein Freund der Presse- und Kommunikationsfreiheit. Dies zeigte sich vor zwei Jahren im Fall von „Google Spain„. Und das heutige Urteil zu „GS Media“ ist ein weiterer Beleg, dass die Kommunikationsfreiheit beim EuGH nicht in guten Händen ist (EuGH vom 8.9.2016, Az.C‑160/15, bald in CR).
Typisches Hyperlink-Szenario
In dem Urteil geht es um einen Fall aus den Niederlanden: Ein beliebtes Online-Klatschblatt (GeenStijl.nl) wurde verklagt, weil es mit einem Hyperlink auf eine Seite (Filefactory.com) verwiesen hatte, auf der sich Nacktfotos befanden. Die Verlegerin des „Playboy“ machte Exklusivrechte an den Fotos geltend und verklagte den Betreiber von „Geenstijl.nl„.
Ansatz des BGH: Schöner Wetten und Paperboy
Ein klarer Fall, denkt der deutsche Jurist. Er denkt an die BGH-Entscheidung zu „Schöner Wetten“, 12 Jahre alt und immer noch überzeugend: In dieser Entscheidung verneinte der BGH unter Hinweis auf die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) Prüfungspflichten bei einem Online-Dienst, der einen Link auf eine Website mit rechtswidrigen Inhalten setzte (BGH v. 1.4.2004 – I ZR 317/01 – Schöner Wetten, CR 2004, 613, 615 f. m Anm. Dietlein; vgl. auch BGH v. 17.7.2003 – I ZR 259/00 – Paperboy, CR 2003, 920, 922 m. Anm. Nolte). Da Hyperlinks in der unübersehbaren Informationsfülle im World Wide Web eine überragende Funktion aufweisen, müssen die Anforderungen an Prüfungspflichten nach der damals wie heute überzeugenden Auffassung des BGH streng sein.
Konträre Ansätze des EuGH:
- Pressefreiheit trotz Gewinnerzielungsabsicht (Dez. 2008)
Ein klarer Fall von Pressefreiheit, denkt der Jurist, hatte der EuGH doch noch im Jahre 2008 entschieden, dass journalistische Tätigkeiten legitimerweise mit der Absicht verbunden werden können, Gewinn zu erzielen (EuGH v. 16.12.2008 – C-73/07, CR 2009, 229 m. Anm. Härting). Würde eine „Gewinnerzielungsabsicht“ die Pressfreiheit ausschließen, wäre dies das Ende jeder Pressefreiheit.
Unmittelbarkeit für Online-Medien
Und dann reibt sich der Leser des heutigen Urteils die Augen. Wenn ein Online-Medium für rechtswidrige Inhalte haftbar gemacht wird, die sich auf verlinkten Seiten befinden, schränkt dies die Medienfreiheit in Europa beträchtlich ein. Denn das Online-Medium muss:
– entweder alle verlinkten Inhalte juristisch prüfen
=> sehr aufwändig und teuer;
– oder auf Verlinkungen verzichten
=> schränkt die Kommunikations- und Informationsfreiheit aller Nutzer beträchtlich ein.
- Â Pressefreiheit oder Gewinnerzielungsabsicht (Sept. 2016)
In dem heutigen EuGH-Urteil finden sich derartige Reflektionen nicht. Keine Spur der Nachdenklichkeit über die Folgen des eigenen Urteils für den freien Meinungsaustausch in Europa. Ein Lippenbekenntnis zu Art. 11 GR-Charta (Meinungs- und Informationsfreiheit), aber nicht einmal ein Versuch der Abwägung zwischen den Eigentumsrechten des Playboy-Verlags und Art. 11 GR-Charta (EuGH v. 8.9.2016 – C-160/15, Rz. 45, bald in CR).
Sobald ein Online-Journalist „Gewinnerzielungsabsichten“ verfolgt, ist der Journalist nach Auffassung des EuGH nicht mehr Journalist und kann sich im Ergebnis nicht auf Presse- und Kommunikationsfreiheit berufen:
„Im Ãœbrigen kann, wenn Hyperlinks mit Gewinnerzielungsabsicht gesetzt werden, von demjenigen, der sie gesetzt hat, erwartet werden, dass er die erforderlichen Nachprüfungen vornimmt, um sich zu vergewissern, dass dasbetroffene Werk auf der Website, zu der die Hyperlinks führen, nicht unbefugt veröffentlicht wurde, so dass zu vermuten ist, dass ein solches Setzen von Hyperlinks in voller Kenntnis der Geschütztheit des Werks und der etwaig fehlenden Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber zu seiner Veröffentlichung im Internet vorgenommen wurde.“
[EuGH v. 8.9.2016 – C-160/15, Rz. 51 (Hervorhebungen hinzugefügt) bald in CR]
Fazit
Die Kommunikationsfreiheit ist in Gefahr. Datenschutz, Urheberrecht, Haftung der Plattformen, „Hate Speech“: An breiter Front wird nach Einschränkungen der Kommunikation gerufen. Leider auch viel zu häufig von Journalisten, die Meinungsfreiheit mit der „Freiheit der eigenen Meinung“ verwechseln.
2 Kommentare
Der EuGH knüpft die „öffentliche Wiedergabe“ an die Zustimmung des Urhebers (Rn.43).
Liege diese vor, dann liege auch die „öffentliche Wiedergabe“ bereits vor, die
somit nicht durch das nachfolgende Linksetzen erfolge sondern bereits gegeben sei.
Fehlt hingegen die Zustimmung liege noch keine „öffentliche Wiedergabe“
vor. Dies soll dann dazu führen, dass durch den link auf den insoweit
rechtswidirgen Inhalt eine „öffentliche Wiedergabe“ vorliege (Rn.43).
Die Argumentatiion des EuGH ist widersprüchlich.
Denn wenn die erste zustimmungslose öffentliche Bereitstellung keine „öffentliche Wiedergabe“ ist,
dann kann es auch die Linksetzung nicht sein,
denn diese hat auch keine Zustimmung des Urhebers
erfahren.
Der EuGH muss in diesem Fall sein eigenes Argument gegen sich gelten lassen.
Rechtsanwalt Nikolaus Wiesel
http://www.ra-wiesel.de
Danke, das sehe ich genauso!