Aktuell im ITRB

Auswirkungen der Digitale-Inhalte-Richtlinie auf die Erschöpfung des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts bei unkörperlichen digitalen Inhalten (Alber/Brandi-Dohrn, ITRB 2021, 261)

Die Frage, ob digital in Verkehr gebrachte Vervielfältigungen von nach dem UrhG geschützten Werken einer Erschöpfung des Verbreitungsrechts zugänglich sein können, ist bis heute nicht für alle Werkarten abschließend beantwortet. Zuletzt ist bei den Befürwortern einer weitreichenderen Erschöpfung die Hoffnung aufgekommen, dass mit der neuen DID-RL Bewegung in diese Diskussion kommen könnte. Ob diese Hoffnung begründet ist, ist allerdings unsicher.


I. Erschöpfung von Immaterialgüterrechten

1. Zweck des Erschöpfungsgrundsatzes

2. Erschöpfungsregelungen im deutschen und EU-Recht

3. Grundlegende Voraussetzungen und Reichweite der Erschöpfung von Immaterialgüterrechten

II. Rechtliche Probleme bei der Erschöpfung digitaler Inhalte im Urheberrecht

1. Regelungen zur Erschöpfung im Urheberrecht

2. Anwendbarkeit der Erschöpfungsregelungen auf unkörperliche Werke

a) Software

b) E-Books

c) Videospiele

d) Audioinhalte, Bildinhalte und audiovisuelle Inhalte

e) Datenbanken

III. Möglichkeiten vertraglicher Umgehung der Erschöpfung nicht körperlicher Werkkopien

1. Keine vertragliche Beschränkung/Aufhebung des Erschöpfungsgrundsatzes mit dinglicher Wirkung

2. Zeitliche Beschränkung der Überlassung von Programmkopien

IV. Auswirkungen der DID-RL auf die Erschöpfung bei digitalen Werken

1. Reichweite des Begriffs „digitale Inhalte“ i.S.d. Art. 2 Nr. 1 DID-RL

2. Voraussichtlich keine Auswirkung der DID-RL auf die urheberrechtliche Erschöpfung bei digitalen Werken

a) Beschränkung des Anwendungsbereichs der DID-RL auf Verbraucherverträge

b) DID-RL: Bereichsausnahme für Regelungen zur Erschöpfung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten

c) Kein Widerspruch zwischen Anforderungen an die Vertragsgemäßheit nach der DID-RL und fehlender Erschöpfung bei digitalen Werken

d) Auswirkungen der DID-RL auf vertragliche Gestaltungen zur Umgehung der Erschöpfung bei Softwareprodukten

V. Fazit


I. Erschöpfung von Immaterialgüterrechten

1. Zweck des Erschöpfungsgrundsatzes


Die Erschöpfung von Immaterialgüterrechten dient dem Ausgleich der Nutzungs- und Verwertungsinteressen des Rechteinhabers auf der einen und dem Schutz des freien Warenverkehrs auf der anderen Seite. Ihr zentraler Gesichtspunkt ist, die Verkehrsfähigkeit der mit Zustimmung des jeweiligen Berechtigten in den Verkehr gelangten Produkte sicherzustellen mit dem Ziel, die Verbreitung rechtmäßig veräußerter Werkexemplare von weiteren Einwirkungen durch den Rechteinhaber zu lösen und so den freien Warenverkehr mit den betreffenden Produkten zu erleichtern.

2. Erschöpfungsregelungen im deutschen und EU-Recht

Die Erschöpfung ist in allen Bereichen des Immaterialgüterrechts – teils ausdrücklich, teils implizit – verankert. Ausdrückliche Regelungen finden sich im Markenrecht (§ 24 MarkenG und Art. 13 UMV), im Designrecht (§ 48 DesignG und Art. 21 GGV), im Sortenschutz (§ 10b SortSchG) und im Urheberrecht (§ 17 Abs. 2 UrhG bzw. § 69c Nr. 3 Satz 2 UrhG). Im deutschen GebrMG und PatG fehlt es zwar an einer ausdrücklichen Regelung, der Grundsatz der Erschöpfung findet jedoch auch hier bei der Prüfung des Verbietungsrechts nach § 9 PatG bzw. § 11 GebrMG Anwendung. Für die Leistungsschutzrechte des Urheberrechtsgesetzes ist § 17 Abs. 2 UrhG entsprechend anwendbar (in § 87b Abs. 2 explizit geregelt).

Der EuGH hat festgestellt, dass die urheberrechtliche Erschöpfung durch Art. 4 Abs. 2 RL 2001/29/EG (Urheberrechts-RL) voll harmonisiert wurde, ebenso wie die markenrechtliche Erschöpfung (Art. 7 RL 2008/95/EG); Unterschiede zwischen den Grenzen der Erschöpfung der einzelnen Schutzrechte bestehen aber weiter.

3. Grundlegende Voraussetzungen und Reichweite der Erschöpfung von Immaterialgüterrechten

Grundlegende Voraussetzung der Erschöpfung ist – für alle Bereiche immaterialgüterrechtlichen Schutzes – stets ein Inverkehrbringen des jeweiligen Schutzgegenstands mit Zustimmung des Rechteinhabers. Die Reichweite der Erschöpfung ist aber für die einzelnen Schutzrechte teils deutlich unterschiedlich: So reicht im Marken- und Designrecht die Erschöpfungswirkung nur so weit, wie nicht „berechtigte Gründe“ des Markeninhabers entgegenstehen (§ 24 Abs. 2 MarkenG), der sich daher z.B. einer Verschlechterung der Ware (und damit einem Imageverlust seiner Marke) beim Weiterverkauf wiedersetzen kann, also z.B. untersagen kann, dass die Verpackung vor dem Weiterverkauf aufgerissen oder die SIM-Lock-Sperre eines Mobiltelefons entfernt wird, um den Weitervertrieb zu ermöglichen. 5 Beim Urheberrecht und den verwandten Schutzrechten umfasst die Erschöpfung zwar den Weiterverkauf, nicht aber die Weitervermietung (§ 17 Abs. 2 UrhG bzw. § 69c Nr. 3 Satz 2 UrhG) und auch nicht das Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung nach §§ 19a, 69c Nr. 4 UrhG.

II. Rechtliche Probleme bei der Erschöpfung digitaler Inhalte im Urheberrecht

Im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte (insb. aber bei Softwareprodukten) haben sich infolge der zunehmenden Nutzung des Internets als Vertriebskanal für digitale Inhalte eine Reihe rechtsdogmatischer Fragestellungen über die Reichweite der urheberrechtlichen Erschöpfung des Verbreitungsrechts ergeben. Ursache hierfür ist die traditionelle Ausrichtung der urheberrechtlichen Bestimmungen auf eine kommerzielle Verwertung nach dem UrhG geschützter Werke/Erzeugnisse in körperlicher Form.

1. Regelungen zur Erschöpfung im Urheberrecht

Die urheberrechtliche Erschöpfung ist in § 17 Abs. 2 UrhG bzw. § 69c Nr. 3 Satz 2 UrhG geregelt. Grundlage des § 17 Abs. 2 UrhG bildet Art. 4 Abs. 2 Urheberrechts-RL. Danach erschöpft sich das Verbreitungsrecht in der Europäischen Union und in den Ländern des EWR in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke eines Werks nur, wenn (...)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.10.2021 12:25
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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