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Der Begriff des KI-Systems (Borges, CR 2023, 706)
Die vorgeschlagene Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz, kurz „KI-Gesetz“ (AI Act), soll noch in diesem Winter verabschiedet werden und wesentliche rechtliche Grundlagen für den Einsatz von künstlicher Intelligenz regeln. Der Beitrag erörtert den Kernbegriff des Gesetzesvorschlags, dessen Regeln sich auf sog. „KI-Systeme“ beziehen.
Tatbestandsmerkmale und Auslegungsansätze
INHALTSVERZEICHNIS:
I. Der Begriff des KI-Systems im Rechtsrahmen für Künstliche Intelligenz
1. Der Begriff des KI-Systems als Eingangstor zur KI-Regulierung
2. Die Anforderungen an die Definition des KI-Systems
3. Die Definition des KI-Systems in den Entwürfen des KI-Gesetzes
II. Software
1. Der Begriff der Software
2. Produkt als KI-System?
3. Abgrenzung und Verbindung einer Mehrheit von KI-Systemen
4. Zwischenergebnis
III. Die Herstellung mit Methoden der Künstlichen Intelligenz
IV. Die Autonomie
1. Gegenstand der Autonomie
2. Umfang der Autonomie
3. Autonomie und Nichtnachvollziehbarkeit des Entscheidungsprozesses
4. Zwischenergebnis
V. Die Interaktion mit der Umgebung
VI. Die Beeinflussung der Umgebung
1. Qualität des Einflusses
2. Einfluss als Relevanz des Ergebnisses für den Empfänger
3. Zwischenergebnis
VII. Ergebnis
Leseprobe:
1
Das künftige KI-Gesetz 1 soll einen wesentlichen Baustein des derzeit entstehenden Rechtsrahmens für Künstliche Intelligenz bilden. Das Gesetz befindet sich noch im Gesetzgebungsverfahren. 2 Der Ministerrat veröffentlichte seinen Standpunkt 3 im Dezember 2022, das Europäische Parlament seine Position 4 im Juni 2023, der Trilog hat im Juli 2023 begonnen. Auch wenn viele Einzelaspekte umstritten sind, ist der Verordnungsentwurf in seinen Grundelementen bereits sehr stabil. Dies gilt auch für den Begriff des KI-Systems. Hier haben Kommission, Rat und Parlament zwar unterschiedliche Definitionen vorgeschlagen, die aber hinsichtlich ihrer wesentlichen Inhalte stark konvergieren. Dies erlaubt es, diesen Schlüsselbegriff des Rechtsrahmens für KI bereits jetzt näher zu beleuchten.
Das Gesetz enthält, trotz seines anmaßenden Kurztitels, keineswegs einen umfassenden Rechtsrahmen für KI, sondern ist vor allem ein spezielles Produktsicherheitsrecht für KI-Systeme. 5 Wichtige Bereiche, etwa die Haftung, waren von vorneherein bewusst ausgeklammert. 6 Seine darüber weit hinausgehende Bedeutung wird sich teils aus ergänzenden Regeln, etwa dem Verbot bestimmter Verwendungen von KI-Systemen (Art. 5 KI-Gesetz-E), vor allem aber durch Verweise anderer Rechtsakte auf Begriffsbestimmungen und Konzepte des KI-Gesetzes ergeben. Besonders deutlich wird dies etwa im Entwurf einer KI-Haftungs-Richtlinie, 7 die erkennbar auf Konzepten des KI-Gesetzes fußt. So verweist der Richtlinienentwurf zur Bestimmung seines Anwendungsbereichs und in seinen wesentlichen Regeln auf den Begriff des KI-Systems und dessen Definition im KI-Gesetz. 8 Der Richtlinienentwurf greift auch, wiederum unter Verweis auf die Regeln des KI-Gesetzes, das Konzept des sog. „Hochrisiko-KI-Systems“ auf, 9 ebenso die Begriffsbestimmungen zu Anbietern und Nutzern von KI-Systemen als den wesentlichen Adressaten der vorgeschlagenen Richtlinie 10 .
3Das KI-Gesetz wird im Wesentlichen vier Regelungsebenen enthalten:
-
das Verbot bestimmter Anwendungen von KI-Systemen (Art. 5 KI-Gesetz-E),
-
ein Risikomanagement für sog. „Hochrisiko-KI-Systeme“, „KI-Systeme mit allgemeinem Verwendungszweck“ und „Basismodelle“ einschließlich einer behördlichen Aufsicht (Art. 6 ff. KI-Gesetz-E),
-
eine Transparenzpflicht für bestimmte KI-Systeme (Art. 52 KI-Gesetz-E) sowie
-
Rahmenbedingungen, etwa Förderungen, für alle KI-Systeme (Art. 53 ff. KI-Gesetz-E).
Der Rat und ebenso das Europäische Parlament schlagen in ihren Standpunkten jeweils die Einführung einer im Kommissionsentwurf noch nicht vorgesehenen Kategorie eines KI-Systems mit allgemeinem Verwendungszweck (General Purpose AI System) vor. 11 Mit diesem neuen Begriff, der etwa Systeme zur Sprach- oder Bilderkennung bezeichnen soll, sollen KI-Systeme erfasst werden, die, wie Rat 12 und Parlament 13 insoweit übereinstimmend definieren, Funktionen aufweisen, die in einer Vielzahl von Kontexten eingesetzt werden können. Es handelt sich also nach Begriff und Definition um KI-Systeme i.S.d. KI-Gesetzes.
5Das Europäische Parlament schlägt, vermutlich unter dem Eindruck von ChatGPT, darüber hinaus die Einführung der Kategorie eines Basismodells (Foundation Model) vor 14 , welche vor allem die neuen Sprachmodelle (large language model, LLM) und vergleichbare Modelle erfassen soll. Indes ist unklar, ob das Basismodell als KI-System anzusehen sein soll, da es in der Definition des Parlaments 15 ausdrücklich nicht als ein „KI-System“, sondern als ein „KI-Systemmodell“ definiert wird (dazu unten 2.).
6Dem Begriff des KI-Systems kommt im Rahmen des KI-Gesetzes und für die darauf verweisenden Normen zentrale Bedeutung zu: Nach seinem Art. 1 soll das KI-Gesetz für KI-Systeme gelten; alle Regelungsbereiche beziehen sich auf KI-Systeme. Soweit das KI-Gesetz besondere Anforderungen an Hersteller und Nutzer von KI-Systemen regelt, enthalten die Regeln aber jeweils zusätzliche Tatbestandsmerkmale und gelten im Ergebnis jeweils für einen engen Kreis an KI-Systemen. Daher wird das KI-Gesetz, jedenfalls nach dem Kommissionsentwurf, für den Großteil der KI-Systeme – geschätzt wird teils ein Anteil von 85-95 % 16 , teils 80 % oder weniger 17 – weder Verbote noch konkrete Pflichten regeln, sondern allenfalls in Bezug auf die Regeln zu Rahmenbedingungen anwendbar sein.
7Eine wesentlich umfangreichere Regulierung ergäbe sich, wenn der vom Parlament vorgeschlagene Art. 4a KI-Gesetz-ParlE Gesetz werden (was nicht zu empfehlen ist) und im Sinne unmittelbar anwendbarer Rechtsnormen (miss-)verstanden werden sollte, da dann die in Art. 4a genannten Prinzipien rechtliche Pflichten für jegliche Art von KI-Systemen installierten, was die Kommission zu Recht vermeiden möchte.
8Der Begriff des KI-Systems soll also offenbar ein zentraler Schlüsselbegriff im Rechtsrahmen für Künstliche Intelligenz sein. Konkret fungiert der Begriff als Einfallstor für die verschiedenen Regelungsebenen des KI-Gesetzes und weiterer Rechtsnormen.
9Die Kommission führte den Begriff in ihrer KI-Strategie von 2018 ein, wenngleich …"
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