LG Köln v. 28.3.2024 - 14 O 181/22

Unzulässige Publizierung einer Kurzgeschichte von Heinrich Böll in einem "Lehrvideo" auf Youtube

Die Anwendung der Pastiche-Schranke nach § 51a UrhG scheidet trotz der rechtlichen Ungewissheit über den Anwendungsbereich der Schranke (vgl. dazu BGH, EuGH-Vorlage mit Beschluss vom 14.9.2023 - I ZR 74/22 - Metall auf Metall V) aus, weil jedenfalls die Anforderungen des "Drei-Stufen-Tests" gem. Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG nicht erfüllt werden. Ein bei YouTube öffentlich zugänglich gemachtes Video beeinträchtigt jedenfalls die normale Verwertung durch die Rechteinhaberin.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist ein Publikumsverlag. Sie verlegt Werke von über 500 Autoren. Der Beklagte ist ein Wirtschaftspädagoge und arbeitet an einer höheren berufsbildenden Schule. Das streitgegenständliche Werk „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ des Autors Heinrich Böll erschien in der im Verlag der Klägerin herausgegebenen Textsammlung „Heinrich Böll Werke, Kölner Ausgabe, Band 12: 1959– 1963“. Anfang 2020 hatte die Klägerin festgestellt, dass der Beklagte seit dem 20.2.2017 auf der Online-Plattform YouTube unter dem Titel „Der weise Fischer/Anekdote zur Arbeitsmoral/Böll“ das urheberrechtlich geschützte Werk des Autors Heinrich Böll „Anekdote zur Arbeitsmoral“ in einem Videoformat veröffentlicht.

Die Klägerin hatte kurz darauf bei der Plattform YouTube ein sog. „Notice-and-Takedown“-Verfahren eingeleitet. Daraufhin wurde das streitgegenständliche Video auch zunächst von der Plattform entfernt. Der Beklagte trat dem im Rahmen des Notice-and-Takedown-Verfahrens entgegen und erklärte, er habe das Video selbst nach eigenen Ideen erstellt und erzähle eine moderne Geschichte. Das streitgegenständliche Video des Beklagten ist seitdem wieder frei abrufbar.

Die Klägerin forderte den Beklagten auf, bis zum 12.11.2020 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben und forderte gleichzeitig ebenso bis zum 12.11.2020 die Erteilung der Auskunft hinsichtlich Art und Umfang der Nutzungshandlung zwecks Bezifferung eines urheberrechtlichen Schadensersatzanspruches. Der Beklagte verneinte eine Verletzung des klägerischen Urheberrechts und lehnte jedwede Ansprüche ab.

Das LG gab der Klage auf Unterlassung und Auskunftserteilung statt.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Unterlassungsanspruch aus §§ 97 Abs. 1 S. 1, 15, 19a UrhG.

Die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll ist ein Sprachwerk gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG. So ist bei einem Roman – oder, wie hier, bei der „Anekdote“ von Heinrich Böll – als Werk der Literatur i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG nicht nur die konkrete Textfassung oder die unmittelbare Formgebung eines Gedankens urheberrechtlich schutzfähig. Auch eigenpersönlich geprägte Bestandteile und formbildende Elemente des Werkes, die im Gang der Handlung, in der Charakteristik und Rollenverteilung der handelnden Personen, der Ausgestaltung von Szenen und in der "Szenerie" des Romans liegen, genießen Urheberrechtsschutz.

Dem urheberrechtlichen Schutz als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG steht nicht entgegen, dass von Heinrich Böll gemeinfreie Elemente bzw. Elemente aus dem vorbekannten Formenschatz in seiner Anekdote übernommen worden wären. Dabei ist zunächst richtig, dass der sowohl der Anekdote von Heinrich Böll als auch dem Video von dem Beklagten zugrunde liegende Grundgedanke des Gegensatzes: Arbeiten, um zu leben, oder Leben, um zu arbeiten, als solcher nicht geschützt ist. Die konkrete Geschichte des Fischers und des Fremden sowie ihre Diskussion betreffend diesen Gegensatz ist jedoch nicht vorbekannt. Insbesondere enthält die Anekdote von Heinrich Böll nach dem Sach- und Streitstand auch nicht ganz oder teilweise Elemente, die zum sog. vorbekannten Formenschatz gehören. Dieser Einwand des Beklagten bleibt insgesamt vage; zur Begründung verweist der Beklagte darauf, dass „selbst der satirische Einfall in der Anekdote“ nicht von Böll selbst stamme, sondern er hier einen Anfang der 1960er Jahre kursierenden anekdotischen Witz aufgegriffen habe.

Bei diesem Einwand blieb jedoch unklar, was genau nach Auffassung des Beklagten zum vorbekannten Formenschatz bzw. zu vorbekannten Ausdrucksformen gehören soll. Jedenfalls hätte nach dem diesbezüglichen Bestreiten der Klägerin und des dazu erfolgten klägerischen Vortrags, die Klägerin habe die von dem Beklagten angeführte Fundstelle nicht nachvollziehen können, der Beklagte weiter vortragen und (vor allem) Beweis anbieten müssen. Grundsätzlich muss der Verletzer durch Vorlage von konkreten Entgegenhaltungen darlegen und beweisen, dass der Urheber bei der Erschaffung seines Werkes auf Vorbekanntes zurückgegriffen habe. Wer behauptet, eine Formgestaltung beruhe auf dem vorbekannten Formenschatz, muss dies beweisen.

Infolgedessen hat der Beklagte eine Urheberrechtsverletzung zulasten der Klägerin begangen. Die festgestellte Verwertung durch den Beklagten war auch rechtswidrig. Dabei war zunächst unstreitig, dass der Beklagte keine Lizenz der Klägerin hatte, es folglich an deren Zustimmung mangelte. Es kamen zugunsten des Beklagten auch keine Schrankenbestimmungen in Betracht. Dies galt maßgeblich für die allenfalls in Betracht kommende Schrankenregelung aus § 51a UrhG. Danach ist die Vervielfältigung, die Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches zulässig.

Die Anwendung der Pastiche-Schranke nach § 51a UrhG scheidet jedoch trotz der rechtlichen Ungewissheit über den Anwendungsbereich der Schranke (vgl. dazu BGH, EuGH-Vorlage mit Beschluss vom 14.9.2023 - I ZR 74/22 - Metall auf Metall V) aus, weil jedenfalls die Anforderungen des "Drei-Stufen-Tests" gem. Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG nicht erfüllt werden. Das bei YouTube öffentlich zugänglich gemachte Video beeinträchtigt jedenfalls die normale Verwertung durch die Rechteinhaberin.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.04.2024 17:04
Quelle: Justiz NRW

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