BGH v. 14.3.2024 - V ZB 2/23
Zur Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument
Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die glaubhaft gemachten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Einreichers liegenden Gründen beruht (im Anschluss an BGH v. 17.1.2024 - XII ZB 88/23).
Der Sachverhalt:
Dem Kläger wurde das klageabweisende Urteil des LG am 18.8.2022 zugestellt. Mit einem per Telefax am 4.10.2022 an das OLG übermittelten dreiseitigen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist.
Er führte zur Begründung aus, seit dem 8.9.2022 habe der beA-Account seines Prozessbevollmächtigten nicht mehr funktioniert. Trotz sofortiger Bestellung und wiederholter Nachfrage bei der zuständigen Bundesnotarkammer habe sein Prozessbevollmächtigter bislang noch keine neue beA-Karte erhalten, so dass er den am 17.9.2022 gefertigten Berufungsschriftsatz nicht habe elektronisch übermitteln können. Sein Prozessbevollmächtigter habe deshalb Frau Rechtsanwältin J. gebeten, bis zum 19.9.2022 (Montag) den Schriftsatz über ihren beA-Account zu versenden. Erst am 20.9.2022 habe diese seinem Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, dass sie die Übersendung wegen einer plötzlichen Erkrankung ihres Kindes nicht habe vornehmen können.
Sein Prozessbevollmächtigter habe in der Folgezeit beabsichtigt, Frau Rechtsanwältin J. um die Versendung des Wiedereinsetzungsantrags zu bitten. Allerdings sei sie am 4.10.2022 in ihrer Kanzlei nicht erreichbar gewesen. Der Telefonanschluss eines weiteren bekannten Rechtsanwalts, den sein Prozessbevollmächtigter um Übersendung habe bitten wollen, sei stets besetzt gewesen. Daher sei die Übermittlung des Wiedereinsetzungsantrags per Telefax erfolgt. Allerdings habe das Telefaxgerät technische Probleme gehabt, so dass sein Prozessbevollmächtigter nur den Wiedereinsetzungsantrag ohne die Berufungsschrift per Telefax versendet habe. Am Abend des 4.10.2022 habe auch keine Gelegenheit mehr bestanden, einen Anwaltskollegen um den Versand zu bitten. Am 7.10.2022 ging beim OLG der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist vom 4.10.2022 nebst einem nicht unterzeichneten Berufungsschriftsatz vom 17.9.2022 in Papierform ein.
Das OLG verwarf die Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig und wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück. Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Da sich die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung gem. § 236 Abs. 1 ZPO nach den Vorschriften richtet, die für die versäumte Prozesshandlung gelten, hätte auch der Wiedereinsetzungsantrag als elektronisches Dokument eingereicht werden müssen. Die Übermittlung per Telefax war als Ersatzeinreichung nicht ausnahmsweise gem. § 130d Satz 2 ZPO ausreichend.
Ist eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung gem. § 130d Satz 2 ZPO nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die eng auszulegende Ausnahmevorschrift bezweckt, dem Rechtsuchenden auch bei technischen Ausfällen eine wirksame Einreichung von Schriftsätzen zu ermöglichen. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass eine Ausnahme von der zwingenden Benutzung eines elektronischen Übermittlungsweges nur dann gelten soll, wenn die Justiz aus technischen Gründen nicht auf elektronischem Wege erreichbar ist, gleichviel ob die Ursache dafür in der Sphäre des Gerichts oder des Einreichenden zu suchen ist. Durch die Einschränkung "aus technischen Gründen" und "vorübergehend" wird klargestellt, dass professionelle Einreicher hierdurch nicht von der Notwendigkeit entbunden sind, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen. Der Gesetzgeber wollte nur Fälle erfassen, in denen einer Übermittlung des Schriftsatzes in elektronischer Form rein technische Gesichtspunkte entgegenstehen, nicht dagegen in der Person des Einreichers liegende Gründe. Entsprechend stellen Verzögerungen bei der Einrichtung der technischen Infrastruktur keinen vorübergehenden technischen Grund dar.
Vorliegend ist es dem Kläger nicht gelungen, bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach die vorübergehende Unmöglichkeit einer elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen nach § 130d Satz 3 ZPO glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die glaubhaft gemachten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Einreichers liegenden Gründen beruht. Glaubhaft zu machen ist daher die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine laienverständliche Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen genügt, aufgrund derer es möglich ist festzustellen, dass Bedienungsfehler unwahrscheinlich sind.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat zur Glaubhaftmachung geltend gemacht, sein beA-Account habe seit dem 8.9.2022 nicht mehr funktioniert. Trotz sofortiger Bestellung und wiederholter Nachfragen bei der Bundesnotarkammer habe er bis zum Fristablauf keine neue beA-Karte erhalten, so dass er den Berufungsschriftsatz nicht habe elektronisch übermitteln können. Den höchstrichterlichen Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer aus technischen Gründen vorübergehenden Unmöglichkeit i.S.d. § 130d Satz 3 ZPO wird die der Ersatzeinreichung beigegebene Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht gerecht, weil aus den Ausführungen nicht in sich schlüssig und nachvollziehbar hervorgeht, ob er die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorgehalten hat. Der beA-Account war nach seinem Vortrag funktionsunfähig. Zwar führt etwa eine Störung des beA oder des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs sowie der temporäre Ausfall der Netzwerkkarte grundsätzlich zu einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit. Der zur Glaubhaftmachung gehaltene Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers lässt aber gerade offen, ob die Funktionsunfähigkeit auf einer technischen Störung beruhte oder auf den Ablauf der Gültigkeitsdauer seiner beA-Karte zurückzuführen war.
Mehr zum Thema:
Kommentierung | ZPO
§ 130d Nutzungspflicht für Rechtsanwälte und Behörden
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023
Rechtsprechung (siehe Leitsätze):
Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument
BGH vom 17.01.2024 - XII ZB 88/23
MDR 2024, 389
MDR0064846
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