BGH v. 7.3.2024 - I ZR 83/23
Vielfachabmahner II- Rechtsmissbräuchliche Abmahntätigkeit eines Interessenverbandes?
Von einem rechtsmissbräuchlichen Abmahnverhalten ist auszugehen, wenn sich der Gläubiger bei Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs überwiegend von sachfremden Gesichtspunkten leiten lässt. Ohne Hinzutreten weiterer Indizien kann dies regelmäßig nicht allein deshalb angenommen werden, weil der Gläubiger die geltend gemachten Unterlassungsansprüche in einer Vielzahl von Fällen trotz ausgebliebener Unterwerfungserklärungen der Schuldner nicht gerichtlich weiterverfolgt hat.
Der Sachverhalt:
Der Beklagte bietet Waren, insbesondere Haushaltswaren, auf der Handelsplattform Amazon an. Mit Schreiben vom 17.7.2020 hatte der Kläger, ein als Verein eingetragener Interessenverband von Online-Unternehmen, ihn wegen behaupteter Wettbewerbsverstöße im Zusammenhang mit der Präsentation von Waren abgemahnt. Am 23.7.2020 gab der Beklagte eine strafbewerte Unterlassungserklärung ab, die inhaltlich der der Abmahnung beigefügten vorformulierten Erklärung entsprach und die der Kläger annahm. Mit Schreiben vom 24.3.2021 forderte der Kläger den Beklagten wegen eines Verstoßes gegen die Unterlassungsverpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe von 5.000 € auf. Daraufhin erklärte der Beklagte die Anfechtung sowie hilfsweise die Kündigung der strafbewehrten Unterlassungserklärung vom 23.7.2020.
Das LG hat die auf Zahlung von 5.000 € gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung blieb erfolglos. Auf die Revision des Klägers hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Gründe:
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung konnte nicht angenommen werden, dass dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstünde.
Zwar kann der Geltendmachung einer Vertragsstrafe wegen Verstoßes gegen die Unterlassungspflicht aus einem aufgrund einer missbräuchlichen Abmahnung geschlossenen Unterlassungsvertag der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehen (vgl. BGH, Urt. v. 14.2.2019 - I ZR 6/17). Die Frage, ob die Geltendmachung der auf einer Unterlassungsvereinbarung beruhenden Vertragsstrafe rechtsmissbräuchlich ist, beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB), wobei die Umstände, die im Rahmen des § 8c Abs. 1 UWG nF (§ 8 Abs. 4 UWG aF) einen Rechtsmissbrauch begründen, auch im Rahmen der Prüfung des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB herangezogen werden können.
Von einem rechtsmissbräuchlichen Abmahnverhalten ist insbesondere auszugehen, wenn sich der Gläubiger bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs überwiegend von sachfremden Gesichtspunkten leiten lässt (vgl. BGH, Urt. v. 26.1.2023 - I ZR 111/22. Ohne Hinzutreten weiterer Indizien kann dies jedoch regelmäßig nicht allein deshalb angenommen werden, weil der Gläubiger - wie hier - die geltend gemachten Unterlassungsansprüche in einer Vielzahl von Fällen trotz ausgebliebener Unterwerfungserklärungen der Schuldner nicht gerichtlich weiterverfolgt hat. Indem das Berufungsgericht davon ausgegangen war, auf die vom Kläger aufgeführten Gründe für die unterbliebene gerichtliche Weiterverfolgung der ausgesprochenen Abmahnungen komme es nicht an, hatte es gewichtige Aspekte außer Acht gelassen, die gegen einen Rechtsmissbrauch sprechen konnten, und somit die gebotene Gesamtabwägung nicht durchgeführt.
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