OLG Celle v. 29.4.2024 - 5 W 19/24

Herabsetzung des Streitwerts einer Klage auf Ansprüche aus der DSGVO in der Beschwerdeinstanz

Der Streitwert einer Klage, mit der im Rahmen eines "Massenverfahrens" Ansprüche aus der DSGVO gegen einen Musik-Streaming-Dienst geltend gemacht werden, kann in der Beschwerdeinstanz (nachträglich) herabgesetzt werden. Der im Zivilprozessrecht sonst geltende Grundsatz des Verbots der "reformatio in peius" gilt im Streitwertrecht grundsätzlich nicht.

Der Sachverhalt:
Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung des LG in erster Instanz, die sie als zu niedrig erachten.

In dem dem vorliegenden Beschwerdeverfahren zu Grunde liegenden Hauptsacheverfahren hat die Klägerin gegen die Beklagte Ansprüche aus der DSGVO geltend gemacht. Die Beklagte - die D. - betreibt einen internationalen Musik Streaming-Dienst, der in über 180 Ländern verfügbar ist. Das wesentliche Angebot besteht aus einem Streamingangebot, zusammengesetzt aus Musik, Hörbüchern, Hörspielen und Podcasts. Die Parteien haben über einen sog. Cyberangriff/Hackerangriff auf Kundendaten der Beklagten gestritten, wobei dessen zeitliche Abfolge, die Reaktion der Beklagten sowie das Ausmaß des Angriffs zwischen den Parteien streitig gewesen sind.

Die Klägerin hat mit ihrer Klage als Ausgleich für Datenschutzverstöße die Zahlung eines immateriellen Schadensersatzes in Höhe von 3.000 €, für die Nichterteilung einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden außergerichtlichen Datenauskunft i. S. d. Art. 15 DSGVO einen weiteren immateriellen Schadensersatz in Höhe von 2.000 €, einen Feststellungsantrag betreffend die Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich zukünftiger materieller Schäden, einen Unterlassungsantrag sowie einen Auskunftsantrag geltend gemacht. Das LG hat die Klage abgewiesen. Berufung dagegen hat die Klägerin nicht eingelegt.

Den Streitwert hat das LG insgesamt auf 11.500 € festgesetzt. Dabei hat es den Wert der beiden Zahlungsanträge mit 3.000 € und 2.000 € bemessen, den Feststellungsantrag mit 1.000 €, den Unterlassungsantrag mit 5.000 € sowie den Auskunftsantrag mit 500 €.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, mit der sie begehren, den Streitwert auf 17.600 € festzusetzen.

Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen und gleichzeitig die erstinstanzliche Wertfestsetzung von Amts wegen abgeändert und den Streitwert des Rechtsstreits in erster Instanz auf 5.900 € festgesetzt.

Die Gründe:
Im Ergebnis hat die Beschwerde keinen Erfolg. Im Gegenteil war der Streitwert für den Rechtsstreit in erster Instanz von Amts wegen herabzusetzen. Der Senat ist nicht daran gehindert, den vom LG festgesetzten Streitwert entgegen dem Ziel der Beschwerde, diesen heraufzusetzen, von Amts wegen herabzusetzen. Der im Zivilprozessrecht sonst fast ausnahmslos geltende Grundsatz des Verbots der "reformatio in peius" gilt im Streitwertrecht grundsätzlich nicht.

Der Senat setzt den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren auf 5.900 € fest. Dabei entfallen auf die beiden Zahlungsanträge Werte von 3.000 und 2.000 € sowie auf die restlichen drei Feststellungs-, Unterlassungs- und Auskunftsanträge jeweils Werte von 300 €.

Es ist der Eindruck entstanden, dass ein eigenes Interesse des Klägers an den drei Klageanträgen - neben dem Zahlungsantrag - für ihn nicht besteht. Im Gegenteil hat der Senat zwischenzeitlich aufgrund des Gesamteindrucks der Verfahren der vorliegenden Art den Eindruck gewonnen, dass diese jeweiligen drei Klageanträge in den massenhaften Verfahren, die die Prozessbevollmächtigten des hiesigen Klägers zwischenzeitlich in ganz Deutschland anhängig gemacht haben, mindestens in erster Linie der Anreicherung des Prozessstoffs ohne ein wesentliches eigenes materielles Interesse der jeweiligen Klagepartei dienen. Damit im Einklang steht im Übrigen der Umstand, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers in Verfahren wie dem vorliegenden bei dem Senat Streitwertbeschwerden im eigenen Namen (§ 32 Abs. 2 RVG) in einer inzwischen dreistelligen Anzahl erhoben haben, jeweils mit dem Ziel, den Streitwert heraufzusetzen.

Die an vielen Stellen der Klage zu findenden, generischen und unzutreffenden Behauptungen "ins Blaue hinein" sind Ausdruck des Geschäftsmodells der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klagepartei. Diese betreibt ein Massengeschäft, indem sie eine Vielzahl nicht individualisierter Anspruchsschreiben und nachfolgend Klagen einzelner Verbraucher an große international operierende Unternehmen richtet, um aus einer kriminellen Handlung Dritter, deren Opfer die Beklagte wurde, Profit in Form der Generierung von Anwaltsgebühren zu schlagen. Zum einen fehlen tatsächliche Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der Beklagten dabei und werden auch nicht vorgetragen. Zum anderen ist der gesamte Vortrag zu dem behaupteten Schaden der Klagepartei bereits unschlüssig, da dieser offensichtlich aus vorformulierten und vielfach verwendeten Textbausteinen besteht. Der Klagevortrag entspricht zu großen Teilen wortlautidentisch anderen Klagen, welche die Prozessbevollmächtigten der Klagepartei bei anderen deutschen Gerichten eingereicht haben.

In diesen - unbestrittenen - Tatsachenvortrag der Beklagten fügt sich im Übrigen noch der Umstand ein, dass die Beschwerdeführerin auf der Startseite ihres Internet-Auftritts Kundenakquise in dem hier erörterten tatsächlichen Zusammenhang betreibt ("Datenleck: So gehen sie als Betroffener vor. Jetzt Schadensersatz prüfen. Bis zu 5.000 € Schadensersatz ... ").

Hier ist davon auszugehen, dass die Aufnahme der Feststellungs-, Unterlassungs- und Auskunftsanträge in die Klage in erster Linie der "Anreicherung des Prozessstoffs", ohne ein wesentliches eigenes materielles Interesse der hiesigen Klägerin dient. Demgemäß waren vorliegend die Feststellungs-, Unterlassungs- und Auskunftsanträge jeweils auf der untersten Wertstufe, nämlich jeweils mit 300 € zu bemessen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.06.2024 16:05
Quelle: Justiz Niedersachsen online

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