LG Koblenz v. 4.3.2024 - 14 O 784/23

Schmerzensgeld nach Beleidigung eines Bundesministers

Steht einem Bundesminister, der unter einem Video auf Facebook in den dortigen Kommentaren als „Drecksack“ bezeichnet wurde, ein Unterlassungsanspruch und ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu? Diese Frage hatte das LG Koblenz zu beantworten.

Der Sachverhalt:
Bei dem Kläger handelt es sich um den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir. Am 29.4.2022 kommentierte der Beklagte über sein Facebook-Profil ein vom Kläger am selben Tage veröffentlichtes und bis heute einsehbares Video mit dem Kommentar „Drecksack“. Daraufhin erstattete der Kläger Strafanzeige. Die Staatsanwaltschaft Koblenz stellte das Verfahren gegen den Beklagten nach § 153a StPO gegen eine Geldauflage von 1.000 € vorläufig ein. Da der Beklagte die Geldauflage nicht zahlte, wurde das Strafverfahren vor dem AG Altenkirchen gegen den Beklagten geführt.

Unter dem 15.8.2023 versandte der klägerische Prozessbevollmächtigte an den Beklagten im Auftrag des Klägers eine Abmahnung, mit der der Beklagte unter Fristsetzung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie zur Erstattung der durch die Abmahnung entstandenen Rechtsverfolgungskosten aufgefordert wurde. Der Beklagte reagierte auf die Abmahnung nicht. Mit seiner Klage beantragte der Kläger, dem Beklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu untersagen, über den Kläger zu äußern und/oder äußern zu lassen: „Drecksack“ sowie den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 600 € nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Abmahnkosten in Höhe von 800 € nebst Zinsen zu zahlen.

Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen und ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren. Er äußerte die Auffassung, dass nach einem Zeitraum von über 22 Monaten nach dem von dem Beklagten am 29.4.2022 verfassten Post keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe. Der Post des Beklagten sei eine Reaktion auf ein Video des Klägers, in dem die bundesweiten Tafeln als zwingend erforderlich für die Versorgung der prekären Bevölkerung mit Nahrung dargestellt worden sein. Für den Beklagten sei es sonderbar, dass der Kläger nicht durch sein Ministerium die Grundlagen für eine ausreichende Lebensmittelversorgung dieser Bevölkerungsteile schaffe, sondern diese durch gemeinnützige Organisationen, wie beispielsweise die Tafeln, sicherstelle und dies als Erfolg seines Ministeriums deklariere. Der Post sei zwar unsachlich, stelle jedoch eine Reaktion auf ein Verhalten des Ministeriums des Klägers dar und lasse sich mithin durchaus als Meinungsäußerung einordnen.

Das LG hat zunächst den Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverteidigung keine Aussicht auf Erfolg habe.

Die Gründe:
Es liegt eine Meinungsäußerung des Beklagten vor. Diese ist ehrenrührig und verletzt den Kläger in seinem Persönlichkeitsrecht. Zwar steht es dem Beklagten grundsätzlich im Rahmen seines Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG frei, sich auch in scharfer Form kritisch über den Kläger zu äußern. Die Meinungsfreiheit ist aber nicht vorbehaltlos, sondern nur in den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG gewährleistet. Zu diesen gehört das Recht der persönlichen Ehre und auf öffentliches Ansehen.

Die Beurteilung, ob eine ehrbeeinträchtigende Äußerung rechtswidrig ist, ist in aller Regel von einer Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Interessen abhängig, die eine umfassende und einzelfallbezogene Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen einer Äußerung und ihrer Bedeutung erfordert. Im vorliegenden Fall überwiegt das grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Klägers die ebenfalls grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit des Beklagten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Äußerung des Beklagten in einem sozialen Netzwerk im Internet erfolgt ist und daher eine konkrete Breitenwirkung entfaltet hat. Das geäußerte Schimpfwort hat keinen sachlichen Bezug zu dem Thema des Videos des Klägers oder einen konkreten nachvollziehbaren Anlass erkennen lassen, sondern hat nur zum Ziel gehabt, den Kläger zu diffamieren. Es handelt sich daher lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen den Kläger und nicht um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung.

Im Hinblick auf die Meinungsfreiheit ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass nicht die Privatsphäre des Klägers betroffen ist, sondern das öffentliche Wirken des Klägers, der als Politiker bewusst in die Öffentlichkeit tritt. Außerdem ist der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und findet darin unverändert seine Bedeutung. Allerdings bleiben auch die Gesichtspunkte der Machtkritik und der Veranlassung durch vorherige eigene Wortmeldungen im Rahmen der öffentlichen Debatte in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede auch ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern oder Politikern. Gegenüber einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen Verächtlichmachung oder Hetze setzt die Verfassung allen Personen gegenüber äußerungsrechtliche Grenzen und nimmt hiervon Personen des öffentlichen Lebens und Amtsträger nicht aus. Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet wird.

Es war auch nicht der Argumentation des Beklagten zu folgen, dass nach einem Zeitraum von über 22 Monaten nach dem von dem Beklagten am 29.04.2022 verfassten Post keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe. Nach ständiger Rechtsprechung begründet die begangene Rechtsverletzung eine Wiederholungsgefahr, die nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden kann.

Der vom Kläger angegebene Streitwert in Höhe von 7.600 € und das geforderte Schmerzensgeld in Höhe von 600 € ist im Hinblick auf die Prominenz des Klägers einerseits und Art, Intensität und Umfang der Äußerung andererseits als zutreffend angesehen.

+++ Hinweis: +++
Die Entscheidung ist rechtskräftig, denn die vom Beklagten gegen den Beschluss des LG erhobene sofortige Beschwerde wurde durch das OLG zurückgewiesen. Das OLG hat im Rahmen der Begründung auf die Ausführungen des Beschlusses des LG Bezug genommen und diese für zutreffend erachtet. Der Beklagte hat daraufhin die Klage anerkannt und wurde entsprechend antragsgemäß durch Anerkenntnisurteil vom 25.5.2024 verurteilt.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.07.2024 16:05
Quelle: LG Koblenz online

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