LG Köln v. 1.8.2024 - 14 O 59/22
BGH-Rechtsprechung "Das Boot I - III" nicht generell übertragbar auf die Ausstrahlung von Filmen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Die Rechtsprechung des BGH in Sachen "Das Boot I - III" ist nicht generell auf die Ausstrahlung von Filmen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk übertragbar. Insbesondere ist die Anwendung des sog. "Wiederholungsvergütungsmodells" zur Bewertung der Erträge und Vorteile der Rundfunkanstalten i.S.v. § 32a Abs. 1 UrhG bei Filmproduktionen, an denen diese Rundfunkanstalten in keiner Weise beteiligt waren, nicht angemessen. Die Erträge und Vorteile der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind nicht in den anteilig auf die jeweiligen Fernsehsender entfallenden Anteile der Rundfunkgebühren zu erkennen.
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist der Sohn des am (…) verstorbenen Regisseurs Dr. Z. O., der ein populärer deutschsprachiger Filmregisseur war. Herr Dr. O. ist Regisseur der im unten dargestellten Antrag genannten Filme, u.a. der Winnetou-Reihe. Der Kläger ist alleiniger Erbe seines Vaters.
Die Beklagten sind öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, die neben dem Gemeinschaftsprogramm der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland („E.“) für die sog. „Dritten Programme“ verantwortlich sind.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagten Vorteile erlangt hätten, indem sie die streitgegenständlichen Filmwerke ausstrahlten. Für die Berechnung dieses Vorteils könne mit der Rechtsprechung des BGH auf die Ersparnisse von Aufwendungen eines Fernsehsenders für die Erstellung eines Programms abgestellt werden. Als Maßstab für die Schätzung der Höhe der ersparten Aufwendungen könnten Wiederholungsvergütungen, wie sie für Ausstrahlungen von Filmen in Vergütungssätzen von Tarifverträgen im Bereich des Fernsehens geregelt sind, indiziell als Schätzungsgrundlage dienen.
Der Kläger meint, es liege auch ein auffälliges Missverhältnis zwischen vereinbarter Gegenleistung (§ 32a Abs. 1 UrhG alte Gesetzesformulierung) bzw. eine unverhältnismäßig geringe Vergütung (neue Gesetzesfassung) des Herrn Dr. O. im Vergleich zu den Vorteilen der Beklagten. Im Ergebnis entspreche deshalb vorliegend die Höhe der Wiederholungsvergütungen dem Zahlungsanspruch nach § 32a Abs. 2 UrhG.
Das LG hat die Klage abgewiesen.
Die Gründe:
Die Beklagten sind zwar im Ausgangspunkt als „Dritte“ gem. § 32a Abs. 2 S. 1 UrhG verpflichtet, einen Anspruch des Klägers auf weitere angemessene Beteiligung zu erfüllen, obwohl sie seinerzeit nicht an der Produktion der Filme beteiligt waren – wenn ein solcher anzunehmen wäre. Der Vater des Klägers hatte jeweils den Produktionsgesellschaften der jeweiligen streitgegenständlichen Filme das Recht zur Nutzung seiner urheberrechtlich geschützten Leistungen eingeräumt. Mit diesen Rechteinhabern hat die Degeto Film GmbH jeweils Lizenzverträge zugunsten aller Beklagten geschlossen. Die Beklagten leiten ihre Rechte zur Nutzung der Filme im Rahmen der Fernsehauswertung unmittelbar von der Degeto Film GmbH, mittelbar von den Rechteinhabern her.
Die Beantwortung der Frage, ob im Lichte der Erträgnisse oder Vorteile eines Dritten eine unverhältnismäßig niedrige Vergütung des Urhebers iSv § 32a II 1 iVm Abs. 1 S. 1 UrhG (alte Gesetzesfassung: auffälliges Missverhältnis zwischen der als Gegenleistung für die Einräumung des Nutzungsrechts vereinbarten Vergütung des Urhebers und den aus der Nutzung des Werkes erzielten Erträgnissen und Vorteilen des Dritten) besteht, setzt nach der Rechtsprechung des BGH zunächst auf erster Stufe die Feststellung der mit dem Urheber vereinbarten Vergütung und auf zweiter Stufe der vom Dritten erzielten Erträgnisse und Vorteile voraus. Jedoch scheitert der klägerische Anspruch nach Auffassung der Kammer bereits an dieser Stelle.
Feststellung der mit dem Urheber vereinbarten Vergütung (1. Stufe): Im Ergebnis offenbleiben kann, wie konkret die ursprüngliche Vergütung des Herrn Dr. O. für die Regietätigkeit der einzelnen streitgegenständlichen Filme zu schätzen und auf die verschiedenen Nutzungsarten zu allokieren ist.
Feststellung der vom Dritten erzielten Erträgnisse und Vorteile (2. Stufe): Der Kläger hat im Ergebnis keine im rechtlichen Sinne relevanten Erträgnisse und Vorteile der Beklagten dargelegt.
Der Begriff des Vorteils im Sinne des § 32a UrhG umfasst nicht nur Umsatzgeschäfte, sondern auch andere Verwertungshandlungen (BGH v. 20.2.2020 - I ZR 176/18 - Das Boot II). Im Urteil „Das Boot II“ hat das dortige Berufungsgericht laut BGH „zutreffend angenommen, dass eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, die ein Filmwerk in ihrem – weitgehend gebührenfinanzierten – Programm ausstrahlt, einen solchen Vorteil erlangt und dieser Vorteil in der Ersparnis von Aufwendungen für die Erstellung eines Programms gesehen werden kann, das den Sendeplatz des Filmwerkes hätte füllen können“.
Die Kammer erkennt in der Feststellung eines Vorteils der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Fall „Das Boot“ jedoch eine Sonderkonstellation, die nicht zum abstrakten Grundsatz erhoben werden kann. Dies folgt auch aus der Formulierung des BGH in „Das Boot II“, wonach „ein konkreter Maßstab für die Ermittlung des Vorteils, den die [Bekl. als] öffentlich-rechtliche[n] Rundfunkanstalten durch die streitgegenständlichen Fernsehausstrahlungen erlangt haben, sich dem Gesetz nicht entnehmen lässt.
Maßgebliche Grundlage der Entscheidungen im Fall „Das Boot“ war, dass die dortige öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt bei der Produktion der Filmwerke bereits beteiligt war und jedenfalls für den Spielfilm und die Fernsehserie das Recht zur wiederholten Ausstrahlung grundsätzlich für unbeschränkte Zeit erhalten hatte. Diese Sachverhaltsumstände sind im hiesigen Fall mit Blick auf die streitgegenständlichen Filme nicht gegeben. Demnach hält die Kammer eine schablonenartige Übertragung der Rechtsprechung im Fall „Das Boot“ für nicht angezeigt und nicht angemessen.
Die Kammer erkennt in den Urteilen zu „Das Boot“ kein allgemeingültiges Schätzungsmodell für jegliche TV-Ausstrahlungen im gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkt, sondern eine Einzelfallentscheidung für das dort konkret gegenständliche Filmprojekt.
Hiervon ausgehend erkennt die Kammer vorliegend keine hinreichenden Anknüpfungspunkte für die indizielle Heranziehung des „Tarifvertrags für auf Produktionsdauer Beschäftigte“, weil hier weder in sachlicher, noch in persönlicher, noch in zeitlicher Hinsicht eine Anwendbarkeit besteht.
Denn in sachlicher Hinsicht handelt es sich vorliegend aus Sicht der Beklagten bei allen Filmen um reine Fremdproduktionen. Auch in persönlicher Hinsicht fehlt ein Anknüpfungspunkt, weil weder Herr Dr. O. ein Arbeitnehmer beim öffentlich-rechtlichen CQ. war, noch die Beklagten als Arbeitgeber der Produktion anzusehen wären.
Eine Übertragung der indiziellen Heranziehung des „Wiederholungsvergütungsmodells“ für Fremdproduktionen, für die die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ggf. durch ihren zentralen Rechteeinkauf durch die Degeto Film GmbH, Lizenzgebühren zahlen, würde zu einer unangemessenen Benachteiligung der Rundfunkanstalten (aber auch jeglicher anderer „privater“ Sendeunternehmen) führen. Denn gerade bei alten „Klassikern“, die über Jahrzehnte hinweg regelmäßig im TV gesendet werden, würde diese Anwendung ab einem gewissen Zeitpunkt zu einer automatischen Direktvergütung der Urheber führen. Faktisch müssten TV-Sendeanstalten dann zum jeweiligen Lizenzpreis noch pauschal eine potentielle Nachvergütung der (Gesamtheit der) Urheber kalkulieren und ggf. Rückstellungen bilden. Gerade dies soll durch § 32a UrhG nach Ansicht der Kammer aber nicht bezweckt werden, was sich nicht zuletzt an der sehr dezidierten Rechtsprechung des BGH in den Urteilen „Das Boot I – III“ zeigt, die jeweils eine Rückverweisung an die Berufungsgerichte zum Ergebnis hatten.
Die Kammer hält stattdessen im hiesigen Fall weiterhin ein „Lizenzkostenmodell“ für angemessen. Jedoch ist auch hier zu beachten, dass der Fall „Das Boot“ anders lag, weil dort eine andere Art der Lizenzierung für die TV-Verwertung vereinbart war, die maßgeblich mit der bedeutenden Beteiligung an der Vorfinanzierung zusammenhing.
Auf den hiesigen Fall übertragen versteht die Kammer unter einem „Lizenzkostenmodell“, dass aufzuklären ist, wie hoch eine angemessene Lizenzgebühr für die konkret streitgegenständlichen Ausstrahlungen der Beklagten oder vergleichbarer Filme mit Blick auf Genre, Produktionsdatum und Publikumsbeliebtheit gewesen wäre. Diese Lizenzgebühren für „vergleichbare“ Filme dürften deshalb von Bedeutung sein, weil die Beklagten nachvollziehbar vortragen, dass sie anstelle der Filme des Herrn Dr. O. andere Filme zur Füllung der Sendezeiten lizensiert und genutzt hätten. Diese angemessene Lizenzgebühr wäre sodann mit den tatsächlich gezahlten Lizenzgebühren zu vergleichen. Wenn sich bei diesem Vergleich ergäbe, dass die Beklagten die Lizenzen unter Marktwert eingekauft haben, dann würden sich insoweit Vorteile in Form von ersparten Aufwendungen ergeben. Mit dieser Methode würde auch den von Klägerseite vorgetragenen Sorgen vor einer „Quersubventionierung“ bei der Paketlizensierung durch die Degeto Film GmbH begegnet.
Zur Anwendung dieser Methode mangelt es aber bis jetzt an Tatsachenvortrag von beiden Seiten.
Mehr zum Thema:
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