OLG Hamm v. 13.6.2024 - 10 W 3/23

Wirksames Testament auf der Intensivstation? Muss das Krankenhaus die Behandlungsakte herausgeben?

Muss das Krankenhaus die Behandlungsakte herausgeben, wenn ein potentieller Erbe die Wirksamkeit eines während des Krankenhausaufenthaltes erstellten Testaments anzweifelt? Im konkreten Fall bejahte das OLG Hamm dies, da sich die Wirksamkeit nicht anders überprüfen lasse. Die ärztliche Schweigepflicht werde hier nicht verletzt. Von einem entgegen stehenden mutmaßlichen Willen des Erblassers könne nicht ausgegangen werden, da die Aufklärung von Zweifeln an der Testierfähigkeit im wohlverstandenen Interesse des Erblassers liege, so das Gericht.

Der Sachverhalt:
Das Verfahren betrifft den Zwischenstreit über ein von der Beteiligten zu 5. geltend gemachtes Zeugnisverweigerungsrecht, mit der sie die Herausgabe von Krankenunterlagen an den gerichtlich bestellten Sachverständigen verweigert. Gegenstand des Hauptsachverfahrens ist die Erbfolge der verstorbenen Erblasserin. Die Antragstellerin ist die Schwester der Erblasserin. Die Beteiligte zu 4. ist die Nichte der Erblasserin. Die Beteiligten 2. und 3. sind Sohn und Tochter der Beteiligten zu 4.

Die Erblasserin hatte mit einem privatschriftlichen Testament vom 8.9.1998 zunächst die Antragstellerin zur Alleinerbin eingesetzt.

Im Zeitraum vom 00.1.2017 bis 00.2.2017 wurde die Erblasserin im B. Hospital in H. behandelt. Trägerin dieses Hospitals ist die Beteiligte zu 5. Mit notariellem Testament vom 24.1.2017 setzte die Erblasserin sodann die Beteiligten zu 2. bis 4. jeweils zu 1/3 als ihre Erben ein. Die Beurkundung fand auf der Intensivstation des Krankenhauses statt. Dort wurde die Erblasserin wegen der Diagnose „akute nekrotisierende Pankreatitis“ behandelt.

Die Antragstellerin erachtet das notarielle Testament vom 24.1.2017 für unwirksam und behauptet insofern, die Erblasserin sei zu diesem Zeitpunkt, während des Aufenthalts auf der Intensivstation im B.-Hospital der Beteiligten zu 5., nicht testierfähig gewesen. Gestützt auf das Testament vom 8.9.1998 hat sie aus diesem Grund unter dem 20.7.2021 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihre Alleinerbenstellung ausweist.

Das AG wies den Antrag zurück. Zur Begründung hat es ausgeführt, maßgeblich für die Frage der Erbenstellung sei das Testament vom 24.1.2017. Dieses sei nicht unwirksam. Hinreichende Ansätze dafür, dass die Erblasserin nicht testierfähig gewesen sei, seien nicht ersichtlich.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Zur Begründung trägt sie vor, das Nachlassgericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Es hätte einer Anforderung zumindest der Krankenunterlagen des Intensivstationsaufenthalts sowie einer Vernehmung des behandelnden Stationsarztes bedurft.

In der Beschwerdeinstanz hat der Senat dem B.-Hospital H. zunächst aufgegeben, die Krankenunterlagen der Erblasserin zu übersenden. Darauf antwortete die nunmehrige Beteiligte zu 5. mit anwaltlichem Schriftsatz vom 13.03.2023, dass die Unterlagen nicht übersandt werden würden, da nicht von einer Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht auszugehen sei.

Ein Sachverständigengutachten brachte kein eindeutiges Ergebnis. Der Senat gab der Beteiligten zu 5. nochmals auf, die Behandlungsunterlagen vorzulegen. Hiergegen hat die Beteiligte zu 5. ein unbenanntes Rechtsmittel eingelegt. Die Beteiligten zu 2. bis 4. stimmten einer Übersendung der Krankenunterlagen für die Gutachtenerstellung nicht zu. Aus diesem Grund verweigerte auch die Beteiligte zu 5. weiterhin die Übersendung der Dokumentation der Krankenhausbehandlung.

Die Antragstellerin beantragte, die Verweigerung der Beteiligten zu 5. für unberechtigt zu erklären. Dieser Antrag hatte vor dem OLG Erfolg.

Die Gründe:
Auch nach Durchführung des Zwischenverfahrens - und wie schon von der ersten Anforderung an - ist die Beteiligte zu 5. zur Vorlage der Krankenunterlagen verpflichtet. Sie kann sich nicht mit Erfolg auf das Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsrechts berufen. Die durch die Beteiligte zu 5. vorgebrachten Gründe erfüllen nicht die Voraussetzungen der §§ 30 FamFG, 142 Abs. 2 S. 1 ZPO, 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO.

Das Gericht hat alle ihm im Freibeweisverfahren zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Auch nach der persönlichen Anhörung der Beteiligten ist es für die ausreichende Sachaufklärung weiterhin notwendig, gemäß § 30 FamFG in die förmliche Beweisaufnahme entsprechend der Zivilprozessordnung überzugehen, in deren Rahmen dem Gericht auch Zwangs- und Ordnungsmittel zur Durchführung der Beweisaufnahme zur Verfügung stehen.

Zwar begründet die ärztliche Schweigepflicht grundsätzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht. Hier wird die ärztliche Schweigepflicht in Bezug auf die Erblasserin durch eine Übersendung der Krankenunterlagen jedoch nicht verletzt. Die Verfügungsbefugnis über Geheimnisse aus dem persönlichen Lebensbereich des Patienten erlischt mit dessen Tod, so dass eine Entbindung von der Schweigepflicht grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt, insbesondere auch nicht durch die Erben und/oder nächsten Angehörigen. Die Schweigepflicht - ein höchstpersönliches Recht - ist nicht vererblich. Schon aus diesem Grund steht den Beteiligten zu 2. bis 4. die von der Beteiligten zu 5. angenommene Verfügungsbefugnis über die ärztliche Schweigepflicht die Behandlung der Erblasserin betreffend nicht zu.

Dabei kann sich die von der Beteiligten zu 5. angenommene Verfügungsbefugnis auch nicht aus der erteilten notariellen Vollmacht ergeben. So stammt diese Vollmacht vom selben Tage wie das in der Hauptsache im Streit stehende Testament. Wenn indes die Testierunfähigkeit im Streit steht, steht damit zugleich auch die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin am gleichen Tage im Streit. Auch um die Wirksamkeit der postmortalen Vorsorgevollmacht zu klären, wäre damit zunächst die Vorlage der Krankenunterlagen erforderlich.

Hinsichtlich der Frage eines entgegenstehenden Willens der Erblasserin gilt Folgendes: Für die Frage, ob und inwieweit der Arzt von seiner Schweigepflicht nach dem Tod des Patienten freigestellt ist, kommt es allein auf den erklärten oder den mutmaßlichen Willen des Erblassers an. Hat der Erblasser sich dazu geäußert, ist seine Erklärung entscheidend. Hat er sich dazu nicht geäußert, muss sein mutmaßlicher Wille geprüft werden. Dabei ist in der Regel davon auszugehen, dass die Aufklärung von Zweifeln an der Testierfähigkeit im wohlverstandenen Interesse eines Erblassers liegt, der ein Testament errichtet hat. Es ist regelmäßig der Wunsch des Erblassers, seinen Willen durch ein Testament zu verwirklichen. Hinsichtlich solcher Tatsachen, welche die Willensbildung des Erblassers und das Zustandekommen der letztwilligen Verfügung betreffen, ist daher grundsätzlich keine Verschwiegenheitspflicht anzunehmen.

Mehr zum Thema:

Entscheidung des OLG Hamm im Volltext

juris Erbrecht:
Rational überzeugen in emotionalen Situationen. Von lebzeitiger Vorsorge über Testamentsgestaltung bis Vermögensübertragung: Alles, was im Erbfall wichtig ist, recherchieren Sie mit juris Erbrecht praxisorientiert und genau auf den Punkt. Sie greifen auf verlagsübergreifende Top-Literatur (inklusive juris STAUDINGER), die neueste Rechtsprechung und die relevanten Vorschriften zu. 30 Tage testen!
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.10.2024 14:18
Quelle: Justiz NRW online

zurück zur vorherigen Seite