OVG NRW v. 24.9.2024 - 13 A 1535/21
Sperrung der Kommentarfunktion unverhältnismäßig trotz polemischer Einträge auf der Webseite einer Rundfunkanstalt
Das OVG NRW hat der Klage eines Facebook-Nutzers gegen die Sperrung seines Zugangs zur Facebook-Seite des Beklagten stattgegeben. Der Beklagte ist eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, auf dessen Internetseite auf dem sozialen Netzwerk Facebook der Kläger teils polemisch zugespitzte Kommentare hinterlassen hatte. Die Sperrung des Klägers sei dennoch unverhältnismäßig gewesen, urteilte das OVG.
Der Sachverhalt:
Der Kläger wendet sich gegen die Sperrung seines Facebook-Accounts auf der Facebook-Seite des Beklagten. Der Beklagte ist eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt. Er unterhält einen Internetauftritt auf dem sozialen Netzwerk Facebook. Dort veröffentlicht er Beiträge, die einen aktuellen Bezug zu seinem Radioprogramm aufweisen. Die Beiträge sind frei zugänglich und können von angemeldeten Facebook-Nutzern kommentiert werden.
Am 9.10.2017 stellte der Beklagte einen Beitrag mit der Überschrift „Vor 50 Jahren wurde Che Guevara erschossen – Tod in den Anden“ auf seiner Facebook-Seite ein. Der Vorspann begann wie folgt: „Er ist eine Ikone des 20. Jahrhunderts: Der gebürtige Argentinier Ernesto ‚Che‘ Guevara wollte Arzt werden, widmete sein Leben jedoch dem militanten Kampf gegen die Unterdrückung. Sein Wunsch aber, die Revolution über Kuba hinaus auszudehnen, schlug fehl. Heute vor 50 Jahren wurde er in Bolivien ers…“. Hierzu postete der Kläger folgenden Kommentar: „Kommt dann als nächstes ein nettes Jugendbild mit Zitat von Adolf Eichmann?“
Am 11.10.2017 veröffentlichte der Beklagte auf seiner Facebook-Seite unter dem Titel „Demo gegen Rassismus auf der Frankfurter Buchmesse“ ein Video-Interview mit Frau H. O. vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit folgendem Begleittext: „Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat rechte Verlage wie den X.-Verlag bewusst nicht von der Frankfurter Buchmesse ausgeschlossen – warum der Verein dennoch vor dem Stand des Verlags demonstriert, erklärt eine der Geschäftsführerinnen.“ Diesen Beitrag kommentierte der Kläger, nachdem der Beklagte zuvor den Kommentar eines anderen Nutzers als „unangemessene Polemik“ bezeichnet hatte, wie folgt: „Deutschlandfunk: Unangemessen ist allein Ihre hier offen dargestellte Einseitigkeit. Sie werden mit Zwangsgebühren finanziert mit der naiven Auflage, de[r] öffentliche Rundfunk [w]äre irgendwie politisch ausgeglichen und neutral. Schön, dass Sie hier belegen, wie dringend die Abschaffung des Rotfunks ist.“
Unter dem 4.11.2017 veröffentlichte der Beklagte einen Beitrag mit dem Titel „AfD und Identitäre unter einem Dach“ sowie folgendem Teaser: „Identitäre, das sind die neuen Rechten, manche sagen ‚Keimzelle einer rechten RAF‘. In Halle an der Saale haben Identitäre im Frühjahr ein Hausprojekt gegründet, vor Kurzem eröffnete auch ein AfD-Abgeordneter hier sein Büro. Jetzt machen Anwohner gegen das Projekt mobil. Sie fühlen sich eingeschüchtert und bedroht.“ Der Kläger postete hierzu folgenden Kommentar: „Der zwangsfinanzierte Staatsfunk einmal mehr als linksradikales Hetzinstrument. Die komplett gewaltfreie IB dämonisieren, aber den linksextremen Terror gegen dieses Haus komplett verschweigen – solche verlogenen ‚Berichte‘ kennt man ja noch aus dem Staat[s]fernsehen der DDR. GEZ jetzt abschaffen!“
Daraufhin sperrte der Beklagte am 4.11.2017 den Facebook-Account des Klägers. Die für Dritte nicht erkennbare Sperrung bewirkte, dass der Kläger mit diesem Profil Beiträge des Beklagten auf dessen Seite und andere dortige Nutzer-Kommentare nicht mehr kommentieren konnte. Die auf der Seite durch den Beklagten eingestellten Inhalte waren für ihn jedoch weiterhin – wie für jeden anderen Internet-Nutzer – frei zugänglich. In einem separaten Schritt löschte der Beklagte zudem die oben angeführten Kommentare des Klägers.
Das VerwG wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers stellte das OVG fest, dass die Sperrung des Facebook-Accounts des Klägers rechtswidrig war. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Die Sperrung des Facebook-Accounts des Klägers auf der Facebook-Seite des Beklagten war rechtswidrig. Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, ob der Beklagte die vorgenommene Sperrung auf eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Eingriffsermächtigung stützen konnte, weil die Sperrung jedenfalls unverhältnismäßig war. Es dürfte offen sein, ob bzw. inwieweit zum für die gerichtliche Überprüfung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Sperrung eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende gesetzliche Eingriffsermächtigung vorlag.
Die Sperrung des Facebook-Accounts des Klägers auf der Seite des sozialen Netzwerks des Beklagten war jedenfalls unverhältnismäßig. Sie hat nicht unerheblich in dessen Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) eingegriffen, wohingegen das Gewicht der den Eingriff rechtfertigenden Gründe hier als eher gering einzuschätzen ist. Die Gefahr eines Schadenseintritts war zwar im Ausgangspunkt nicht völlig unbeträchtlich. Jedoch fällt hier maßgeblich ins Gewicht, dass die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung der zu schützenden Rechtsgüter insbesondere durch eine Löschung der vorangegangenen Kommentare des Klägers als für diesen deutlich milderes Mittel hätte – wenngleich nicht gänzlich ausgeschlossen, so doch – erheblich gemindert werden können. Danach fehlte es an der Angemessenheit der Maßnahme.
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