BGH v. 23.10.2024 - XII ZB 255/24
Nachweis über Zustellungszeitpunkt der angefochtenen Entscheidung durch Übermittlung eines elektronischen Empfangsbekenntnisses
Den Nachweis über den Zeitpunkt der Zustellung der angefochtenen Entscheidung erbringt der Rechtsmittelführer durch die Übermittlung des vom Ausgangsgericht mit der Zustellung als strukturierter Datensatz zur Verfügung gestellten bzw. angeforderten elektronischen Empfangsbekenntnisses. Ist die Gerichtsakte bei Eingang des Empfangsbekenntnisses bereits für die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens an das Gericht des höheren Rechtszuges abgegeben, liegt es in der Organisationsverantwortung der Gerichte, für eine Zuordnung des elektronischen Empfangsbekenntnisses zu dem zugestellten Dokument zu sorgen.
Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner für sich selbst und für drei gemeinsame minderjährige Kinder Trennungs- und Kindesunterhalt ab Dezember 2016. Durch Beschluss vom 10.1.2024 verpflichtete das AG - Familiengericht - den Antragsgegner unter Abweisung des weitergehenden Antrags dazu, rückständigen und laufenden Kindesunterhalt in unterschiedlicher Höhe zu zahlen. Es hat die Zustellung an den Antragsgegner unter Anforderung eines von seiner Verfahrensbevollmächtigten in Form eines strukturierten Datensatzes zu erteilenden elektronischen Empfangsbekenntnisses veranlasst, welches diese zunächst nicht - auch nicht nach mehrfacher Erinnerung durch das AG - zurückgesandt hat.
Gegen den Beschluss legte der Antragsgegner am 20.2.2024 Beschwerde beim AG ein und beantragte am 20.3.2024 beim OLG, die Frist zur Begründung der Beschwerde um einen Monat zu verlängern. Das OLG forderte die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners mit Verfügung vom 11.4.2024 unter Fristsetzung bis zum 26.4.2024 auf, das Empfangsbekenntnis zu den Akten zu reichen, und wies darauf hin, dass wegen des fehlenden Empfangsbekenntnisses nicht geprüft werden könne, ob die Beschwerdeeinlegung und der Verlängerungsantrag fristgerecht eingereicht worden seien.
Am 12.4.2024 übermittelte die Verfahrensbevollmächtigte das elektronische Empfangsbekenntnis, das als Zustelldatum den 22.1.2024 ausweist, an das AG in der Form des strukturierten Datensatzes und begründete die eingelegte Beschwerde am 22.4.2024 beim OLG. Ohne über das Fristverlängerungsgesuch zu entscheiden, verwarf das OLG die Beschwerde durch Beschluss vom 13.5.2024. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Nach § 63 Abs. 1 FamFG ist die Beschwerde innerhalb einer Frist von einem Monat einzulegen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten. Gem. § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat der Beschwerdeführer in Ehesachen und Familienstreitsachen zudem zur Begründung seiner Beschwerde einen bestimmten Sachantrag zu stellen und diesen zu begründen. Die Begründung ist innerhalb von zwei Monaten ab schriftlicher Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses, beim Beschwerdegericht einzureichen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG). Diese Frist kann auf Antrag des Beschwerdeführers unter den in § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO genannten Voraussetzungen von dem Vorsitzenden des Beschwerdegerichts verlängert werden. Eine Verlängerung der Frist zur Beschwerdebegründung kommt aber nicht mehr in Betracht, wenn das Verlängerungsgesuch erst nach Ablauf der Begründungsfrist beim Beschwerdegericht eingegangen ist. Das Beschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist (§ 68 Abs. 2 Satz 1 FamFG).
Diesen Maßstäben genügt die angefochtene Entscheidung nicht. Ausgehend von der mit dem Empfangsbekenntnis nachgewiesenen Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 22.1.2024 hat der Antragsgegner mit seiner am 20.2.2024 eingelegten Beschwerde und dem am 20.3.2024 gestellten Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist die genannten Fristen gewahrt. Mit der elektronischen Übersendung des Empfangsbekenntnisses an das Familiengericht hat die Verfahrensbevollmächtigte (deutlich) vor der Entscheidung des OLG alles von ihr zu Verlangende getan.
Nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 173 Abs. 3 Satz 2 ZPO ist für die Übermittlung des elektronischen Empfangsbekenntnisses zwingend der vom Gericht mit der Zustellung zur Verfügung gestellte bzw. angeforderte strukturierte Datensatz zu verwenden. Durch die Verwendung des vom Gericht vorgegebenen strukturierten Datensatzes soll das rücklaufende Empfangsbekenntnis dem zugestellten Dokument automatisch zugeordnet werden können. Die Zuordnung selbst liegt in der Verantwortung des Gerichts. Ist die Gerichtsakte bereits für die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens an das Gericht des höheren Rechtszuges abgegeben worden, bleibt es in der gerichtlichen Organisationsverantwortung, für eine Zuordnung des elektronischen Empfangsbekenntnisses zu dem zugestellten Dokument zu sorgen. Ist dies nicht automatisiert gewährleistet, gehört es zu den Aufgaben des Gerichts der Ausgangsinstanz, das Empfangsbekenntnis ohne Zeitverzögerung an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten, um so die nach dem Gesetz vorausgesetzte Zuordnung herzustellen. Parallel dazu besteht eine Verpflichtung des Beschwerdegerichts, keine auf das Fehlen des Empfangsbekenntnisses gestützte Entscheidung zu treffen, ohne sich zuvor bei dem Ausgangsgericht nach einem möglichen, gesetzlich allein dort vorgesehenen Eingang zu erkundigen.
Da der Zustellungsnachweis gem. § 173 Abs. 3 Satz 2 ZPO ausschließlich mit dem vom Ausgangsgericht angeforderten strukturierten Datensatz vorgesehen ist, hatte die Verfahrensbevollmächtigte mit dessen Übersendung zugleich das von ihrer Seite Erforderliche erfüllt. Indem das Empfangsbekenntnis bei der Entscheidung des Beschwerde-gerichts nicht berücksichtigt worden ist, sind der Anspruch des Antragsgegners auf Zugang zur Rechtsmittelinstanz in unzumutbarer Weise erschwert und sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden.
Mehr zum Thema:
Kommentierung | FamFG
§ 68 Gang des Beschwerdeverfahrens
Abramenko in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
6. Aufl./Lfg. 09.2022
Kommentierung | ZPO
§ 173 Zustellung von elektronischen Dokumenten
Schultzky in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023
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