EuGH v. 13.3.2025 - C-247/23

Berichtigung von Daten zur Geschlechtsidentität

Die Berichtigung von Daten betreffend die Geschlechtsidentität darf nicht vom Nachweis einer Operation abhängig gemacht werden. Ein solches Erfordernis beeinträchtigt insbesondere den Wesensgehalt der in der Charta der Grundrechte der EU verankerten Rechte auf Unversehrtheit und auf Achtung des Privatlebens. Ein solches Erfordernis ist zudem weder notwendig noch verhältnismäßig, um die Zuverlässigkeit und Kohärenz eines öffentlichen Registers wie des Flüchtlingsregisters zu gewährleisten, da ein ärztliches Attest insoweit einen relevanten und hinreichenden Nachweis darstellen kann.

Der Sachverhalt:
Im Jahr 2014 wurde VP, einer Person mit iranischer Staatsangehörigkeit, in Ungarn die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wobei sie sich auf ihre Transidentität berufen und psychiatrische und gynäkologische Atteste vorgelegt hatte. Nach diesen Attesten wurde diese Person zwar als Frau geboren, hatte jedoch eine männliche Geschlechtsidentität. Nach der Zuerkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft auf dieser Grundlage wurde diese Person aber als Frau in das von der ungarischen Ausländerbehörde geführte Flüchtlingsregister eingetragen, das die Identifikationsdaten, darunter das Geschlecht, der Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft in Ungarn zuerkannt worden ist, enthält.

Im Jahr 2022 stellte VP bei der Behörde auf der Grundlage derselben ärztlichen Atteste nach der DSGVO u.a. einen Antrag auf Berichtigung der Angabe ihres Geschlechts im Flüchtlingsregister. Dieser Antrag wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, VP habe nicht nachgewiesen, dass sie sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen habe. VP erhob gegen diese Ablehnung Klage.

Das mit der Sache befasste Gericht in Ungarn setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor. Unter Hinweis darauf, dass das ungarische Recht kein Verfahren zur rechtlichen Anerkennung der Transidentität vorsehe, möchte das Gericht vom EuGH wissen, ob nach der DSGVO eine mit der Führung eines öffentlichen Registers betraute nationale Behörde verpflichtet ist, personenbezogene Daten betreffend die Geschlechtsidentität einer natürlichen Person zu berichtigen, wenn diese Daten nicht richtig sind, und ob ein Mitgliedstaat mittels Verwaltungspraxis die Ausübung des Rechts auf Berichtigung solcher Daten davon abhängig machen kann, dass insbesondere eine geschlechtsangleichende Operation nachgewiesen wird.

Die Gründe:
Die betroffene Person hat nach der DSGVO das Recht, von dem Verantwortlichen unverzüglich die Berichtigung sie betreffender unrichtiger personenbezogener Daten zu verlangen. Die Bestimmung des Art. 5 Abs. 1 Buchst. d und Art. 16 DSGVO konkretisiert das in der Charta der Grundrechte der EU verankerte Grundrecht (Art. 8 Abs. 2 Satz 2 der Charta), wonach jede Person das Recht hat, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken. Insoweit sind die Richtigkeit und die Vollständigkeit dieser Daten im Hinblick auf den Zweck zu beurteilen, für den die Daten erhoben wurden.

Vorliegend obliegt es dem ungarischen Gericht, die Richtigkeit der in Rede stehenden Angabe im Hinblick auf den Zweck, für den sie erhoben wurde, zu prüfen. Sollte die Erhebung dieser Angabe der Identifizierung der betroffenen Person dienen, dürfte sich diese Angabe wohl auf die von dieser Person gelebte Geschlechtsidentität beziehen und nicht auf die, die ihr bei der Geburt zugewiesen wurde. Ein Mitgliedstaat kann das Recht auf Berichtigung nicht mit der Begründung verweigern, dass es in seinem nationalen Recht kein Verfahren zur rechtlichen Anerkennung von Transidentität gebe. Denn das Unionsrecht lässt zwar die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Personenstands und der rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsidentität unberührt, diese Staaten müssen bei der Ausübung dieser Zuständigkeit jedoch das Unionsrecht, einschließlich der DSGVO im Licht der Charta, beachten.

Folglich ist die DSGVO dahin auszulegen, dass danach eine mit der Führung eines öffentlichen Registers betraute nationale Behörde verpflichtet ist, personenbezogene Daten betreffend die Geschlechtsidentität einer natürlichen Person zu berichtigen, wenn diese Daten nicht richtig im Sinne dieser Verordnung sind. Eine natürliche Person kann für die Zwecke der Ausübung ihres Rechts auf Berichtigung verpflichtet sein, relevante und hinreichende Nachweise vorzulegen, die vernünftigerweise verlangt werden können, um die Unrichtigkeit dieser Daten festzustellen. Ein Mitgliedstaat darf die Ausübung des Rechts auf Berichtigung jedoch keinesfalls davon abhängig machen, dass eine geschlechtsangleichende Operation nachgewiesen wird. Ein solches Erfordernis beeinträchtigt insbesondere den Wesensgehalt des Rechts auf Unversehrtheit (Art. 3 der Charta) und des Rechts auf Achtung des Privatlebens (Art. 7 der Charta). Außerdem ist ein solches Erfordernis jedenfalls weder notwendig noch verhältnismäßig, um die Zuverlässigkeit und Kohärenz eines öffentlichen Registers wie des Flüchtlingsregisters zu gewährleisten, da ein ärztliches Attest, einschließlich einer vorherigen Psychodiagnostik, insoweit einen relevanten und hinreichenden Nachweis darstellen kann.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | DSGVO
Art. 5 Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten
Plath in Plath (Hrsg.), DSGVO/BDSG/TTDSG, 4. Auflage
4. Aufl./Lfg. 04.2023

Kommentierung | DSGVO
Art. 16 Recht auf Berichtigung
Kamlah in Plath (Hrsg.), DSGVO/BDSG/TTDSG, 4. Auflage
4. Aufl./Lfg. 04.2023

Beratermodul Datenschutzrecht
Otto Schmidt Answers optional dazu buchen und die KI 4 Wochen gratis nutzen! Die Answers-Lizenz gilt für alle Answers-fähigen Module, die Sie im Abo oder im Test nutzen. Bearbeiten Sie zahlreiche bewährte Formulare mit LAWLIFT! Das Komplettangebot zum Datenschutzrecht. 4 Wochen gratis nutzen!



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.03.2025 14:25
Quelle: EuGH PM Nr. 34 vom 13.3.2025

zurück zur vorherigen Seite