Vor dem Hintergrund des Entwurfs zur DS-GVO sei es erlaubt, nochmals eine grundsätzliche Problematik aufzuwerfen – das Verbotsprinzip (s.a. Schneider, AnwBl 2011, 233). BDSG und EU-DSRL und nun die DS-GVO sind beherrscht vom Verbotsprinzip. Dies ist nicht zwingend der Charta geschuldet, da diese noch weitere Grundrechte enthält, die es stets abzuwägen gilt. Das Verbotsprinzip, das auch dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung entspricht, bedingt Zulässigkeitsregeln als Ausnahmen. Wenn keine Zulässigkeitsnorm die Verarbeitung erlaubt, bleibt diese verboten. § 29 BDSG ist gegenüber § 28 eine Privilegierung bestimmter Geschäftszweige. § 29 weicht das Erforderlichkeitsprinzip, erst recht die Gebote zu Datenvermeidung und Datensparsamkeit (§ 3a BDSG) auf und erweitert die Verarbeitungs- und Nutzungsmöglichkeiten, auch wenn mit der Novelle 2009 Einschränkungen erfolgten.
Eine aktuelle Entscheidung zu einem Bewertungsportal für Ärzte (OLG Frankfurt 8.3.2012 – 16 U 125/11), nahe an BGH – spickmich.de, aber nicht mehr mit geschlossener Benutzergruppe, gibt Anlass, die Frage nach der Bürgernähe und Praktikabilität des BDSG zu stellen und damit auch Überlegungen zur Nachbesserung bei der DS-GVO zu diskutieren. Ein wichtiges Anliegen des Datenschutzes und damit des BDSG muss sein, effektiven Schutz zu gewähren und diesen praktikabel zu gewährleisten. Zur Transparenz als Schutzprinzip – der Betroffene weiß, wer was über ihn legitimerweise weiß – gehört, dass auch die verantwortliche Stelle weiß, was sie darf. Bei der Subsumtion der zu beurteilenden Sachverhalte wäre grundsätzlich zwingend nach öffentlichem und nicht-öffentlichem Bereich zu unterscheiden, da im nichtöffentlichen Bereich im Prinzip gleichrangige Grundrechte zugunsten der verantwortlichen Stelle zu berücksichtigen und in der Praxis mit dem Verbotsprinzip abzuwägen sind.
Bewertungsportale stellen Meinungsäußerungen dar und müssten sich in der Zulässigkeit nicht am Verbotsprinzip, sondern an der Frage orientieren, wie gravierend der Eingriff in die Privatsphäre im Verhältnis zum Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit erscheint. Meinungsäußerung ist nicht primär verboten und nur ggf. erlaubt, wenn eine Norm dies vorsieht.
Das BDSG verbietet diese Kommunikationsfreiheit und bietet diese Abwägungsmechanik nicht, schon gar nicht an der gebotenen Stelle, nämlich vorrangig. Das Medienprivileg, § 41 BDSG, ist praktisch nur Auftrag an die Landesgesetzgeber. Diese Abwägungsmechanik würde eine Relativierung des Verbotsprinzips bzw. eine Verlagerung erfordern, nämlich dorthin, wo es um gravierende Eingriffe und besonders sensible Informationen geht.
Typisch für Abwägung ist, dass sich mindestens zwei Grundwerte gegenüberstehen. Schon BGH (23.6.2009 – VI ZR 196/08, CR 2009, 593– spickmich.de, Rz. 24) und nun OLG Frankfurt/M. projizieren die im BDSG fehlende Abwägungsmaßgabe in einen Begriff, der allein zugunsten des Betroffenen wirken kann. An etwa 9. Stelle im Subsumtionsprozess stößt man bei § 29 Abs. 1 Nr. 2 BDSG auf diesen Begriff (wie auch bei Nr. 1: „schutzwürdige Interessen“). Bei diesem geht es aber nicht um die Belange des Verantwortlichen, die bei § 29 BDSG vielmehr im Rahmen der Aufgabe (Werbung, Auskunftei, Adresshandel), der die Verarbeitung der personenbezogenen Daten „dient“, zu prüfen sind.
Das Ergebnis ist richtig: Ein Arzt, der sich Bewertungen in einem frei zugänglichen Internetportal ausgesetzt sieht, hat keinen Anspruch gegen den Betreiber des Portals auf Löschung des Eintrags. Aber wie mühsam wird dieses Ergebnis – auch schon bei spickmich.de – gewonnen! Es erfolgt eine Art Fortsetzung der Auslegung des wertausfüllungsbedürftigen Begriffs „schutzwürdiges Interesse“ (Rz. 24):
„Der wertausfüllungsbedürftige Begriff des „schutzwürdigen Interesses“ verlangt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a.a.O.) eine Abwägung des Interesses des Betroffenen an dem Schutz seiner Daten und des Stellenwerts, den die Offenlegung der Daten für ihn hat, mit den Interessen der Nutzer, für deren Zwecke die Speicherung erfolgt, unter Berücksichtigung der objektiven Wertordnung der Grundrechte. Im Streitfall hat dabei eine Abwägung zwischen dem Schutz des Rechtes der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und dem Recht auf Kommunikationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG zu erfolgen. Das Landgericht hat diese Abwägung sorgfältig und umfassend vorgenommen und ist zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass kein Grund zu der Annahme vorliegt, dass die Klägerin, die in ihrer Sozialsphäre betroffen ist, ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Datenverarbeitung hat.“
Wie BGH – spickmich.de – zeigt OLG Frankfurt 8.3.2012 – 16 U 125/11 wie umständlich das Ergebnis mit einer Begründung zu erlangen ist, deren Argumentationsgang eine Armutserklärung an die hochtrabenden Ziele des BDSG ist: Die eigentliche Entscheidungsleistung erfolgt über die Einführung einer Abwägung, ohne die das Gesetz verfassungswidrig ist. Diese Abwägung steht aber nicht im Gesetz und erfolgt methodisch fragwürdig zugunsten des Verarbeiters bei einem Begriff, der den Betroffenen schützt.
Will man Datenschutz effektiv und transparent gestalten (damit ihn auch derjenige versteht, der geschützt wird, aber auch derjenige, der ihn einhalten soll), muss man das Verbotsprinzip im nicht-öffentlichen Bereich verlagern (und die Abwägungsmechanik gegenüber den Rechten der Verarbeiter und Dritter hochrangig einbauen).
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S.a. OLG Düsseldorf v. 6.10. 1010 – I-15 U 80/08, 15 U 80/081.
Juris Orientierungssatz: 1. Bei der Feststellung der Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten geht es in § 29 Abs. 1 BDSG darum zu ermitteln, wie die Beeinträchtigung und die Schutzwürdigkeit des Betroffenen – vorliegend einer in einem Lehrerbewertungsportal bewerteten Lehrerin – im Hinblick auf die Gesamtumstände einschließlich der Belange der verantwortlichen Stelle zu gewichten sind.(Rn.50)