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IT- und Kommunikationsrecht: Diskussion am ersten DJT-Tag

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Auf der Basis der Thesen des Gutachters Prof. Spindler und der Referenten Dr. Dix, Dr. Osthaus und Prof. Schwartz (siehe hierzu Härting, DJT in München: Persönlichkeits- und Datenschutz im Netz, CRonline Blog v. 19.9.2012) gab es heute Nachmittag eine rege Diskussion, an der sich unter anderem der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, BVerfG-Richter Prof. Dr. Andreas L. Paulus, der Kölner Medienrechtler Prof. Dr. Karl-Nikolaus Peifer und Prof. Dr. Spiros Simitis sowie Viviane Redings Kabinettschef Prof. Dr. Martin Selmayr mit ausführlichen Redebeiträgen beteiligten.

Regelungskonzept

Die Diskussion fokussierte sich vor allem auf die von der EU-Kommission vorgeschlagene EU-Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO). Selmayr warb engagiert um Zustimmung für das Reformvorhaben und bat um Verständnis, dass man bei dem Entwurf auf „deutsche Gründlichkeit“ verzichtet habe. Gemeint waren damit die Vorschläge der EU-Kommission zum materiellen Datenschutzrecht. Denn der Entwurf enthält zwar sehr detaillierte Regelungen zu Behördenzuständigkeiten und behördlichen Verfahren, möchte aber einen guten Teil des materiellen Rechts einer genaueren Regelung per „Dekret“ überlassen. Der Verzicht auf ein präzises Regelungskonzept und die von der EU-Kommission beanspruchten weitreichenden eigenen Regelungsbefugnisse wurden vor allem von Simitis heftig kritisiert.

Schaar plädierte für differnzierte Regelungen. Nicht alle Datenverarbeitungsvorgänge sollten über einen regulatorische Kamm geschert werden. Für die Freiheit der Kommunikation solle ausreichend Spielraum bleiben.

Mit seinem Plädoyer für ein modernernes, differnziertes Datenschutzrecht, das an alltägliche Vorgänge der Datenverarbeitung nicht denselben Maßstab anlegt wie an die Verarbeitung von Daten mit sensiblem Persönlichkeitsbezug stand Schaar nicht allein. Vielfach kritisiert wurde das Beharren der EU-Kommission auf dem Verbotsprinzip, das letztlich unter anderem dazu führen würde, dass Datenschutzbehörden umfassende Zuständigkeiten zum umfassenden Schutz der Persönlichkeitsrechte be- bzw. erhielten. Ob eine bestimmte Äußerung im Netz eine Beleidigung oder Verleumdung darstelle, sollte nach Auffassung zahlreicher Diskutanten nicht durch eine staatliche (Datenschutz-)Behörde überwacht werden.

Praktische Konkordanz der Grundrechte

Nachdem Selmayr – ohne nachvollziehbare Begründung – die Behauptung in den Raum gestellt hatte, die EU-Grundrechtscharta kenne keine Differenzierung zwischen einer unmittelbaren Grundrechtsgeltung im Verhältnis Staat/Bürger und einer mittelbaren Wirkung im privaten Rechtsverkehr, stellte Paulus klar, dass sich dies mit dem deutschen Grundrechtsverständnis nicht verträgt. Auch eine Vielzahl anderer Teilnehmer betonte, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im privaten Rechtsverkehr nur eines von mehreren Grundrechten ist, das zu beachten ist. Die private Datenverarbeitung stellt ihrerseits eine grundrechtlich geschützte Betätigung dar. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kann nicht jeden Eingriff in die Kommunikationsfreiheit, die Berufs- und Eigentumsfreiheit oder die allgemeine Handlungsfreiheit rechtfertigen. Daher ist es verfehlt, die staatliche Datenverarbeitung – weitgehend – nach denselben Maßstäben zu behandeln wie die Datenverarbeitung durch private Unternehmen und durch Privatpersonen.

Die Diskussion wird morgen Vormittag fortgesetzt und am Nachmittag mit einer Beschlussfassung zu den Thesen des Gutachters und der Referenten beendet.

 

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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