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Warum „Datenminimierung“ kommunikations- und innovationsfeindlich ist

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„The Big Data Explosion“: Eine Infographik zeigt anschaulich das unfassbare Anwachsen der Datenbestände im Netz. So schätzt man beispielsweise, dass sich allein in den Jahren 2011 bis 2016 das Volumen der Internetdaten vervierfachen wird („The Big Data Explosion (Infographic)“, Whatsthebigdata.com v. 4.2.2013).

Ansätze in EU-Kommission und EU-Parlament

Der Brüsseler Entwurf einer DS-GVO möchte dieser Entwicklung entgegenwirken durch ein starres Festhalten am Grundsatz der Datensparsamkeit. Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten soll sich gemäß Art. 5 lit. c des Kommissions-Entwurfs auf das „für die Zwecke der Datenverarbeitung notwendige Mindestmaß“ beschränken. Und der Albrecht-Bericht möchte zusätzlich den Begriff der „Datenminimierung“ als Ziel des Datenschutzes einführen (vgl. Entwurf eines Berichts über dem Vorschlag für eine Datenschutz-Grundverordnung, Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, 2012/0011 (COD) v. 17.12.2012, Änderungsantrag 93, Seite 73).

Gesellschaftspolitische Dimension

Es sei einmal dahingestellt, ob „Datenminimierung“ überhaupt ein realistisches Ziel moderner Regulierung sein kann. Selbst wenn man noch an die Durchsetzbarkeit von „Datenvermeidung“ glaubt, stellt sich die viel grundlegendere Frage, ob es gesellschaftspolitisch richtig ist, die „Datenflut“ zu bremsen. Und diese Frage muss man entschieden verneinen:

  • Daten sind der Rohstoff der Kommunikation und Information. „Datenminimierung“ heißt daher zugleich „Kommunikations- und Informationsminimierung“. Dies ist sozialschädlich. Eine freie Gesellschaft braucht nicht weniger, sondern mehr Kommunikation.
  • Ob Verkehrslenkung (Verkehrstelematik, vgl. „‚Every new car‘ connected to web by 2014“, BBC News Technology v. 12.2.2013), Gesundheitsvorsorge oder intelligente Stromzähler: Je größer der ausgewertete Datenbestand ist, desto besser werden die Ergebnisse. Ein Stromzähler kann nur entweder „smart“ oder „datensparsam“ sein; nicht jedoch beides zugleich. Wer intelligente technische Lösungen möchte, kann den Anbietern nicht zugleich Datenaskese verordnen. „Datenminimierung“ ist innovationsfeindlich und rückwärtsgewandt.

Konstruktiver Ansatz zum Schutz persönlicher Daten

Statt weiter auf das falsche Pferd der Datensparsamkeit zu setzen, müssen persönliche Informationen stärker als bisher gegen Missbrauch und Zweckentfremdung geschützt werden:

  • Dienste, die auf „Big Data“ setzen, müssen stärker als bisher zur Sicherung der Daten gegen einen missbräuchlichen Zugriff verpflichtet werden.
  • Die zweckwidrige Verwendung von Datenbeständen muss verboten bleiben. Bei Verstößen gegen die Zweckbindung bedarf es verschärfter Sanktionen.
  • Die Pseudonymisierung und Anonymisierung von Daten muss gefördert werden. Dies wird nur gelingen, wenn das Datenschutzrecht durch eine Abschaffung des Verbotsprinzips und ein abgestuftes Regelungkonzept rundum erneuert wird. Von dem „Schwarz-Weiß-Denken“, das das geltende Recht prägt, wird man sich verabschieden müssen (vgl. Härting, „Mythen der EU-Datenschutzsreform: ‚Pseudonyme Nutzung'“, CRonline Blog v. 1.2.2013).

 

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

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