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BGH, Bearshare und die Schlussfolgerungen, die man aus einer Pressemitteilung nicht ziehen sollte

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Kaum war die Pressemitteilung des BGH zu Bearshare (Urteil v. 8.1.2014 – I ZR 169/12; Vorinstanzen: LG Köln, Urteil v. 24.11.2010 – 28 O 202/10, jurisOLG Köln, Urteil v. 22.7.2011 – 6 U 208/10, juris; BVerfG, Beschluss v. 21.3.2012 – 1 BvR 2365/11, CR 2012, 324 = ITRB 2012, (Rössel); OLG Köln, Urteil v. 17.8.2012 – 6 U 208/10, juris) nebst den Meldungen der wartenden Blogger und Twitterer draußen, überschlugen sich die Bewertungen zur Bedeutung und den Auswirkungen des Urteils. Das ist kühn, liegen doch bislang die Entscheidungsgründe noch nicht vor, sodass niemand weiß, ob in der Pressemitteilung möglicherweise Dinge stehen, die sich so im Urteil nicht wiederfinden, siehe das bekannte Beispiel „Sommer unseres Lebens“ (BGH, Urteil v. 12.5.2010 – I ZR 121/08, CR 2010, 458 m. Anm. HornungPressemitteilung einerseits, Urteilsgründe im Volltext andererseits).

Gegenstand der Entscheidung:  keine Haftung für volljährige Kinder ohne Kenntnis

Angeregt durch die Jubelstürme der Anti-Abmahnungs-Berufsträger hatte man zuweilen den Eindruck, als ob der BGH in seiner Pressemitteilung verkündet hätte, dass Anschlussinhaber nicht für Urheberrechtsverletzungen von Volljährigen haften. Damit sei das Urteil nicht nur auf volljährige Kinder (zu Minderjährigen hat der BGH bereits in Sachen Morpheus entschieden, Urteil v. 15.11.2012 – I ZR 74/12 = CR 2013, 324 m. Anm. Brüggemann), sondern auch auf Arbeitnehmer und (volljährige) Dritte anwendbar.

Leider hat eine solche Auslegung nichts mehr mit dem Wortlaut der Pressemitteilung zu tun, ungeachtet der Frage, ob der BGH möglicherweise in einem Obiter Dictum in den Urteilsgründen doch einige Worte zur Haftung anderer Volljähriger als Kinder verlieren wird – was derzeit außer den beim BGH beteiligten Juristen niemand weiß.

In der Pressemitteilung des BGH heißt es wörtlich (das ist die einzige inhaltliche Aussage dort):

„Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Bei der Überlassung eines Internetanschlusses an volljährige Familienangehörige ist zu berücksichtigen, dass die Überlassung durch den Anschlussinhaber auf familiärer Verbundenheit beruht und Volljährige für ihre Handlungen selbst verantwortlich sind. Im Blick auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Familienangehörigen und die Eigenverantwortung von Volljährigen darf der Anschlussinhaber einem volljährigen Familienangehörigen seinen Internetanschluss überlassen, ohne diesen belehren oder überwachen zu müssen; erst wenn der Anschlussinhaber – etwa aufgrund einer Abmahnung – konkreten Anlass für die Befürchtung hat, dass der volljährige Familienangehörige den Internetanschluss für Rechtsverletzungen missbraucht, hat er die zur Verhinderung von Rechtsverletzungen erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Da der Beklagte nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen keine Anhaltspunkte dafür hatte, dass sein volljähriger Stiefsohn den Internetanschluss zur rechtswidrigen Teilnahme an Tauschbörsen missbraucht, haftet er auch dann nicht als Störer für Urheberrechtsverletzungen seines Stiefsohnes auf Unterlassung, wenn er ihn nicht oder nicht hinreichend über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Tauschbörsen belehrt haben sollte.“
Pressemitteilung des BGH Nr. 5/14 v. 8.1.2014 (letzter Absatz; Hervorhebungen nicht im Original)

Kumulativ notwendige Voraussetzungen: Familienverhältnis und Eigenverantwortung des Volljährigen

Damit hebt der BGH – noch einmal: in der rechtlich bedeutungslosen Pressemitteilung – ausschließlich auf zwei Umstände ab, die zu einer Enthaftung des Anschlussinhabers bei Unkenntnis vom rechtswidrigen Tun über den Anschluss führen:

  1. das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern als Familienangehörige, und
  2. die Eigenverantwortung von Volljährigen.

Für den Fall, dass diese beiden Voraussetzungen kumulativ (nicht alternativ!) vorliegen, darf der Anschlussinhaber den Zugang überlassen, ohne vorher belehren und ggf. überwachen zu müssen. Das bedeutet umgekehrt nichts anderes, als dass in anderen Konstellati0nen grundsätzlich von einer Belehrungs- und ggf. Überwachungspflicht des Anschlussinhabers auszugehen ist, es sei denn, es liegen andere, besondere Umstände vor, die eine Belehrung und/oder Überwachung ausnahmsweise entbehrlich oder unzumutbar machen. Auch das sollte, wenn man schon über die Pressemitteilung berichtet, als Kernaussage nicht verschwiegen werden, gibt dies doch einen Maßstab für die Beurteilung anderer Fälle vor.

Berücksichtigung des Schutzes der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG

Hintergrund für die Privilegierung des Vertrauensverhältnisses zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern dürfte – neben der familiären Verbundenheit in einem Haushalt – auch der Schutz der Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG sein. Dies wird untergerichtlich vielfach ignoriert, worauf ich in CR bereits 2009 hingewiesen habe (OLG Köln, Urteil v. 23.12.2009 – 6 U 101/09, CR 2010, 336 (338) m.Anm. Kremer):

Übersehen worden ist leider (wie in der Diskussion insgesamt) die verfassungsrechtliche Dimension der Haftung des Anschlussinhabers für (Urheber-)Rechtsverletzungen von Familienangehörigen. Eine Haftung als Störer verlangt als anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal zwingend die Verletzung zumutbarer Überwachungspflichten. Die Zumutbarkeit derartiger Überwachungspflichten orientiert sich dabei nicht nur an dem tatsächlich und wirtschaftlich für den Anschlussinhaber Machbaren, sondern insbesondere auch an der Verhältnismäßigkeit der dem Anschlussinhaber im Verhältnis zu dem verfolgten Ziel aufzuerlegenden Überwachungspflichten. Eine Entscheidung darüber, was dem Anschlussinhaber im Verhältnis zu seinen Familienangehörigen zumutbar ist, kann deshalb ohne Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen nicht getroffen werden: Der von den Überwachungspflichten betroffene Anschlussinhaber kann für sich Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GG anführen, während sich umgekehrt der von der Rechtsverletzung betroffene Rechteinhaber auf Art. 14 Abs. 1 GG und ggf. Art. 12 Abs. 1 GG berufen kann. Das sich hieraus ergebende Spannungsverhältnis bedarf der Auflösung, will man nicht die mittelbare Drittwirkung der vorbenannten Grundrechte auf die Bemessung der Zumutbarkeit grundsätzlich leugnen. Es bleibt abzuwarten, ob und wieweit diese verfassungsrechtliche Dimension zukünftig Berücksichtigung finden wird.“
[OLG Köln, Urteil v. 23.12.2009 – 6 U 101/09, CR 2010, 336 (338) m.Anm. Kremer (Hervorhebungen hinzugefügt)]

Keine Übertragung auf Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis

Die Annahmen des BGH für eine Haftungsprivilegierung von Eltern volljähriger Kinder lassen sich nicht ohne weiteres auf das Arbeitsverhältnis übertragen.

Zwar bestehen auch im Arbeitsverhältnis wechselseitige Rücksichtnahme-, Fürsorge- und Treuepflichten (vgl. etwa die §§ 617 ff. BGB).

Soweit es um ein schutzwürdiges Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geht, ist jedoch aus anderen Sachverhalten hinlänglich bekannt, dass das Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer – jedenfalls zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses – bei weitem nicht so weit reicht wie das verfassungsrechtlich sogar durch Art. 6 Abs. 1 GG (dazu oben) geschützte Vertrauensverhältnis von Eltern zu ihren (volljährigen) Kindern.

  • Beispiel: Überlassung betrieblicher Pkw

Will etwa der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer einen betrieblichen Pkw zur Nutzung überlassen (gleich ob zu betrieblichen oder privaten Zwecken), darf der Arbeitgeber dem Versprechen des Arbeitnehmers, er verfüge über eine gültige Fahrerlaubnis und habe einen Führerschein, nicht vertrauen, sondern muss diese Behauptung durch Prüfung des im Original vorzulegenden Führerscheins verifizieren und das Ergebnis dieser Kontrolle dokumentieren (sog. Halterverantwortlichkeit). Ebenso muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über die zulässige Nutzung des zu überlassenden Pkw und etwaige zu beachtende Besonderheiten oder Verbote belehren. Anderenfalls haftet der Arbeitgeber (als Halter des betroffenen Pkw) zivilrechtlich, strafrechtlich und nach diversen Ordnungswidrigkeitentatbeständen.

  • Beispiel: Überlassung betrieblicher Internetzugang

Ebenso wird dies bei der Überlassung eines betrieblichen Internetzugangs (zur betrieblichen oder privaten Nutzung) an den Arbeitnehmer sein:

Der Arbeitgeber darf nicht auf ein rechtmäßiges Verhalten des Arbeitnehmers vertrauen. Vielmehr muss er angesichts der weiten Verbreitung des Filesharing trotz jahrelanger Berichterstattung über dessen Rechtswidrigkeit damit rechnen, dass Arbeitnehmer den betrieblichen Internetzugang (auch) zur Begehung von Urheberrechtsverletzungen oder anderen Rechtsverletzungen nutzen könnten. Ein Vertrauenstatbestand, insbesondere gegenüber volljährigen Arbeitnehmern, kann sich erst durch Übung herausbilden. Erst wenn ein solches Vertrauensverhältnis gewachsen ist (die Zeitspanne mag abhängig von Größe und Organisationsform des Unternehmens unterschiedlich sein), ist Raum für eine Übertragung der Überlegungen des BGH aus Bearshare auf das Arbeitsverhältnis.

Keine Übertragung auf andere Dritte

Bezogen auf andere Dritte, welche den Internetzugang des Anschlussinhabers mitnutzen, etwa Besucher in der WG (dazu wie hier auch Stadler, „Eltern haften nicht für ihre volljährigen Kinder“ Legal Tribune Online v. 9.1.2014 und Mantz, „Bundesgerichtshof zur Störerhaftung des Anschlussinhabers bei Filesharing volljähriger Kinder – Bearshare, Offene Netze und Recht v. 8.1.2014) oder auf dem Betriebsgelände, ist die Bewertung noch eindeutiger als im Arbeitsverhältnis:

Im Verhältnis zu Dritten fehlt es – von Sonderfällen abgesehen (etwa einer jahrelangen vertrauensvollen und intensiven Freundschaft zwischen zwei Menschen, die sich gegenseitig aus dieser Freundschaft heraus blind vertrauen) – schon an jeglichem „Grund-Vertrauen“, welches man im Arbeitsverhältnis immerhin ggf. noch annehmen kann.

Insbesondere, wenn der Dritte bei der Nutzung des fremden Internetzugangs anonym bleiben kann (was vor dem Hintergrund von § 13 Abs. 6 TMG und dem Gebot der Datenvermeidung und Datensparsamkeit aus § 3a BDSG grundsätzlich zu begrüßen ist), bedarf die Überlassung des Internetzugangs durch den Anschlussinhaber mindestens einer vorherigen Belehrung, ggf. auch einer Kontrolle oder Beschränkung der Nutzung. Anderenfalls bleibt das für die Rechtsprechung in der Störerhaftung relevante Einfallstor der zumutbaren Prüfpflichten für die Haftung des Anschlussinhabers weit geöffnet (zu Störerhaftung und Prüfpflichten siehe  Kremer, “KG: Haftungsprivilegierungen im TMG doch auf Unterlassungsansprüche anwendbar”, CRonline Blog v. 14.10.2013; Kremer, „Der BGH, das TMG und die Unterlassungsansprüche – Teil 2“, CRonline Blog v. 16.12.2013ausführlich zu den unterschiedlichen Ansätzen im Markenrecht, Wettbewerbsrecht und beim Persönlichkeitsschutz siehe Härting, “BGH: Rechtsprechung zu den Prüfungspflichten der Online-Dienste – ein Überblick”, CRonline Blog v. 25.5.2013).

Fazit

Mit Schlussfolgerungen aus Pressemitteilungen oder gar Sekundärmeldungen, die auf Pressemitteilungen beruhen, sollte vorsichtig umgegangen werden. Wenn überhaupt Schlussfolgerungen aus der Pressemitteilung des BGH zu Bearshare gezogen werden können, dann wohl nur die, dass

  • elterliches Vertrauen:  im Verhältnis von Eltern zu ihren volljährigen Kindern eine Haftung der Eltern für Urheberrechtsverletzungen über ihren Internetzugang ohne deren Kenntnis davon ausscheidet,
  • zumutbare Prüfpflichten:  der BGH grundsätzlich Belehrungs- und ggf. auch Überwachungspflichten des Anschlussinhabers als zumutbare Prüfpflichten in Betracht zieht, und
  • Keine Übertragbarkeit:  eine Übertragung des Urteils auf andere Volljährige, insbesondere Arbeitnehmer und Dritte, sich allein nach der Pressemitteilung des BGH verbietet.

In einigen Wochen, wenn die Entscheidungsgründe vorliegen und sich vielleicht ein Angehöriger des Senats oder dessen wissenschaftliche Mitarbeiter auf einer Veranstaltung zu den Hintergründen von Bearshare geäußert hat, wissen wir alle vielleicht mehr.

 

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