Das OLG Hamm hat in einer neuen Entscheidung (OLG Hamm, Urt. v. 15.5.2014 – 22 U 60/13, juris) angenommen, bei im Internet heruntergeladenen Hörbüchern greife der Erschöpfungsgrundsatz des § 17 Abs. 2 UrhG nicht ein. Sie dürften daher vom Erwerber nicht weitergegeben werden. Ein entsprechendes Weiterveräußerungsverbot verstoße mithin nicht gegen § 307 Abs. 2 BGB, gebe es doch nur die gesetzliche Rechtslage wieder.
Eine Rechtsprechungslinie
Diese Entscheidung ist als solche nicht sonderlich überraschend, liegt sie im Ergebnis doch auf der Linie anderer Oberlandesgerichte (z.B. OLG Stuttgart, Urt. v. 2.11.2011 – 2 U 49/11, CR 2012, 299 m. Anm. Schmidt). Auch die Vorinstanz (LG Bielefeld, Urt. v. 5.3.2013 – 4 O 191/11, CR 2013, 812) hatte gleich entschieden.
Keine Begründung
Nicht ganz ungewöhnlich an der Begründung ist auch, dass sich nach Ansicht des OLG Hamm das Ergebnis schon daraus erklärt, dass die Bereitstellung von Hörbüchern zum Download nicht dem Verbreitungsrecht des § 17 UrhG, sondern nur dem Recht der Öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a UrhG unterfalle und schon daher der Erschöpfungsgrundsatz nicht eingreife. Der Erschöpfungsgrundsatz hinge auch mit dem Sachenrecht zusammen (OLG Hamm, Urt. v. 15.5.2014 – 22 U 60/13, juris Rz. 105). Dies sei bei heruntergeladenen Dateien nicht der Fall. Deswegen bestehe auch keine systemwidrige Regelungslücke, so dass auch keine analoge Anwendung des Erschöpfungsgrundsatzes geboten sei. Letztendlich ergebe sich all das auch aus den Regelungen in der einschlägigen EG-Richtlinie 2001/29/EG bzw. des WIPO Copyright Treaty (WCT). Dies alles liegt auf der Hauptlinie der h.M. im Urheberrecht, wie sie bis zur UsedSoft-Entscheidung des EuGH (EuGH, Urt. v. 3.7.2012 – Rs. C-12/11, CR 2012, 498 ff.; unmittelbar dazu Schneider/Spindler, „Der Kampf um die gebrauchte Software – Revolution im Urheberrecht? „, CR 2012, 489 ff. und Vinje/Marsland/Gärtner, „Software Licensing After Oracle v. UsedSoft„, CRi 2012, 97 ff.) auch für Software galt.
- Vertragstypologische Einordnung
Schon bemerkenswerter ist die Aussage, die vertragstypologische Einordnung eines Vertrages über den Download von Hörbüchern sei weitgehend ungeklärt (OLG Hamm, Urt. v. 15.5.2014 – 22 U 60/13, juris Rz. 129). Niemand dürfe hier eine eigentümerähnliche Stellung des Erwerbers erwarten können. Vielmehr sei allen bekannt, dass per Download erworbene Produkte urheberrechtlich nur begrenzt genutzt werden könnten.
Schon beim Erwerb von auf Datenträgern verkörperten digitalen Produkten sei es im Übrigen zweifelhaft, ob die Möglichkeit der Weitergabe des Nutzungsrechts Vertragszweck oder eher Reflex der der Verkehrssicherheit geschuldeten Erschöpfung des Verbreitungsrechts bei Inverkehrbringens verkörperter Vervielfältigungsstücke ist (OLG Hamm, Urt. v. 15.5.2014 – 22 U 60/13, juris Rz. 130).
Der letztere Satz ist bei all denjenigen, die CD´s zum Verschenken kaufen, schlicht falsch. Auch die Erwartungshaltung desjenigen, der ein Hörbüchern zum Download erwirbt, ist möglicherweise nicht so eingeschränkt, wie der Senat es sieht. Im Übrigen sieht die weit überwiegende Meinung in Verträgen zum Herunterladen auf Dauer gegen Einmalentgelt Kaufverträge über sonstige Gegenstände im Sinne von § 453 BGB (Nachweise bei Redeker, IT-Recht, 5. Aufl., Rz. 1138; ferner Bahr, Recht des Adresshandels, 2011,Rz. 760ff.).
- Geltung des Erschöpfungsgrundsatzes für Download-Computerprogramme
Ungewöhnlich ist des Weiteren die Behandlung der UsedSoft-Entscheidung des EuGH. Zwar wird im Ansatz richtig ausgeführt, dass diese Entscheidung auf der Computerprogrammrichtlinie (ursprünglich 91/250/EWG) als lex specialis beruhe. Dies hat auch der EuGH betont.
Ungewöhnlich wird es aber dort, wo behauptet wird, der EuGH habe nicht ausgesprochen, dass der Erschöpfungsgrundsatz des § 17 Abs. 2 UrhG nicht für Computerprogramme gelte, die im Wege des Herunterladens aus dem Internet erworben wurden (OLG Hamm, Urt. v. 15.5.2014 – 22 U 60/13, juris Rz. 107). Der EuGH hat aber gerade solche Programme beurteilt und auf sie den Erschöpfungsgrundsatz angewendet. Dass er sich dabei nicht mit § 17 UrhG beschäftigt hat, ergibt sich schon daraus, dass er sich mit der Auslegung europäischer Richtlinien und nicht von deutschen Gesetzen beschäftigt hat.
- Eigentumsübertragung von Software
Unklar und eher falsch sind auch die Ausführungen zur Interpretation des EuGH bei der Eigentumsübertragung von Software. Der Senat meint den EuGH so verstehen zu müssen, dass – nur – bei Computerprogrammen die Eigentumsübertragung auch anders als durch die Übergabe eines körperlichen Vervielfältigungsstücks erfolgen könne (OLG Hamm, Urt. v. 15.5.2014 – 22 U 60/13, juris Rz. 126).
Diese Überlegungen knüpfen zu sehr an die sachenrechtliche Eigentumsübertragung nach dem BGB an, die der EuGH nicht gemeint hat. Der EuGH hat auch bei seinen Überlegungen zum Eigentumsübergang nicht an Besonderheiten von Softwareprogrammen, sondern an Besonderheiten digitaler Produkte angeknüpft, die auch für Hörbücher gelten. Insgesamt versucht der Senat, Software auch faktisch als ein ganz besonderes digitales Produkt zu beschreiben, das sich auch sachlich von allen anderen digitalen Produkten unterscheide. Sachliche Gründe – über die Besonderheiten der Softwarerichtlinie hinaus – nennt er nicht. Es gibt sie auch nicht. Der Senat versucht nur, die Auswirkungen der UsedSoft-Entscheidung des EuGH möglichst klein zu halten.
- Historische Motive des Gesetzgebers
Die vom Text her sehr umfangreiche Begründung beschäftigt sich auffällig breit mit Überlegungen des historischen Gesetzgebers beim Erlass verschiedener urheberrechtlicher Normen – von der Umsetzung der Softwarerichtlinie über die Einfügung des § 19a UrhG bis hin zu abgelehnten Oppositionsanträgen. Diese Überlegungen können wichtig sein, sind aber generell nur eine, oft eher nachrangige Auslegungsmethode. Bei der rasanten Entwicklung des Internets und der dort angebotenen Dienste muss man solchen Überlegungen grundsätzlich eher zurückhaltend sein, weil sie die aktuelle Situation oft gar nicht berücksichtigen können. Die starke Konzentration des Senats auf die Absichten des historischen Gesetzgebers hilft daher der Lösung der heutigen Probleme nur wenig.
Eine verpatzte Gelegenheit
Insgesamt macht die gesamte Entscheidung den Eindruck, die sich aus der Digitalisierung des Marktes ergebenden Konsequenzen für das Urheberrecht möglichst schon sachlich zu leugnen, anstatt sich mit ihnen zu beschäftigen.
- Verkennung des Sachverhalts
So kann man schlecht leugnen, dass der Erwerb digitaler Güter im Internet stark den Erwerb physikalisch verkörperter digitaler oder nicht digitaler Güter substitutiert und sich darum die Frage aufdrängt, ob beide Märkte auch rechtlich nicht gleich behandelt werden müssten (vgl. näher Redeker, „Das Konzept der digitalen Erschöpfung – Urheberrecht für die digitale Welt“, CR 2014, 73 ff.). Genau dieses Argument hat ja auch den EuGH maßgeblich zu seiner UsedSoft-Entscheidung bewogen.
Es gibt durchaus auch Argumente, eine vollständige Gleichstellung abzulehnen, z.B. die Tatsache, dass sich digitale Güter nicht abnutzen. Damit beschäftigt sich der Senat des OLG Hamm aber kaum, obwohl hier auch ein gutes Argument zur Unterscheidung idR pflegebedürftiger Software von anderen digitalen Gütern liegt. Der Senat ignoriert schlicht das Problem mit dem Argument, Software sei etwas Besonderes. Schon diese Art der Argumentation lässt die Entscheidung unbefriedigend erscheinen.
- Grundsätzliche Bedeutung für Revision
Ärgerlich wird sie dort, wo sie die Revision nicht zulässt, weil die Rechtssache keine grundlegende Bedeutung habe. Genau diese grundsätzliche Bedeutung hat sie aber! Das zeigt auch die UsedSoft-Entscheidung des EuGH. Die Frage, ob ähnliche Überlegungen zu einer ähnlichen Auslegung anderer EU-Richtlinien zwingen, ist eine wichtige europarechtliche Frage, die durchaus grundsätzliche Bedeutung hat. Auch die sachlich neuen Probleme eines digitalen Marktes geben der Sache grundsätzliche Bedeutung. Hier hätte der Senat die Revision zulassen müssen.
Allerdings: Auch das OLG München (Urt. v. 3.7.2008 – 6 U 2759/07, CR 2008, 551 m. Anm. Bräutigam) hatte in seiner UsedSoft-Entscheidung die Revision nicht zugelassen, weil die Rechtsfrage klar zu beantworten sei und die Sache keine grundsätzliche Bedeutung habe. Der BGH ließ die Revision zu – der EuGH beantwortete sie nicht im Sinne des OLG München, sondern genau im gegenteiligen Sinne. Aus dieser Entwicklung hat das OLG Hamm keine Konsequenzen gezogen, sondern verharrt im urheberrechtlichen Status Quo. Mehr Mut wäre hier zu wünschen gewesen.