Das Landgericht Hamburg hatte einem Online-Unternehmen per einstweiliger Verfügung (Ewald, „Blizzard verbietet Bossland-Bot per einstweiliger Verfügung“, online.spiele.recht v. 22.6.2012; bestätigt durch LG Hamburg, Urt. v. 19.7.2013 – 312 O 322/12, CR 2013, 120 ff.) aus wettbewerbsrechtlichen Gründen untersagt, im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eine Software anzubieten oder zu verbreiten, die Spielzüge in Onlinespielen automatisiert (ein so genannter Bot). Daraufhin hatte das Unternehmen den Zugriff auf seine deutsche Webseite für deutsche IP-Adressen gesperrt. Nicht genug aus Sicht des LG Hamburg, das auf Antrag der Gläubigerin nun ein Ordnungsgeld von EUR 10.000 verhängt hat (LG Hamburg, Beschl. v. 3.6.2014 – 312 O 322/12 (Volltext)).
Umgehung der einfachen Zugriffssperre
Die Schuldnerin hatte zwar deutsche IP-Adressen ausgesperrt und nahm auch keine Zahlungen mit „deutschen“ Zahlungsmitteln mehr an. Weiter auch aus Deutschland heraus abrufbar war aber eine englischsprachige Webseite unter einer .com-Domain, die die Software bewarb. Auch die deutsche Webseite war für Nutzer mit geographischem Standort innerhalb Deutschlands weiterhin erreichbar, wenn sie keine deutsche IP-Adresse verwendeten, insbesondere also beim Einsatz von Proxy-Servern oder Virtual Private Networks (VPNs) mit Standort im Ausland. Schließlich konnten deutsche Nutzer das Programm auch erwerben und mittels Paypal bezahlen, weil dieser Dienst von der Schuldnerin nicht als „deutsches“ Zahlungsmittel geführt wurde.
Kein Zugriff über Proxy-Server und VPN
Das LG Hamburg stellt in der Begründung heraus, dass die Zielgruppe des verbotenen Produktes aus Nutzern mit überdurchschnittlicher Interneterfahrung besteht. Jedenfalls bei einer solchen Zielgruppe sei damit zu rechnen, dass sie auch Proxy-Server und VPNs benutze, um Sperren im Netz zu umgehen. Hierzu trage auch die Tatsache bei, dass eine englischsprachige Seite mit Produktinformationen weiterhin frei zugänglich sei und das Interesse potentieller Kunden entfachen könne.  Die Unterlassungsverfügung verpflichte die Schuldnerin dazu, alle im konkreten Fall erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, die einen Bezug des Bots aus Deutschland heraus verhinderten – dazu gehöre auch, dass sie den Zugriff auf die Seite über Proxy-Server und VPNs unterbinde.
Paradigmenwechsel bei Sperrungsverpflichtungen
Mit diesem Beschluss deutet das LG Hamburg einen Paradigmenwechsel der Rechtsprechung zur Sperrung von Inhalten im Internet an. Noch vor einigen Jahren hatte das VG Düsseldorf im Rahmen einer Auseinandersetzung um Sperrungsverfügungen auf Grundlage des Glücksspiel-Staatsvertrages geurteilt, dass eine Umgehung von Zugangssperren per Proxy-Server und VPN nicht ganz ausgeschlossen, dieser Umstand aber „in der Praxis … hinnehmbar“ sei, also gerade keinen Verstoß gegen die Verfügung darstelle (VG Düsseldorf, Beschl. v. 22.7.2010 – 27 L 1469/09, juris).
Das LG Hamburg geht nun den entgegen gesetzten Weg. Das überrascht zunächst einmal nicht: Der Betrieb von Proxy-Servern und VPNs (oftmals gerade mit Ziel der Überwindung von Geoblocking-Maßnahmen!) ist längst ein florierendes Geschäftsmodell, das den Einsatz auch für technisch weniger versierte Nutzer leicht ermöglicht.
Zusätzlich stellt das LG Hamburg allerdings auf die besondere Zusammensetzung der Zielgruppe ab, was die Allgemeingültigkeit der rechtlichen Bewertung wieder relativiert. Weiß der durchschnittliche Online-Rollenspieler mehr als der durchschnittliche Online-Glücksspieler? Und war letztlich hauptsächlich dieser Wissensvorsprung ausschlaggebend für die Entscheidung? Diese Punkte bleiben bedauerlicherweise offen.
Technische Umsetzung einer „Diensterkennung“
Die strengere Sichtweise des LG Hamburg wirft zudem die Frage auf, inwieweit die angemahnte „Diensterkennung“ technisch überhaupt umsetzbar ist, ob also eine eingehende Verbindung überhaupt automatisch als Proxy- oder VPN-Verbindung erkannt werden kann. Wirklich automatisch erkannt werden können nur solche transparente Proxies, die in jeder Verbindungsanfrage zugleich melden, dass es sich um einen Proxy-Server handelt. Fehlt diese Meldung, sieht die Anfrage für den Server der Schuldnerin aus wie jede andere Verbindungsanfrage auch.
Die Schuldnerin kann aber noch mehr tun, nämlich die IP-Adress-Bereiche kommerzieller Proxy- und VPN-Dienste zusätzlich zu den deutschen IP-Adressen in Sperrlisten aufnehmen und damit die Zugriffsmöglichkeit aus Deutschland heraus weiter einschränken. Ähnlich wie die Pflicht von Sharehostern zur kontinuierlichen Ãœberprüfung externer Link-Listen (BGH, Urt. v. 12.7.2012 – I ZR 18/11, CR 2013, 190 ff. m. Anm. Tinnefeld; Hilgert, „BGH: Rapidshare haftet als Störer für Nutzer und externe Linklisten“, online.spiele.recht v. 17.7.2012) dürfte auch eine solche Pflicht zumutbar sein. Dass die Sperrliste für bekannte Proxy-, VPN- und Anonymisierungsdienste nie vollständig wäre, liegt auf der Hand. Große, häufig verwendete Dienste wird die Schuldnerin aber durch zumutbare Marktbeobachtung erkennen und aufnehmen können.
Fazit und Ausblick
Für Unterlassungsschuldner wird es künftig aufwändiger, die Verbreitung bestimmter Informationen im Internet beschränkt auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen. Das Minimalprogramm – Sperrung deutscher IP-Adressblöcke – genügt nicht mehr ohne Weiteres den Anforderungen der Rechtsprechung.
Welche Rolle insoweit die Zusammensetzung der Zielgruppe eines Angebots spielt, ist nicht abschließend geklärt. Da sich aber technische Kenntnisse in Bezug auf Internetthemen, auch unter dem Eindruck aktueller Ereignisse wie der NSA-Affäre, in immer größeren Bevölkerungsschichten verbreiten, dürfte in Zukunft ganz grundsätzlich die Führung von Proxy- und VPN-Sperrlisten erforderlich sein, um nicht gegen solche Unterlassungsverpflichtungen zu verstoßen.