Der öffentliche Raum ist in Gefahr. Durch eine rigide Anwendung des Datenschutzrechts droht eine Privatisierung. Das Google Spain-Urteil des EuGH ist ein Beispiel für diese Tendenz (EuGH, Urt. v. 13.5.2014 – C-131/12, CR 2014, 460 ff.). Und auch die Debatte um Google Street View und die „Verpixelung“ von Häusern zeigte, dass sich Privatisierungstendenzen im öffentlichen Raum immer stärker bemerkbar machen.
Manuel Klar hat im Jahre 2012 in Regensburg promoviert. Thema seiner Arbeit: „Datenschutzrecht und die Visualisierung des öffentlichen Raums„. In weiser Voraussicht beschränkte sich die Arbeit nicht auf Google Street View – die Sau, die seinerzeit durch alle medialen Dörfer gehetzt wurde. Vielmehr befasst sich Klar auch mit Satelliten- und Luftaufnahmen, mit der Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze sowie mit biometrischen Verfahren. Fazit (S. 256 ff.): Das geltende Recht kann die Gefahren für die Persönlichkeitsrechte im Großen und Ganzen recht gut bewältigen, obwohl die Rechtsanwendung durch das Dickicht zahlreicher Einzelnormen – von § 6b BDSG bis zu den §§ 22 KUG – nicht immer leicht fällt.
Der Schutz des öffentlichen Raums war nicht das Thema der sehr gründlichen und differenzierten Arbeit. Um überbordende Einschränkungen zu vermeiden, vertritt Klar jedoch die Auffassung, dass der datenschutzrechtliche Begriff des Personenbezugs relativ zu verstehen ist (S. 144 ff.). En passant zeigt Klar zudem Defizite des Schutzes der Öffentlichkeit auf. Der EuGH hätte den freien Zugang zu Informationen als Gegengewicht zu Persönlichkeitsrechten im Google Spain-Urteil nicht ausblenden können, wenn ein solches Recht verfassungsrechtlich solide verankert wäre. Dies ist indes nicht der Fall. Klar zeigt auf, dass es kein umfassendes „Recht auf Datenumgang“ gibt, sondern einen Flickenteppich von Rechten, der sich aus Meinungs- und Informationsfreiheit, Berufs-, Eigentums- und allgemeiner Handlungsfreiheit zusammensetzt (S. 75 ff.).
Wer die Ansicht einer belebten Straße fotografiert, braucht heute vor einer Veröffentlichung des Bildes vielfach anwaltlichen Rat. Dies wäre unvorstellbar gewesen in den Zeiten, aus denen der Begriff der „Ansichtspostkarte“ stammt. Und selbst die Abbildung eines menschenleeren Hauses wird zum Datenschutzproblem, wenn eine Digitalkamera benutzt wird (S. 129 ff.). Wenn auf diese Weise der öffentliche Raum mehr und mehr parzelliert und privatisiert wird, ist das EuGH-Urteil zu Google Spain (EuGH, Urt. v. 13.5.2014 – C-131/12, CR 2014, 460 ff.) letztlich nur noch eine Ãœbertragung von Standards aus dem „realen“ öffentlichen Raum in den nicht weniger öffentlichen Raum des Netzes.
Die digitale Technologie schafft Risiken, vor denen man Bürger schützen muss. Dies steht außer Frage. Aber auch der öffentliche Raum braucht gute Anwälte. Seit den Zeiten des Forum Romanum zählt der öffentliche Raum zu den Grundbedingungen einer demokratischen Gesellschaft und eines funktionierenden Gemeinwesens. Wer sich in diesem Raum bewegt, muss es ertragen, von anderen wahrgenommen und womöglich auch nicht schnell vergessen zu werden.
Manuel Klar ist zuzustimmen, dass es in der Öffentlichkeit kein Recht auf Rückzug in die Anonymität geben kann (S. 71 f.). Ein pauschales „Recht auf Anonymität“ gibt es nicht, der öffentliche Raum kennt keine Rückzugsgebiete. Dies steht nicht im Widerspruch dazu, dass es bei der Ausübung einzelner Grundrechte keine „Klarnamenpflicht“ geben darf. Die Teilnahme an öffentlichen Versammlungen (Art. 8 GG) darf nicht vom Vorzeigen eines Ausweispapiers abhängig gemacht werden, und die Meinungsfreiheit ist – offline und online – auch dann geschützt, wenn sie anonym erfolgt.
Das Google Spain-Urteil des EuGH (EuGH, Urt. v. 13.5.2014 – C-131/12, CR 2014, 460 ff.) ist hoffentlich ein Weckruf für die Belebung, Stärkung und Verteidigung des öffentlichen Raums. Wer hierfür Argumente braucht, wird bei Manuel Klar schnell fündig.