Unter Vorsitz des Google-Aufsichtsratsvorsitzenden Eric Schmidt tagte heute in Berlin das Google Advisory Council zum Recht auf Vergessen und hörte acht Experten an (vgl. „Right to be forgotten advisory council in Berlin and London“ Google Europe Blog v. 6.10.2014; „Recht auf Vergessen: Weniger löschen ist mehr“, tagesspiegel.de v. 14.10.2014; „Google Beirat in Berlin: Im Zweifel löschen?“, faz.net v. 14.10.2014).
Mein Statement im Wortlaut:
Vor vielen Jahren stand ich im Hörsaal mit dem Rücken zu meinen Studenten. Ich zeichnete eine Skizze auf die Tafel und bemerkte auf einmal Unruhe im Saal. Und dann merkte ich, dass sich meine Hosennaht verabschiedet hatte, freier Blick auf das haarige Bein. Gelegentlich erinnern mich meine damaligen Studenten an dieses peinliche Vorkommnis. Und ich bin nie auf die Idee gekommen, mein Recht auf Vergessen geltend zu machen.
Das Recht auf Vergessen ist eine naturrechtlich-romantisch verbrämte Chimäre – ein Hirngespinst. Ich glaube nicht, dass es ein Recht auf Vergessen gibt
Und ich bin kein Freund des Google Spain-Urteils (EuGH, Urt. v.13.5.2014 – C-131/12, CR 2014, 460 ff.). Der EuGH möchte Persönlichkeitsrechten im Zweifel den Vorrang einräumen -„Privacy by Default“. „Privacy by Default“ mag man für Voreinstellungen einer Online-Plattform diskutieren. Im Verhältnis zur Kommunikations- und Informationsfreiheit ist eine solche „Voreinstellung“ eine Vorstufe der Zensur.
Aber genug der Urteilsschelte. Und – mit Jeff Jarvis – „What would Google do?“ Drei Empfehlungen für Google:
Empfehlung Nr. 1: „Im Zweifel löschen!“
Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe von Google ist, die Folgen des EuGH-Urteils weichzuspülen. Google eignet sich nicht als Schiedsrichter bei der Balance zwischen Privacy und Informationszugang.
Was verlangt der EuGH von Google? Der EuGH hat Google aufgegeben, Links zu Inhalten, die als unliebsam empfunden werden, im Zweifel zu löschen. Und ich würde Google empfehlen, genau dies zu vollziehen. Die Löschung ist die Regel, die Verweigerung die Ausnahme. Nur wenn evident ist, dass eine Nachricht einen hohen Informationswert für die Öffentlichkeit hat, lässt sich nach dem EuGH-Urteil sagen, dass das Informationsinteresse überwiegt.
Es ist nicht die Aufgabe von Google, die durch den EuGH verzerrte Balance zwischen Privacy und freier Information wiederherzustellen. Google eignet sich nicht als Wächter über die freie Netzkommunikation in Europa. Dies ist die Aufgabe der Regierungen, die über ein neues europäisches Datenschutzrecht beraten. Google ist ein privatwirtschaftliches (und zudem amerikanisches) Unternehmen und würde sich übernehmen bei dem Versuch, der Linie des EuGH durch fein balancierte Entscheidungen entgegenzutreten.
Selbstverständlich bin ich der Auffassung, dass es bei dem „Privacy by Default“ des EuGH nicht bleiben darf. Wir brauchen im zukünftigen europäischen Datenschutzrecht Regelungen, die die Informationsfreiheit stärken. „Google Spain“ darf sich nicht wiederholen.
Empfehlung 2: „Nicht teilen!“
In dem CRonline Blog, in dem ich gelegentlich schreibe, habe ich die sehr geschätzte Frau Leutheusser-Schnarrenberger während ihrer Amtszeit als Justizministerin gelegentlich kritisiert. Manchmal auch scharf. Würde die Ministerin jetzt von Google die Löschung von Blogbeiträgen aus der Personensuche verlangen, hätten weder der Verlag, der den Blog betreibt, noch ich als Autor eine Handhabe, um eine Löschung zu verhindern. Weder der Verlag noch der Autor kann von Google verlangen, gefunden zu werden. Einen Rechtsanspruch auf eine „Listung“ gibt es nicht.
Ebenso wenig gibt es ein Recht von einem „De-Listing“ zu erfahren. Werden Suchergebnisse aus dem Index genommen, muss Google weder die Publisher noch die Autoren informieren. Im Gegenteil: Es ist überaus fraglich, ob Google überhaupt informieren darf. Streng dogmatische Datenschützer sehen in einer solchen Information einen erneuten, eigenständigen Verstoß gegen geltendes Datenschutzrecht.
Der europäische Gesetzgeber sollte nachbessern und Publishern das Recht geben, von einem De-Listing zu erfahren und sich zur Wehr zu setzen. Nur durch derartige Gegenrechte lässt sich die Balance wieder herstellen, die der EuGH aus den Angeln gehoben hat.
Solange das Datenschutzrecht den Publishern keine Gegenrechte einräumt, sollte Google von einer Benachrichtigung Abstand nehmen. Aus Sicht des EuGH und nach der Auffassung streng dogmatischer Datenschützer liegt in einer solchen Benachrichtigung ein erneuter Verstoß gegen das Datenschutzrecht, da eine gesetzliche Legitimation fehlt.
Ähnliche Einwände dürften zu erwarten sein, wenn Google versuchen würde, mit anderen Suchmaschinenbetreibern eine gemeinsame Stelle und ein gemeinsames Verfahren für die Bearbeitung von Löschanträgen zu schaffen. Auch bei einer solchen Form des „Sharing“ würde ich wenig Beifall und viel datenschutzrechtliches Stirnrunzeln erwarten.
Empfehlung 3: „Territorial denken!“
Eine Anwaltskonferenz in New York, amerikanische und europäische Kollegen am Tisch, man hat sich soeben kennen gelernt. Laut fragt der amerikanische Kollege in die Runde, wer denn sagen könne, dass er „mehr als eine halbe Million“ im Jahr verdient. Peinliches, betretenes Schweigen der Europäer. Den Rest des Gesprächs führen die Amerikaner allein.
Jedes Land hat seine eigenen kulturellen Vorstellungen über „Privates“ und „Öffentliches“. In Deutschland geht man nackt baden und nennt dies „Freikörper-Kultur“. In anderen Ländern geht man mit der Badehose in die Gemeinschaftsdusche.
Die unterschiedlichen kulturellen Vorstellungen und die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen führen dazu, dass die Balance zwischen „Privat“ und „Öffentlich“ auch juristisch unterschiedlichen Kriterien folgt und zu unterschiedlichen Ergebnissen führt.
So kann beispielsweise das deutsche Recht mit dem Begriff der „public figure“ – der „Person des öffentlichen Lebens“ – wenig anfangen. Denn das Äußerungsrecht schaut weniger auf die Person als auf den Kontext. Im öffentlichen Raum ist jedermann eine „öffentliche Person“. Ãœber die Schriftsätze eines Anwalts darf ebenso berichtet werden wie über die Dienstreisen einer Ministerin. Umgekehrt sind Berichte aus dem Privatleben einer Ministerin im Normalfall ebenso tabu, wie dies für Berichte aus dem Privatleben eines Normalbürgers der Fall ist.
Solange das Äußerungsrecht Sache der europäischen Mitgliedsstaaten ist und solange sich der Gesetzgeber im Zuge der Datenschutzreform nicht wagt, dies zumindest für die Netzkommunikation zu ändern, gelten in jedem der 28 Staaten andere Regeln, wenn es darum geht, ob ein Informationsinteresse besteht, das den Löschanspruch – ausnahmsweise – ausschließt. Dies spricht dafür, Löschungsanträge jeweils geolokal zu behandeln und umzusetzen.
Bei allen Löschungsanträgen haben die Gerichte der Mitgliedsstaaten das letzte Wort – übrigens auch in dem „Google Spain“-Fall vom 13.5.2014. Wenn ein spanischer Bürger von Google die Löschung eines Links verlangt, erfolgt die Abwägung zwischen Privacy und freier Information nach spanischem Recht. Gibt es nach spanischem Recht ein klar überwiegendes Informationsinteresse, so ist Google nicht zur Löschung verpflichtet. Dies auch dann nicht, wenn der Fall nach französischem, deutschem oder ungarischem Recht anders zu behandeln wäre.
Territorial denken: Das heißt auch, dass der Löschungsanspruch des Spaniers an den spanischen Landesgrenzen endet. Denn Google kann – auch nach dem EuGH–Urteil in Spanien nicht für Suchergebnisse verantwortlicht gemacht werden, die auf dem Bildschirm erscheinen, wenn die Personensuche in New York, Peking oder auch Berlin erfolgt. Der Spanier, der von Google in Spanien Löschungen verlangt, kann nicht mehr beanspruchen als eine Löschung bei Eingabe des Personennamens in Spanien.