Bei allem Respekt für das Grundrecht der anonymen Meinungsfreiheit müssen die Rechte der (von hate speech, fake news usw.) Betroffenen m.E. viel mehr in die Diskussion und die erforderliche Abwägung einbezogen werden.
Recht auf Anonymität und Online-Impact
Der hier relevante Ausschnitt des Rechts auf Anonymität stammt aus „analoger Zeit“, in der Äußerungen ein begrenzte Reichweite hatten. Der „impact“ von Äußerungsdelikten usw. im Internet ist so gewaltig, dass derjenige, der sich einmal intensiv mit der Degeneration der „Debattenkultur“, wie sie im NetzDG-E auch anklingt, beschäftigt hat, den Glauben an die Menschheit verliert. Ich habe Mandanten, die aufs Ãœbelste beleidigt oder verleumdet wurden, und ich habe grausamste Bilder gesehen, die mir nie wieder aus dem Kopf gehen werden.
Begrenzte Reichweite des NetzDG-E
Der  NetzDG-Entwurf erfasst nach seinem §1 Abs. 1 nur einen kleinen Kreis marktführender Social-Media-Betreiber ab 2 Mio Nutzer. Der Entwurf erfaßt keine Blogs und Pressedienste. Es gibt weiterhin keinen zivilrechtlichen Anspruch auf Offenlegung der Identität eines Nutzers, sondern verschärfte Löschpflichten.
„Flagging-Funktionen“ vs. Rechtsstaat
Umgekehrt weiß ich, dass sich hinter den „flagging-Funktionen“ der maßgeblichen ausländischen Betreiber nichts anderes als geheime, extraterritoriale „Hausregeln“ verbergen, die keineswegs mit den Anforderungen der Rechtsordnung konform gehen, weder bei den neuen „Katalogstraftaten“ noch – umgekehrt – beispielsweise bei der Pflicht zur Anzeige von Verbrechen, die bei einer vorschnellen Löschung verletzt wird.
Notice-verify-and-take-down-Verfahren
Der Betreiber des Ärztebewertungsportals „jameda“ als eines der ersten ernstzunehmenden Portale musste hier in zwei Verfahren vor dem BGH „Versuchskaninchen“ spielen, weil die Klagen in Deutschland zugestellt werden konnten, und hat durch Anpassung seiner AGB und Einführung eines rechtskonformen notice-verify-and-take-down-Verfahrens eine mustergültige technische wie rechtliche Lösung geschaffen.
Bei unklarer Sach- und Rechtslage hat der Provider auch nach dem NetzDG-E (§ 3 Abs. 2 Nr. 3) mit 7 Tagen ausreichend Zeit für Rückfragen beim Bewertenden.
Vorgehen unmittelbar gegen den Täter
Es gibt m.E. keinen Grund beispielsweise einem rechtswidrig (!) bewerteten Arzt nur einen Löschungsanspruch – selbst der ist nach bisheriger Rechtslage aufgrund der kriminellen Untätigkeit der ausländischen Provider nicht durchsetzbar und daher Hauptteil des Gesetzesentwurfs – zuzubilligen, aber faktisch die bestehenden (!) Rechte gegen den verantwortlichen Täter zu verweigern.
Vergleich mit Filesharing – Richtervorbehalt
Ähnlich war es, als die Staatsanwaltschaften mit Filesharingfällen überhäuft wurden, die sie nicht verfolgen wollten. Einziger Zweck der Anzeigen war es, über die Akteneinsicht die Klarnamen der Anschlussinhaber zu ermitteln. Hier führte der Gesetzgeber den zivilrechtlichen Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 9 UrhG bzw. § 19 Abs. 9 MarkenG ein, der unter einem Richtervorbehalt steht, dessen analoge Anwendung die Rechtsprechung auf andere Delikte u.a. unter Hinweis auf § 13 Abs. 6 TMG – also das Recht auf Anonymität – abgelehnt hat. Der BGH hat hier den „Gesetzgeber“ zum Tun aufgefordert – dem Deutschen Richterbund geht der NetzDG-E insoweit nicht einmal weit genug.
Fazit
Das Recht auf Anonymität aus § 13 Abs. 6 TMG darf keine staatlich protegierte Rechtsschutzverweigerung begründen, daher müssen Ausnahmen zur Anonymität bzw. erweiterte zivil- und strafrechtliche Auskunftsansprüche gesetzlich eingeführt werden.
Der NetzDG-E ändert hieran nichts. Auch die Ergänzung in § 14 Abs. 2 TMG erweitert nur den Spielraum der berechtigten Behörden hinsichtlich der Erweiterung der Auskunftspflicht auf alle Delikte.