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Sampling im Sinne des EuGH – Kunstfreiheit in der Schwebe zwischen „Erkennbarkeit“ und „Interaktion“

avatar  Dr. Stefan Papastefanou
Rechtsanwalt, White & Case LLP, Hamburg; Lehrbeauftragter und Dozent Bucerius Law School, Center for Transnational IP, Media and Technology Law and Policy, Hamburg

Die vom EuGH neu entwickelten Maßstäbe zur Beurteilung von Sampling sind alles andere als eindeutig und schaffen wenig Praktikabilität. Die sehr sorgfältig formulierten Fragen des BGH (Beschl. v. 1.6.2017 – I ZR 115/16) und auch die grundsätzlich gelungene Auseinandersetzung des GA Szpunar (zur Analyse und Ãœbersicht: Papastefanou, CR 2019, 36, 41 Rz 41-43) hatten auf eine bedeutungsvolle und weitreichende Antwort hoffen lassen. Insbesondere war die Entwicklung eines praktikablen Maßstabs für die nationalen Instanzgerichte wünschenswert. Eine Antwort hat es gegeben. Begrüßenswert ist hieran allein, dass der doch etwas entgleisenden Auslegung der Kunstfreiheit durch das BVerfG ein Riegel vorgeschoben wurde.

Der mittlerweile schon eine gute Dekade andauernde Rechtsstreit zwischen Kraftwerk und Pelham/Haas neigt sich durch die Entscheidung des EuGH, Urt. v. 29.07.2019 – C-476/17, dem Ende zu. Die im sehr langen Rechtsstreit aufgeworfenen Fragestellungen sind von großer Bedeutung, ebenso auch die Erwartungshaltungen an eine Grundsatzentscheidung in der Abwägungsfrage Kunstfreiheit und Eigentumsrecht. Nun hat sich der EuGH den entsprechenden Vorlagefragen des BGH gestellt und in der Sache zwei Weichenstellungen vorgenommen:

I. Kunstfreiheit im Bereich des Sampling

Die erste große Antwort gibt der EuGH dahingehend, dass das in Frage stehende Sampling unter gewissen Umständen keine unzulässige Vervielfältigung darstellen kann. Dies ergibt sich aus einer Abwägung zwischen den Inhaberrechten einerseits und der „Kunstfreiheit, sowie dem Allgemeininteresse“ andererseits (Rz. 32). Welchen Inhalt dieses Allgemeininteresse außerhalb der Kunstfreiheit haben soll, bleibt jedoch offen. Zentrale Voraussetzung für die Zulässigkeit ist, dass das Audiofragment in „geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form“ in ein neues Werk eingefügt wird (Rz. 31 ff.).

1. Wiedererkennbarkeit bei Audiofragmenten

Auf den ersten Blick erscheint das Merkmal der Wiedererkennbarkeit relativ rechtssicher. Aus dem deutschen Recht ist derselbe Maßstab aus dem Melodienschutz in § 24 Abs. 2 UrhG bekannt. Weil es aber bereits im Rahmen der Auslegung von § 24 Abs. 2 UrhG schwierig ist zu entscheiden, wann eine Melodie erkennbar ist, zeigt sich an dieser Stelle deutlich, woran eine rechtssichere Anwendung des Merkmals „Wiedererkennbarkeit“ scheitern wird:

Kasuistik-Dschungel: Bei einem Audiofragment wird dies aufgrund der beliebigen Kürze und der unterschiedlichen Natur von Fragmenten eine Vielzahl von Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben. Die Entstehung einer unüberschaubaren Einzelfallkasuistik lässt sich nun kaum noch vermeiden.

Erkennbarkeit? Auch ist der Maßstab der Erkennbarkeit nicht eindeutig. Kommt es auf die Erkennbarkeit durch einen durchschnittlichen Hörer an? Oder auf einen Experten innerhalb des betreffenden Genres? Eventuell auf den Rechteinhaber selbst? Eine Objektivierung an dieser Stelle, die auch einem Instanzgericht bei einer Beurteilung in der Praxis tatsächlich helfen soll, scheint ausgeschlossen.

2. Verpasste Chance: Fair-Use-Doctrine

Eine passendere Unterscheidung hätte hier in Anlehnung an die Fair-Use-Doctrine aus dem US-amerikanischen Bereich erreicht werden können, indem an die Verwertungsrechte des Rechteinhabers angeknüpft wird. Hierbei kommt es darauf an, ob der Nutzer des Samplings:

  • entweder tatsächlich ein neues Referenzwerk schaffen möchte
  • oder schlicht aus Bequemlichkeit agiert, um nicht selbst schöpferisch tätig werden zu müssen.

Im zweiten Fall besteht keinerlei schutzwürdiges Interesse, sodass auch keine Ausnahme erforderlich ist. Das Merkmal der Wiedererkennbarkeit geht an dieser wesentlichen Unterscheidung aber gänzlich vorbei.

II. Reflektierte Nutzung als Musik-Zitat

Der EuGH hat eine Ausnahme vorgesehen, bei der auch die Nutzung eines Audiofragmentes urheberrechtlich zulässig ist, wenn die Nutzung „zum Ziel hat, mit diesem Werk [dem es entnommen ist] zu interagieren“ (Rz. 71). Dies stellt dann einen Fall der zulässigen Nutzung als Zitat dar.

1. Die Öffnung zur künstlerischen Bewertung

Grad an „Interaktion“? Insoweit ist das Auslegungsproblem direkt offensichtlich. Wann eine „Interaktion“ des Audiofragments mit seinem Ursprungswerk vorliegt, ist nicht weiter ausgeführt:

  • Es könnte darunter eine künstlerisch gehaltvolle und wertvolle Nutzung zu verstehen sein. Dann würde aber nur ein schwer auszulegender Begriff durch mehrere derselben Güte ersetzt.
  • Auch eine Entscheidung der Instanzgerichte darüber, wann eine ausreichend hohe künstlerische Auseinandersetzung vorliegt, ist ohne ein entsprechendes Gutachterwesen nahezu unmöglich.

Maßstab? Selbst der schwierig auszulegende Begriff des „inneren Verblassens“ im Rahmen des § 24 Abs. 1 UrhG war an dieser Stelle besser geeignet, da er zumindest keine qualitativen Ansprüche an die künstlerische Höhe der Auseinandersetzung gestellt hat.

2. Keine Berücksichtigung der urheberrechtlichen Facetten

Eine sinnvollere und rechtssicherere Einschränkung hätte über die Urheberpersönlichkeitsrechte erfolgen können, da so einerseits eine praxistaugliche Abwägungsmaxime zwischen zwei tatsächlich und rechtlich geschützten Interessen besteht und andererseits dieser etablierte Begriff den nationalen Instanzgerichten auch bekannt ist, was eine Anwendung wesentlich erleichtert.

III. Entscheidung für die Kunstfreiheit?

Häufig wird das EuGH-Urteil als Gewinn für die Kunstfreiheit oder das Sampling dargestellt: „Sampling: EuGH fällt Grundsatzurteil für Musiker“, t3n.de v. 1.8.2019; „Sampling-Urteil des EuGH: Im Zweifel für die Kunstfreiheit“ heise-online v. 31.7.2019; „Entscheidung nach über 20 Jahren: EuGH erlaubt Sampling, aber keine Alleingänge bei Uploadfiltern“, netzpolitik.org v.  29.7.2019; „EuGH spricht sich in Grundsatzurteil für Sampling aus“ SZ.de v. 29.7.2019. Nichts dergleichen ist jedoch der Fall.

Risiken: Insbesondere die engen Voraussetzungen der Sampling-Nutzung im urheberrechtlichen Zitat-Recht stellen eine Bewertungskomponente bzgl. der künstlerischen Werthaftigkeit in die rechtliche Bewertung ein, die dem Kunstrecht als solchem fremd sein sollte. An dieser Stelle drohen nun unüberschaubare Abgrenzungsschwierigkeiten und nur schwer erträgliche Rechtsunsicherheit für Künstler.

Zielführende Alternative: Eine zweckdienlichere Abgrenzung über die Komponenten des Urheberrechts in der Form von wirtschaftlicher Verwertung und Urheberrechtspersönlichkeitsrechten ist leider nicht erfolgt, obwohl diese in den Schlussanträgen des GA Szpunar zumindest angelegt war (Rz. 97 in Schlussanträgen).

IV. Ausblick

In jedem Fall bleibt die Entwicklung spannend. Der BGH muss nun diese abstrakten Maßstäbe auf den aktuellen Fall anwenden. Für eine Verteidigung von Pelham/Haas ergeben sich zwei Ansatzpunkte:

  • Erkennbarkeit: Eine fehlende Wiedererkennbarkeit dürfte auf Basis schwierig sein, da alle Beteiligten die Nutzung und Wiedererkennbarkeit zugegeben haben und auch alle Gerichte auf die Erkennbarkeit des Audiofragmentes im neuen Werk hingewiesen wurden.
  • Grad künstlerischer „Interaktion“: Offen und daher deutlich unterhaltsamer scheint insofern eine Strategie, die künstlerische „Interaktion“ des Audiofragments mit dem Ursprungswerk zu begründen. Die Darstellung eines reflektierten Gebrauchs als Zitats scheint zweifelhaft und bedarf in jedem Fall einer nicht unwesentlichen Kreativität. Wäre nur diese Kreativität bei der ursprünglichen Erstellung des neuen Werkes durch Pelham/Haase bereits genutzt worden, dann hätte sich der gesamte Rechtsstreit vermeiden lassen können.

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