Das NetzDG soll verschärft werden. Durch neue Strafgesetze, durch Meldepflichten der Plattformbetreiber gegenüber dem BKA und durch Auskunftspflichten der Provider – bis hin zur Preisgabe von Passwörtern der Nutzer.
Der FAZ-Journalist Hendrik Wieduwilt hat den Gesetzesentwurf des BMJV veröffentlicht (BMJV, Ref-E für Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, Bearbeitungsstand: 12.12.2019). Und wenn man wissen möchte, welche Überlegungen hinter den Plänen des BMJV stehen, muss man den ersten Absatz des Entwurfs ganz genau lesen.
Ansatz des BMJV
Man meint im BMJV ernsthaft, die vorgeschlagenen Maßnahmen dienten der Meinungsfreiheit. Um die Meinungsfreiheit der Mehrheit zu schützen, müsse man Maßnahmen gegen lautstarke Minderheiten ergreifen:
„Im Internet und insbesondere in den sog. sozialen Medien ist eine zunehmende Verrohung der Kommunikation zu beobachten. So äußern sich Personen immer öfter allgemein, vor allem aber gegenüber gesellschaftlich und politisch engagierten Personen in einer Weise, die gegen das geltende deutsche Strafrecht verstößt und sich durch stark aggressives Auftreten, Einschüchterung und Androhung von Straftaten auszeichnet. Dadurch wird nicht nur das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen angegriffen, sondern auch der politische Diskurs in der demokratischen und pluralistischen Gesellschaftsordnung angegriffen und in Frage gestellt. In der Öffentlichkeit stehende Personen und für das Gemeinwesen aktive Repräsentantinnen und Repräsentanten werden beispielsweise nach einer politischen Äußerung mit diffamierenden Äußerungen oder Morddrohungen überzogen, oder es wird gegen Gewalt gegen sie aufgerufen. Mit diesen oft über einen langen Zeitraum für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbaren respektlosen und herabwürdigen Inhalten sinkt allgemein die Hemmschwelle für weitere gleichgerichtete Äußerungen. In diesem verrohten Umfeld kommt es schon jetzt dazu, dass bestimmte Meinungen aus Sorge vor solchen Reaktionen nicht mehr geäußert werden. Dies kann sogar dazu führen, dass sich Menschen vollständig aus dem öffentlichen politischen Diskurs zurückziehen. Damit ist der freie Meinungsaustausch im Internet und letztendlich die Meinungsfreiheit gefährdet. Die eigene Meinung frei, unbeeinflusst und offen sagen und sich darüber austauschen zu können, stellt einen wesentlichen Grundpfeiler der demokratischen pluralistischen Gesellschaft dar, die der Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen hat. Dies kann durch eine Vielzahl von Maßnahmen geschehen.“
[Hervorhebungen hinzugefügt]
Basics
Das Grundrechtsverständnis, das sich in diesem Absatz offenbart, ist erschütternd. Im BMJV sollten kluge Juristinnen und Juristen sitzen, die das kleine Einmaleins der Grundrechte sicher beherrschen. Dies scheint jedoch leider nicht der Fall zu sein:
- Meinungsfreiheit ist stets Minderheitsschutz:
Es gehört zum Wesen der Meinungsfreiheit, dass die Mehrheit dumme, abwegige und empörende Äußerungen von Minderheiten aushalten muss („Danach macht auch eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen.“, BVerfG v. 28.9.2015 – 1 BvR 3217/14, II.2.b. bzw. Rz. 14). - Kein Verbotsprinzip:
Angriffe von Minderheiten gegen den „politischen Diskurs in der demokratischen und pluralistischen Gesellschaftsordnung“ sind nicht verboten, sondern erlaubt. Wer sich außerhalb des politischen Mainstreams bewegt, ist durch Grundrechte wie Art. 5 und 8 GG geschützt. Keineswegs kann der „Schutz des politischen Diskurses“ Passwortabfragen und andere Grundrechtseingriffe legitimieren. - Meinung ist keine Straftat:
„Diffamierende Äußerungen“ bei einer politischen Auseinandersetzung gehören nicht in einen Atemzug mit „Morddrohungen“. Dies sollte sich eigentlich von selbst verstehen. - Respekt ist Meinung:
Ebensowenig gehören „herabwürdigende“ und „respektlose“ Äußerungen in einen Atemzug. Die Meinungsfreiheit erlaubt selbstverständlich keine Herabwürdigung der Person. Ebenso selbstverständlich ist „Respektlosigkeit“ keineswegs verboten. Nur in totalitären Staaten werden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gegen „Respektlosigkeiten“ geschützt.
Zu den rechtlichen Möglichkeiten eines Vorgehens gegen Hate Speech, Fake News und Social Bots, indem die Betreiber sozialer Netzwerke Beiträge und Nutzerprofile löschen und sperren siehe nur Elsaß/Labusga/Tichy, CR 2017, 234-241.
Freiheitsfeindliche Grundeinstellung
Der ganzen Denke, die in dem Einleitungsabsatz des Gesetzesentwurfs zum Ausdruck kommt, liegt eine freiheitsfeindliche Grundeinstellung zugrunde:
Der gesellschaftliche Mainstream soll dagegen geschützt werden, mit aggressiven und überzogenen Äußerungen von Minderheiten konfrontiert zu werden.
Ein äußerst schräges Fehlverständnis von Meinungsfreiheit, bei der die Bruchlandung in Karlsruhe vorprogrammiert ist. Politisch dumm obendrein, da sich lautstarke Minderheiten in ihrer gern eingenommenen Opferrolle bestätigt sehen werden.