Die Berliner Datenschutzbeauftragte hat angekündigt, Tweets der Deutschen Bahn AG datenschutzrechtlich zu prüfen (Der Tagesspiegel, „Greta-Tweet der Deutschen Bahn hat ein Nachspiel“, v. 18.12.2019). Aber gibt das Datenschutzrecht überhaupt für Tweets?
Die Realität auf Twitter
Millionenfach werden bei Twitter personenbezogene Daten verbreitet. Man lobt und kritisiert Personen des (mehr oder minder) öffentlichen Lebens, man verschickt Geburtstagsgrüße und versendet Berichte über Politikerinnen, Sportler, TV-Moderatorinnen und Influencer.
Gilt für all diese Tweets das strenge Regime der DSGVO, gilt das Verbotsprinzip, das für jeden Tweet eine gesetzliche Erlaubnisnorm verlangt (Art. 6 DSGVO)? Unterliegen Fotos von Brillenträgern oder Informationen über Politiker den strengen Beschränkungen des Art. 9 DSGVO, da es sich um besonders sensible Daten – Gesundheitsdaten und Daten über politische Überzeugungen – handelt? Gilt für Berichte über Kinder gar der besondere Schutz des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. f, 2.Halbsatz DSGVO?
Differenzierung des BVerfG
Liest man die jüngste Entscheidung des BVerfG zu Online-Archiven (Beschl. v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13 – Recht auf Vergessen I, vgl. Härting, „Recht auf Vergessen: BVerfG stärkt das Medienprivileg, Art. 5 GG wird zum eigenständigen Erlaubnistatbestand“, v. 28.11.2019), so ist die Antwort ein entschiedenes „Jein“. Denn Karlsruhe hält das Datenschutzrecht zwar für anwendbar, zieht jedoch eine deutliche Trennlinie zwischen der informationellen Selbstbestimmung einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht andererseits (a.a.O., Rz. 90 f.):
„Ausgehend von dem Ziel des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, Schutz vor Gefahren angesichts neuartiger Möglichkeiten der Datenverarbeitung zu gewähren (vgl. BVerfGE 65, 1 <42>), ist es primär als Gewährleistung zu verstehen, die – neben der ungewollten Preisgabe von Daten auch im Rahmen privater Rechtsbeziehungen (vgl. BVerfGE 84, 192 <194>) – insbesondere vor deren intransparenter Verarbeitung und Nutzung durch Private schützt. Es bietet Schutz davor, dass Dritte sich individueller Daten bemächtigen und sie in nicht nachvollziehbarer Weise als Instrument nutzen, um die Betroffenen auf Eigenschaften, Typen oder Profile festzulegen, auf die sie keinen Einfluss haben und die dabei aber für die freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie eine gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sind. Der Gehalt dieses Rechts ist dabei entwicklungsoffen, so dass es auch weitere persönlichkeitsgefährdende Entwicklungen der Informationsverarbeitung aufnehmen kann.
Davon zu unterscheiden ist der Schutz vor der Verarbeitung personenbezogener Berichte und Informationen als Ergebnis eines Kommunikationsprozesses. Der Schutzbedarf gründet hier nicht in der intransparenten Zuweisung von Persönlichkeitsmerkmalen und -profilen durch Dritte, sondern in der sichtbaren Verbreitung bestimmter Informationen im öffentlichen Raum. Gefährdungen für die Persönlichkeitsentfaltung ergeben sich hier vornehmlich aus Form und Inhalt der Veröffentlichung selbst. Schutz gegenüber solchen Gefährdungen bieten die äußerungsrechtlichen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unabhängig vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Zwar kann es auch dabei maßgeblich auf die Art der Informationserlangung ankommen. Jedoch hat diese hier ihre Bedeutung als Vorfrage für die Beurteilung des weiteren Umgangs mit einer bestimmten Äußerung und des damit in die Öffentlichkeit gestellten Bildes einer Person selbst.“
(Hervorhebungen hinzugefügt)
Einordnung von Tweets
Bei einem Tweet geht es um eine äußerst „sichtbare Verbreitung“ von Informationen „im öffentlichen Raum“ (das Verbreiten „zulässiger“ Inhalte ist Hauptleistungspflicht, siehe Holznagel, CR 2018, 369, 371 Rz. 17 ff.).
Damit richtet sich die Rechtmäßigkeit einer Namensnennung nicht nach dem Datenschutzrecht, sondern nach dem Äußerungsrecht, das seit jeher die Maßstäbe setzt in der Balance zwischen der freien Kommunikation (Art. 5 GG) und den Persönlichkeitsrechten (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Es kommt somit stets auf eine Abwägung an:
- Lügen über eine Person dürfen auch per Tweet nicht verbreitet werden.
- Politiker und andere Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, müssen sich Kritik meist gefallen lassen, auch wenn die Kritik beißend und scharf ausfällt.
- Intimitäten sind in aller Regel verboten, Schmähkritik ebenso.
Die Maßstäbe, die die obersten Gerichte in Karlsruhe und Straßburg in jahrzehntelanger Rechtsprechung entwickelt haben, werden auch in Zukunft für das Äußerungsrecht gelten. Auch für Tweets.
Rolle des Datenschutzrechts
Dass das Datenschutzrecht auf die Seitenlinie verwiesen wird, ist mit der DSGVO vereinbar, denn Art. 85 DSGVO öffnet den Mitgliedsstaaten das Tor zur Abwägung zwischen freier Kommunikation und Datenschutz. Durch dieses Tor ist das BVerfG in seiner „Recht auf Vergessen I“-Entscheidung geschritten.
Würde eine Datenschutzbehörde Tweets verbieten oder sanktionieren, die das Äußerungsrecht erlaubt, so wäre dies ein Fall für Karlsruhe. Denn das BVerfG lässt in seiner Entscheidung keinen Zweifel, dass eine Verfassungsbeschwerde zulässig wäre, die sich gegen ein datenschutzrechtliches Verbot der Kommunikation richtet. Früher oder später werden daher Tweets auch das BVerfG beschäftigen.