Im Rahmen eines Bußgeldverfahrens gibt es viele drängende Fragen. Die wohl wichtigsten, weil zuerst zu stellenden Fragen sind:
- Was wird dem Datenverarbeiter vorgeworfen?
- Was weiß die Behörde überhaupt?
Um Genau hier nicht einfach „ins Blaue hinein“ unbedacht Fragen zu beantworten oder gar ungewollt ganz andere Themen zu Tage zu Fördern ist es unabdingbar die Akteneinsicht bei der Behörde zu beantragen. Der nachfolgende kleinen Einblick in den Härting/Konrad – DSGVO im Praxistest: Ermittlungen – Bußgelder – Verfahren bietet antworten zu diesen und weiteren Fragen, wie z.B. Was ist eigentlich eine „Akte“?
10. Ist eine Akteneinsicht stets ratsam?
Ja. Ohne vorherige Akteneinsicht kommt die Beantwortung eines Auskunftsersuchens einem Blindflug gleich. Nicht immer geht aus dem Behördenschreiben hervor, ob eine Beschwerde der Anlass für das Schreiben ist oder ob die Behörde anlasslos – etwa im Rahmen einer „Fragebogenaktion“ – handelt. Wenn es eine Beschwerde gab, ist meist unklar, wer sich bei der Behörde beschwert hat und welche Vorwürfe der Beschwerdeführer erhoben hat. Wer all dies nicht weiß, riskiert bei einer „blinden“ Beantwortung des Auskunftsersuchens Missverständnisse und Fehlschlüsse der Datenschutzbehörde.
Verfahrenspraxis: In Verfahren außerhalb des Datenschutzes ist die Akteneinsicht Routine. Kein Anwalt würde seiner Mandantin empfehlen, eine Anzeige wegen einer Verletzung von Arbeitsschutzvorschriften ohne vorherige Akteneinsicht zu beantworten. Ebenso ist die Akteneinsicht der erste Verfahrensschritt, wenn sich das Bauamt meldet, weil sich ein Nachbar über Baumängel beschwert hat. Auch wenn sich das Umweltamt meldet, weil es Beschwerden über eine nicht ordnungsgemäße Abfallentsorgung gegeben hat, würde keine Anwältin empfehlen, ein solches Schreiben ohne vorherige Akteneinsicht zu beantworten. Der in sämtlichen Rechtsgebieten übergreifende Ansatz muss es sein, den Sachverhalt vollumfänglich zu erschließen, bevor etwaige Sach- und Rechtsfragen erörtert werden.
Recht: Die Akteneinsicht ist das gute Recht jedes Bürgers. Dies gilt für Verfahren der Datenschutzbehörden genauso wie für jedes andere behördliche Verfahren. Die Akteneinsicht gehört daher auch in das Pflichtprogramm jeder Beratung in aufsichtsbehördliche Verfahren. So freundlich es gemeint sein mag, einer Datenschutzbehörde offenherzig Auskünfte zu erteilen, ein Verzicht auf das vorherige Einsichtsrecht kann dem Unternehmen teuer zu stehen kommen.
11. Welchen verfassungsrechtlichen Hintergrund hat das Akteneinsichtsrecht?
Das Recht auf Akteneinsicht hat einen verfassungsrechtlichen „Überbau“ und kann daher nicht einfachgesetzlich ausgeschlossen werden. Das Einsichtsrecht ist integraler Bestandteil des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Nur wenn der Bürger die Tatsachen und Beweise kennt, auf die eine Behörde oder ein Gericht seine Maßnahmen stützen möchte, kann er sein Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG auch tatsächlich verwirklichen (BVerfG v. 13.4.2010 – 1 BvR 3515/08, Rz. 36):
„Eine Art. 103 Abs. 1 GG genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass die Verfahrensbeteiligten zu erkennen vermögen, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Sie müssen sich bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt über den gesamten Verfahrensstoff informieren können […]. Das Gebot rechtlichen Gehörs sichert daher den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess selbstbestimmt und situationsspezifisch gestalten können […] Zum Recht auf rechtliches Gehör gehört daher auch die Möglichkeit der Akteneinsicht […]“
Auf einfachgesetzlicher Ebene soll § 29 VwVfG das Anliegen des Art. 103 Abs. 1 GG verwirklichen, die Transparenz der Entscheidungsgrundlagen erhöhen und damit verhindern, dass der Beteiligte zum bloßen Objekt behördlichen Handelns gemacht wird (Kallerhoff/Mayen in Stelkens/Bock/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 29 Rz. 4).
12. Was versteht man eigentlich unter „den Akten“?
Zu den Akten zählen alle Unterlagen, die das konkrete Verfahren betreffen, wie Schriftsätze, Gutachten, Aktenvermerke, Randbemerkungen auf Schriftstücken, sowie Fotos, Videos und der gesamte Inhalt einer elektronischen (Bei-)Akte. Es gilt dabei ein materieller Aktenbegriff. Alle das konkrete Verfahren betreffende Unterlagen werden von der Akte erfasst, gleichgültig ob sie in einem Ordner zusammengefasst sind oder auch auf andere Vorgänge verteilt sind. Schriftstücke müssen unverfälscht und unverändert zu den Akten genommen werden, Vermerke in der Form, in der sie zu Papier gebracht wurden (Herrmann in VwVfG in Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 46. Aufl. 2020, § 29 Rz. 9).
Die Aufsichtsbehörde darf sich somit nicht darauf beschränken, eine Verfahrensakte zur Einsicht zugänglich zu machen. Sie muss darüber hinaus prüfen, ob sie noch über weitere Unterlagen verfügt, die für den jeweiligen Vorgang relevant sind. Gegebenenfalls muss die Behörde die Akte entsprechend ergänzen. Eine der Hauptaufgaben des rechtlichen Vertreters ist es im Rahmen der Akteneinsicht auf Vollständigkeit zu achten und im Falle des Falles bei der Behörde nachzuhaken.