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Praxisrelevantes Urteil des OLG Stuttgart zur Beweislast bei DSGVO-Schadensersatz: Bundesgerichtshof soll entscheiden

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Der 9. Zivilsenat des OLG Stuttgart hat am 31.3.2021 eine für die Praxis wichtige Entscheidung zu den Voraussetzungen von immateriellen Schadensersatzansprüchen nach Art. 82 DSGVO gefällt (Aktenzeichen:  9 U 34/21). Danach bleibe es bzgl. dieser Ansprüche bei den allgemeinen zivilprozessualen Regelungen zur Darlegungs- und Beweislast. Durch die dort verankerten Grundsätze zur sekundären Darlegungslast werde Art. 82 DSGVO wirksam umgesetzt. Die in der datenschutzrechtlichen Literatur teilweise geforderte Beweislastumkehr sei abzulehnen. Sie führe im Ergebnis zu einer vom Verordnungsgeber nicht gewollten Risikohaftung. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfragen ließ das OLG Stuttgart die Revision zum BGH zu. Der vorliegende Überblick fasst die wesentlichen Punkte der Entscheidung zusammen und zeigt ihre Folgen für die Praxis.

Anspruchsteller muss Anspruchsvoraussetzungen vortragen und nachweisen

Die DSGVO enthalte nach Auffassung des Senats keine ausdrücklichen Bestimmungen zur Beweislast. Das gelte insbesondere auch für den von Art. 82 Abs. 1 DSGVO geforderten Verstoß gegen die DSGVO. Es verbleibe beim allgemeinen Grundsatz, dass der Anspruchsteller die Anspruchsvoraussetzungen vorzutragen und nachzuweisen habe. Erst wenn ein Verstoß festgestellt sei, helfe dem Geschädigten hinsichtlich des Verschuldens die Regelung in Art. 82 Abs. 3 DSGVO, wonach der Verantwortliche sich exkulpieren muss.

Rechenschaftspflicht begründet keine Beweiserleichterung

Zwar werde teilweise auch vertreten, die allgemeine Rechenschaftspflicht des Verantwortlichen aus Art. 5 Abs. 2 DSGVO müsse bei letztlich allen Tatbestandsmerkmalen des Art. 82 Abs. 1 DSGVO Beachtung finden. Daraus werde teilweise gefolgert, es genüge, wenn die betroffene Person Anhaltspunkte für einen Datenschutzverstoß vorträgt, ihre personenbezogene Daten seien unter Verletzung der DSGVO und damit möglicherweise rechtswidrig verarbeitet worden. Dieser Ansicht schloss sich der Senat nicht an. Denn die DSGVO enthalte kein Beweisrecht. Vielmehr würden die Beweisregeln des jeweiligen nationalen Prozessrechts gelten. Die allgemeine Rechenschaftspflicht der Art. 5 Abs. 2, 24 Abs. 1 DSGVO beziehe sich allein auf eine Verantwortlichkeit gegenüber den Datenschutzbehörde. Auf die Rechenschaftspflicht könne man eine Beweislastumkehr oder Beweiserleichterung nicht stützen. Auch wegen des Umstandes, dass typischerweise der Betroffene keinen Einblick in die Verarbeitungsabläufe von Verantwortlichen und Auftragsverarbeiter habe, seien keine Beweislastumkehr oder Beweiserleichterungen aus der DSGVO abzuleiten. Das deutsche Zivilprozessrecht biete hinreichende Möglichkeiten, eine effektive Rechtsdurchsetzung zu gewährleisten.

Europarechtlicher Effektivitätsgrundsatz

Nach dem Effektivitätsgrundsatz dürfe das nationale Beweisrecht dabei keine unüberbrückbaren Hürden für die Geltendmachung des Anspruchs nach Art. 82 DSGVO vorsehen. Diese Anforderungen seien jedoch durch die Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast im deutschen Zivilprozessrecht gewahrt. Eine sekundäre Darlegungslast treffe den bestreitenden Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei dann, wenn diese Partei nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat. Zudem müsse der bestreitende Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennen und es müsse ihm unschwer möglich und zumutbar sein, nähere Angaben zu machen. Dann obliege es dem Bestreitenden, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Nachforschungen zu unternehmen, wenn ihm dies zumutbar ist. Das gelte insbesondere dann, wenn eine Partei persönliche Wahrnehmungen oder Handlungen der Gegenpartei behauptet. Dann sei der bestreitenden Gegenpartei in der Regel zuzumuten, dass sie Gegenbehauptungen aufstellt bzw. entsprechende Nachforschungen anstellt. Genüge der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gelte die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.

Anwendung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast

Der durch einen potentiellen Datenschutzverstoß geschädigten Klägerin werde es somit nicht unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert, ihren Anspruch durchzusetzen. Die Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast würden der klagenden betroffenen Person je nach den Umständen darüber hinaus dann weiterhelfen, wenn sie darlege, dass und in welcher Weise es ihr nicht möglich sei, zu den maßgeblichen Umständen weitere Nachforschungen zu betreiben. Zudem dürften ihr Beweismittel nicht zur Verfügung stehen; sie müsse also in Beweisnot sein. Mehr verlange der Effektivitätsgrundsatz nicht. Insbesondere verlange der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz keine Beweislastumkehr bezüglich der Tatbestandsmerkmale des Art. 82 DSGVO. Ansonsten bestünde eine Art Gefährdungshaftung, die der Verordnungsgeber offensichtlich nicht einführen wollte.

DSGVO-Schadensersatz setzt Kausalität voraus

Die DSGVO verzichte im Rahmen des Art. 82 DSGVO auch nicht auf die Anspruchsvoraussetzung der Kausalität. Für den Nachweis sollten auch keine besonderen, aus der Verordnung abzuleitenden Beweiserleichterungen gelten. Der Anspruch aus Art. 82 DSGVO setze vielmehr voraus, dass ein Verstoß gegen die DSGVO für einen Schaden der betroffenen Person ursächlich geworden sei. Der DSGVO-Schadensersatz sehe vom Kausalitätserfordernis keine Ausnahme vor. Vielmehr setze Art. 82 Abs. 1 DSGVO voraus, dass es sich um Schäden handeln muss, die auf eine DSGVO-widrige Verarbeitung von personenbezogenen Daten zurückzuführen seien. Daran ändere auch die in Erwägungsgrund 146 DSGVO zum Ausdruck kommende Zielsetzung von Art. 82 DSGVO nichts, der betroffenen Person einen „vollständigen und wirksamen Schadensersatz“ zu gewährleisten. Dies meine gerade kein Aufweichen des Kausalitätserfordernisses und auch keine Beweiserleichterung. Es genüge also nicht, dass ein etwaiger Schaden auf eine Verarbeitung personenbezogener Daten zurückzuführen sei, in deren Rahmen es zu einem Rechtsverstoß gekommen ist. Das ergebe sich schon klar aus dem Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 DSGVO, wonach der Schaden „wegen“ eines Verstoßes eingetreten sein muss.

Auch bei der Kausalität keine Beweislastumkehr

Auch bezüglich der Kausalität seien aus Art. 82 DSGVO oder der allgemeinen Rechenschaftspflicht aus Art. 5 Abs. 2 und 24 Abs. 1 keine Beweislastumkehr im Schadensersatzprozess herzuleiten. Die Verordnung biete keine Grundlage für eine allgemeine, bereichsspezifische Beweiserleichterung. Bezüglich des Nachweises einer Verursachung gelte nichts anderes als für den Nachweis einer objektiven Pflichtverletzung. Die in der Literatur zum Teil für eine Beweislastumkehr oder Beweiserleichterungen vorgebrachten Argumente überzeugten den Senat nicht.

Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung

Die Zulassung der Revision begründete der Senat mit § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 ZPO. Der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu. Darüber hinaus sei eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Rechtsfortbildung angezeigt. Zu der höchstrichterlich nicht geklärten Frage der Beweislastverteilung beim Anspruch aus Art. 82 DSGVO – sei es in Bezug auf die Pflichtverletzung oder die Kausalität – würden unterschiedliche Auffassungen vertreten, die bis hin zu einer weitgehenden Beweislastumkehr zugunsten des Betroffenen gehen. Es gebe einige Stimmen, die zumindest eine erhebliche Beweiserleichterung für angezeigt erachten, welche sie teils aus Art. 82 Abs. 3 DSGVO oder einer Ãœberformung der Beweislastverteilung durch das Unionsrecht ableiten.

Folgen der Entscheidung für die Praxis

Das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Stuttgarts dürfte erhebliche Auswirkungen für die Geltendmachung von immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO vor deutschen Gerichten haben. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Verfahren, in denen Kläger nach tatsächlichen oder vermuteten Verstößen gegen die DSGVO Schmerzensgeld geltend machen. Einen Überblick über wichtige Entscheidungen hierzu gibt unsere DSGVO-Schadensersatztabelle. Das OLG Stuttgart stellt mit seiner Entscheidung klar, dass die allgemeinen Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast auch in Verfahren wegen Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO gelten. Mit seinen Ausführungen zur sekundären Darlegungslast zeigt der Senat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH auf, welche Partei in derartigen Schmerzensgeldverfahren welche Umstände darlegen und beweisen muss.

Zudem hat das OLG Stuttgart wegen der grundsätzlichen Bedeutung der in diesem Verfahren entschiedenen Rechtsfragen die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Damit ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das höchste deutsche Zivilgericht mit den Voraussetzungen von Art. 82 DSGVO befassen wird. Die Entscheidung des OLG Stuttgart ist juristisch präzise und gut begründet. Insofern erscheint es wahrscheinlich, dass sich auch andere deutsche Gerichte bis zu einer höchstrichterlichen Klärung an der Entscheidung der Stuttgarter Richter orientieren werden.

In ähnlicher Weise hatte kürzlich bereits das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Frage einer möglichen Erheblichkeitsschwelle bei immateriellem Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO in letzter Instanz dem EuGH vorzulegen sei (BVerfG v. 14.1.2021 – 1 BvR 2853/19).

Auswirkungen der Entscheidung für Unternehmen

Für Unternehmen zeigt das Urteil, dass sie unter anderem auf eine umfassende Dokumentation der Maßnahmen zur Erfüllung datenschutzrechtlicher Vorgaben achten sollten, die sie bei Bedarf in Gerichtsverfahren vorlegen können, um einer sekundären Darlegungslast nachkommen zu können. Dann können sie sich durch präzises zivilprozessuales Vorgehen effektiv gegen nicht hinreichend dargelegte Vorwürfe verteidigen.

 

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