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Konzeptionelle Defizite der Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) – Teil 1: Fehlende prozessuale Fairness

avatar  Tobias Keber
Professur für Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft, Hochschule der Medien (HdM) Stuttgart. Leiter des Bereichs Recht am Institut für Digitale Ethik (IDE) an der Hochschule der Medien und Lehrbeauftragter für Telemedien- und Internetrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zuvor Rechtsanwalt.

Die Einrichtung der Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) wurde zum Teil positiv, zum Teil auch sehr kritisch aufgenommen (Beckedahl). Nach der eher befürwortenden Darstellung von Kiparski ist es angezeigt, auch einige Defizite bzw. offene Rechtsfragen zu thematisieren. Dabei geht es weniger um grundsätzliche Kritikpunkte an DNS-Sperren wie etwa ihre fragliche Eignung angesichts der Leichtigkeit einer Umgehung. Erörterungswert sind vielmehr spezifisch mit der Konzeption der CUII verbundene Rechtsfragen auf prozessualer und auf materiell-rechtlicher Ebene.

Hier in Teil 1 wird noch einmal der rechtliche Hintergrund beschrieben, um dann einige Aspekte des Verfahrens (in eher prozessualer Hinsicht) vertieft zu untersuchen. In Teil 2 wird es dann um den Umgang der CUII mit Overblocking gehen.

I. Hintergrund & struktureller Ansatz CUII

Am 18.1.2021 haben Urheberrechteinhaber, Verbände von Urheberrechtsinhabern (Rechteinhaber) und die führenden deutschen Internetzugangsanbieter (Interserviceprovider, ISP) gemeinsam die Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) gegründet. Die Mitglieder der CUII haben sich einen Verhaltenskodex gegeben und eine Verfahrensordnung vereinbart. Im Zentrum des Verfahrens steht ein dreiköpfiger Prüfungsausschuss, der auf Antrag der Rechteinhaber eine Domain-Name-System-Sperre (DNS-Sperre) empfehlen kann, die dann (nach Stellungnahme der BNetzA zur Unbedenklichkeit im Lichte der Verordnung (EU) 2015/2120) von den teilnehmenden ISP implementiert wird. Ziel einer DNS-Sperre können nach der Verfahrensordnung der CUII indes nur „strukturell urheberrechtsverletzende Webseiten“ (SUW) sein.

Die erste Empfehlung zur Sperrung einer Domain beschloss der Prüfungsausschuss am 22.2.2021. Empfohlen wurde, für die Website „S.to“Serien Streams sowie einige Mirror-Domains eine DNS-Sperre umzusetzen. Über die Einrichtung der Clearingstelle wurde die Öffentlichkeit im Wege einer Pressemitteilung am 11.3.2021 informiert.

II. Äußere Vorgaben des CUII Verfahrens

Durch das Verfahren der CUII sollen langwierige zivilgerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Rechteinhabern und Internetzugangsanbietern um Sperren vermieden werden. Gleichwohl sollen die gesetzlich und in der Rechtsprechung bis dato herausgearbeiteten Grundsätze fruchtbar gemacht und in Selbstorganisation überführt werden.

Ansatz des BGH:  Höchstrichterlich hatte erstmals 2015 der BGH entschieden, dass Sperren gegen Access Provider der Sache nach in Betracht kommen, wenn sie sich als ultima ratio darstellen und letztlich nur so die Wahrung des Rechts des Geistigen Eigentums gewährleistet werden kann (BGH, Urt. v. 26.11.2015 – I ZR 174/14, Goldesel).

Ansatz des EuGH:  Damit sah sich der BGH auf Linie des EuGHs, der im Jahr zuvor in Sachen UPC Telekabel Wien entschieden hatte, dass eine gerichtliche Anordnung der Sperrung von urheberrechtsverletzenden Internetseiten gegenüber einem Access-Provider mit dem Unionsrecht vereinbar sein kann (EuGH, Urt. v. 27.3.2014 – C-314/12, UPC Telekabel Wien).

Gesetzliche Anforderung an DNS-Sperren

Als Rechtsgrundlage für DNS-Sperren, die seitens der ISP gegebenenfalls zu implementieren sind, wird z.T. das im Wege richterlicher Rechtsfortbildung etablierte Konzept der Störerhaftung (§ 1004 BGB analog) bemüht. Seit dem 3. TMGÄndG lässt sich ein Sperranspruch auch über § 7 Abs. 4 TMG (ggfls. analog, wenn es um Anbieter drahtgebundener Internetzugänge geht) begründen (im Anschluss an BGH, Urt. v. 26.7.2018 – I ZR 64/17, Dead Island; LG München I, Endurteil v. 7.6.2019 – 37 O 2516/18; OLG München, Urt. v. 17.10.2019 – 29 U 1661/19).

Die Voraussetzungen beider Rechtsgrundlagen entsprechen sich weitgehend. Expressis verbis unterstreicht § 7 Abs. 4 Satz 2 TMG den ultima ratio Charakter der Maßnahme, die zumutbar und verhältnismäßig sein muss. Das bedeutet nach der Gesetzesbegründung, dass die Sperrung der Nutzung von Informationen „technisch möglich, wirtschaftlich zumutbar und verhältnismäßig“ sein muss. Ohne nähere Konkretisierung heißt es in der Begründung zum 3. TMGÄndG weiter „Insbesondere darf eine Sperrmaßnahme nicht zu „Overblocking“ führen und damit über ihr Ziel hinausschießen (BT-Drs. 18/12202, 12).

III. Fehlende Beteiligung weiterer Betroffener im CUII-Verfahren

Das CUII Verfahren wurde u.a. auch deshalb kritisiert, weil Nutzer:innen in den Entscheidungsprozess der CUII nicht eingebunden wurden (Reda). Gegen dieses Argument wird vorgebracht, die Interessen der Internetnutzer und auch die der jeweiligen Webseitenbetreiber würden im Verfahren vor der CUII dadurch gewahrt, dass diese nach Ziffer 3 c) des Verhaltenskodex die Möglichkeit hätten, (nachträglich) Eingaben zu einer DNS-Sperre bei der CUII zu machen. Eine aktive Einbeziehung von Internetnutzern (a priori) in das Verfahren selbst sei jedenfalls nicht erforderlich.

Begründet wird das mit der UPC Telekabel Wien Entscheidung des EuGHs, der nachgeschalteten Rechtsschutz für ausreichend halte. Tatsächlich ist in Rz. 57 der Entscheidung zu lesen:

„… ist es deshalb erforderlich, dass die nationalen Verfahrensvorschriften die Möglichkeit für die Internetnutzer vorsehen, ihre Rechte vor Gericht geltend zu machen, sobald die vom Anbieter von Internetzugangsdiensten getroffenen Durchführungsmaßnahmen bekannt sind.
(Hervorhebung hinzugefügt)

Einbindung der Nutzer:innen ex post, aber so früh wie möglich

Fraglich ist dann, was diese Vorgaben des EuGHs für das zweistufige Verfahren der CUII bedeuten (Stufe 1 ist die Empfehlung des Prüfausschusses, zu einer Sperre kommt es in Stufe 2 erst nach Unbedenklichkeitserklärung der BNetzA) Konkret: Auf welchen Zeitpunkt bezieht sich die Formulierung „bekannt sind“?

Richtigerweise wird man (bereits) auf das Bekanntwerden der Entscheidung des Prüfausschusses abstellen müssen, die auf der Webseite der CUII veröffentlicht wird (so auch Kiparski).

Etwas unglücklich wirkt es dann schon, wenn die Empfehlung S.to v. 22.2.2021 datiert, während die Öffentlichkeit und damit auch die Nutzer:innen zu diesem Zeitpunkt nicht einmal von der Existenz der CUII wissen konnten, die erst am 11.3.2021 in einer Presserklärung (ohne Hinweis auf das S.to Verfahren) vorgestellt wurde.

IV. Fehlende Gremientransparenz

Prüfungsausschuss:  Nach § 5 der CUII-Verfahrensordnung besteht der Prüfausschuss aus drei Prüfern. Die Besetzung erfolgt unter Ägide eines „Steuerkreises“ aus drei Pools von Prüfern, wobei für die Besetzung von zwei Pools jeweils Rechteinhaber und Internetzugangsanbieter Vorschläge machen. Ein dritter Pool „unabhängige Prüfer“ wird (auch insoweit unter Berücksichtigung von Vorschlägen der Rechteinhaber und Internetzugangsanbieter) vom Steuerungskreis besetzt.

Steuerungskreis:  Insgesamt besetzt der Steuerungskreis alle Pools mit mindestens zwei Mitgliedern, so dass die Arbeit des Prüfausschusses auch im Fall der Verhinderung eines Poolmitglieds gewährleistet ist. Der Steuerungskreis selbst besteht nach Ziffer 4 des Verhaltenskodex aus insgesamt sechs Mitgliedern, wobei jeweils drei Mitglieder von den Rechteinhabern und drei von den Internetzugangsanbietern ernannt werden.

Anonymität im Prüfausschuss?

In der Presse war zu lesen, dass der Prüfausschuss unter Beteiligung ehemaliger BGH-Richter arbeiten soll. Auf der Webseite der CUII finden sich indes keinerlei Informationen zu den in den Pools wirkenden Personen. Auch die Entscheidung des Prüfausschusses zur Empfehlung zur Umsetzung einer DNS-Sperre in Sachen S.to ist hinsichtlich der Identitäten des Spruchkörpers anonymisiert.

Öffentlichkeitsgrundsatz: Zwar kann man auf das Verfahren in Selbstregulierung die in der Rechtsprechung für die Namensnennung Verfahrensbeteiligter im Gerichtsprozess entwickelten Grundsätze nicht unbesehen übertragen (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 1.10.2014 – 6 C 35.13). Namentlich der eine Namensnennung gebietende Öffentlichkeitsgrundsatz greift bei der Selbstregulierung nicht direkt. Angesichts der besonderen Grundrechtssensibilität der Thematik (auf Ebene der Drittwirkung, hierzu Teil 2) wird man die für das CUII-Verfahren gebotene Transparenz aber auf die Identität der bei der Empfehlung mitwirkenden – nach der Verfahrensordnung als unabhängig qualifizierten – Ausschussmitglieder erstrecken müssen.

Gefahr erheblicher Belästigungen: Dabei könnte man eine namentliche Nennung der an einer konkreten Empfehlung beteiligten Ausschussmitglieder noch mit Hinweis darauf ablehnen, dass die Gefahr bestünde, dass sie erhebliche Belästigungen durch Übergriffe Dritter (beispielsweise in Gestalt eines „Shitstorms“ im Netz) zu befürchten haben. Weshalb das bei Empfehlungen des Prüfausschusses der CUII (die eine DNS-Sperre ja noch nicht verbindlich beschließt) zwingend der Fall sein soll, wäre näher darzulegen.

Unabhängigkeit:  In jedem Fall aber sind Informationen zu den jeweils insgesamt im Prüferpool wirkenden Personen angezeigt (beispielsweise so, wie es beim Facebook Oversight Board Praxis ist). Dies folgt (abermals vor dem Hintergrund der besonderen Grundrechtssensibilität) zwingend daraus, dass es für die Öffentlichkeit und durch DNS-Sperren potentiell betroffene Nutzer:innen möglich sein muss, sich einen Eindruck von der qua Verfahrensordnung versicherten Unabhängigkeit des Ausschusses machen zu können.

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