Am kommenden Dienstag wird eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland erwartet. Der EuGH wird die Spielräume abstecken, die dem deutschen Gesetzgeber für eine anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten bleiben.
Erstmals eingeführt wurde eine Pflicht der Telekommunikationsanbieter zur Speicherung von Telefondaten und IP-Adressen im November 2007. Die Verpflichtung zur Speicherung der Daten bestand anlasslos, auch wenn sich ein Anschlussinhaber in keiner Weise einer Tat verdächtigt gemacht hatte. Man speicherte „auf Vorrat“, um bei einem späteren Verdacht Aktivitäten rückverfolgen zu können.
Die Vorratsdatenspeicherung, die für eine Dauer von sechs Monaten vorgesehen war, war von Anfang an höchst umstritten. Es gab zahlreiche Verfassungsbeschwerden, und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erließ frühzeitig einstweilige Anordnungen, die den Sicherheitsbehörden die Abfrage und Nutzung der gesammelten Daten nur zur Aufklärung schwerer Straftaten gestatteten. 2010 erklärte das BVerfG die Vorratsdatenspeicherung in der gesetzlich vorgesehenen Form für verfassungswidrig (BVerfG v. 2.3.2010, Az. 1 BvR 256/08).
Das Karlsruher Urteil war eine „Nein, aber“-Entscheidung, wie man sie auch aus vielen anderen Entscheidungen des BVerfG zu Sicherheitsgesetzen kennt. Das BVerfG hielt nämlich eine Vorratsdatenspeicherung nicht per se für verfassungswidrig, sondern bemängelte die Reichweite der Speicherfristen, insbesondere die Länge der sechsmonatigen Speicherfrist.
Als Karlsruhe 2010 die Vorratsdatenspeicherung kippte, hieß die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Die Justizministerin 2013 war die FDP zusammen mit CDU und CSU Regierungspartei. Sie hatte selbst Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz erhoben. Es dauerte daher bis 2015, dass es einen neuen Vorstoß für ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gab. Die Regierungsfarben waren mittlerweile schwarz-rot, der Bundesjustizminister hieß Heiko Maas (SPD), und man verabschiedete ein neues Gesetz, das die Telekommunikationsanbieter zur anlasslosen Datenspeicherung verpflichtete. Karlsruhe hatte ja 2010 der Vorratsdatenspeicherung keine pauschale Absage erteilt, und man bemühte sich, mit dem neuen Gesetz – etwa durch kürzere Speicherfristen von vier bis zehn Wochen – die Spielräume auszunutzen, die das BVerfG dem Gesetzgeber gelassen hatte.
Auch das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung war und ist hoch umstritten. Erneut gab es zahlreiche Verfassungsbeschwerden (u.a. des seinerzeit SPD-nahen Vereins D64, vertreten durch unsere Kanzlei, Az. 1 BvR 141/16). Die Verfassungsbeschwerden wurden 2015/2016 erhoben, auf eine Entscheidung warten wir im September 2022 immer noch. Anders als bei dem ersten Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung blieben Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen erfolglos.
Seit 2016 führen der Internetverband Eco zusammen mit dem Provider SpaceNet AG ein verwaltungsgerichtliches Verfahren gegen die Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung. Vor dem OVG Münster erzielten sie im Juli 2017 einen ersten Erfolg. Die Bundesnetzagentur setzte die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung auf Anraten des Gerichts bis zur Entscheidung über die Hauptsache aus. Eine Vorratsdatenspeicherung gibt es somit in Deutschland seit mehr als fünf Jahren nicht mehr.
Im Hauptsacheverfahren gab das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zu erkennen, dass es jedenfalls Verständnis für die 2015 neu geregelte Vorratsdatenspeicherung hatte. Das BVerwG sah sich allerdings an einer Abweisung der Klage gehindert durch ein Urteil des EuGH. Der EuGH hatte nämlich im April 2014 die 2006 verabschiedete EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (Richtlinie 2006/24) für nichtig erklärt wegen eines Verstoßes gegen Art. 7 und Art. 8 der EU-Grundrechtecharta (Recht auf Privatsphäre und Recht auf Datenschutz). Der Maßstab, den der EuGH an die Vorratsdatenspeicherung anlegte, war deutlich strenger als die Linie des BVerfG. Das „Nein“ war klarer. Und ob es überhaupt ein „Aber“ (eine anlasslose Speicherung im Ausnahmefall) gibt, war dem EuGH-Urteil nicht deutlich zu entnehmen (EuGH v. 8.4.2014, Az. C-293/12 und C-594/12).
Die Unklarheiten des EuGH-Urteils vom 8.4.2014 (und einiger weiterer späterer Entscheidungen des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung) haben dazu geführt, dass das BVerwG dem EuGH den SpaceNet-Fall vorgelegt hat (BVerwG v. 25.9.2019, Az. 6 C 12.18). Der EuGH wird sich daher am kommenden Dienstag voraussichtlich dazu positionieren, ob er bei seinem „Nein“ zur Vorratsdatenspeicherung bleibt oder ob es Schlupflöcher für den deutschen Gesetzgeber (ein „Aber“) gibt. Die Entscheidung wird richtungweisend für die zukünftige Diskussion der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und Europa sein.