… wo schleicht herum der Denunziant (Max Kegel, Der Denunziant, 1884).
„Wenn das Land mit Meldestellen überzogen wird, die teils staatlich sind, teils staatlich gefördert, teils staatlich finanziert, teils staatlich zertifiziert und in jedem Fall staatlich goutiert werden, weckt dies bei mir nun mal Erinnerungen …“
… an die DDR, so schrieb der Verfasser vor zwei Tagen auf X. Natürlich kam umgehend der Einwand (in diesem Fall von RA Oliver Löffel), das Land werde nicht mit Meldestellen überzogen und überhaupt sei ein solcher Vergleich unsachlich. Es sind daher die folgenden Fragen zu beantworten:
Wie groß ist das quantitative und qualitative Ausmaß der Denunziationspraxis tatsächlich? Und ab wann darf man davon sprechen, dass das Land mit Meldestellen überzogen wird?
7. Zahl der Meldestellen: 56
Für eine quantitative Analyse reicht es nicht, ChatGPT, Google oder ein paar Webseiten zu durchsuchen. Man muss händisch zählen. Die Zahl der vom Verfasser gezählten Meldestellen und Meldeportale liegt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) aktuell bei 56:
- ADNB – Antidiskriminierungsnetzwerk des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg
- Amadeo-Antonio-Stiftung – Meldestelle Antifeminismus
- Amaro Foro e. V. – Dokumentationsstelle Antiziganismus
- Berliner Register
- BACK UP – Beratung für Betroffene rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt
- BKMS – anonymes Hinweisgeberportal
- BLM – Bayerische Landeszentrale für neue Medien
- B.U.D. Bayern – B.eratung U.nterstützung D.okumentation für Betroffene rechter Gewalt
- Correctiv – Recherchen für die Gesellschaft [Einreichung von Falschinformationen via WhatsApp]
- Dokumentations- und Informationsstelle Antisemitismus Mecklenburg-Vorpommern
- Each One Teach One (EOTO) e. V.
- eco-Beschwerdestelle
- elly – Beratungsstelle für Betroffene von Hatespeech in Thüringen
- ezra – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen
- FSM-Beschwerdestelle
- HateAid – Melde-App
- HateAid – Meldeformular
- Hatefree – Digitale Gewal melden
- Hessen gegen Hetze
- I-Report
- IBIS e.V.
- Informationsstelle Antikurdischer Rassismus
- Internet-Beschwerdestelle
- jugendschutz.net
- Konsequent gegen Hass – Meldeverfahren für Amts- und Mandatsträger Bayern
- L-Support – Lesbisch Bi Queer Victim Support
- Landesanstalt für Medien NRW
- LesMigraS – Diskriminierung & Gewalt online melden
- LFK – Die Medienanstalt für Baden-Württemberg
- m*power -Melde- und Dokumentationsstelle für menschenfeindliche Vorfälle in Rheinland-Pfalz
- MANEO – Das schwule Anti-Gewalt-Projekt in Berlin
- MA HSH – Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein
- medienanstalt_berlin_brandenburg – Verfolgen statt nur Löschen
- Medienanstalt Hessen
- Meldestelle anti-Schwarzer, antiasiatischer und weitere Formen von Rassismus NRW (im Aufbau)
- Meldestelle Antiziganismus NRW (im Aufbau)
- Meldestelle für antimuslimischen Rassismus NRW (im Aufbau)
- Meldestelle Queerfeindlichkeit NRW (im Aufbau)
- Meldestelle Respect!
- memo – Digitale Hinweisstelle für antisemitische, rassistische und rechte Vorfälle ist Teil unseres Projekts
- MIA – Melde- und Informationsstelle Antiziganismus
- Mimikama – Zuerst denken – dann klicken
- Netzverweis – Gemeinsam gegen Internetkriminalität
- Niedersächsische Landesmedienanstalt
- Online-Meldeportal Hasskriminalität für Amts- und Mandatsträger Brandenburg
- Onlinewache der Polizeien in Deutschland
- Opferberatung Rheinland – Beratung und Unterstützung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt
- RIAS – Report Antisemitism
- RIAS NRW
- Serviceportal Hamburg – Hasskrimininalität im Internet melden
- Stadt München – Melden gegen Diskriminierung in der Schule
- Stark im Amt – Portal für Kommunalpolitik gegen Hass und Gewalt
- Strong – Hate Speech Meldestelle
- ZEBRA – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe e. V.
- Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet des BKA
- ZIHN – Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskrimininalität im Internet Niedersachsen bei der Staatsanwaltschaft Göttingen
Ob man es für gut oder schlecht, sinnvoll oder schädlich hält: es lässt sich wohl kaum bestreiten, dass Meldestellen und Meldeportale wie Pilze aus dem Boden schießen und dass das massenhafte Melden von Internetinhalten zu einem inhärenten Bestandteil des Kampfes von Behörden und der sog. Zivilgesellschaft gegen unerwünschte Inhalte geworden ist.
Nicht alle der genannten Meldestellen und Meldeportale verfolgen denselben Zweck. Bei den meisten geht es um das Auffinden, Bewerten, Dokumentieren, Weiterleiten und zum Teil auch Veröffentlichen inkriminierter Inhalte, wobei diese strafbar, rechtswidrig, falsch, irreführend oder einfach nur gesellschaftlich unerwünscht sein können. Es finden sich öffentliche Meldestellen (vor allem Polizeien, Staatsanwaltschaften, Landesmedienanstalten) und nichtöffentliche Meldestellen. Bei diesen sind manche rein privat finanziert, die meisten aber staatlich gefördert und/oder finanziert.
Selbstverständlich ist es sinnvoll, dass Opfer von Straftaten auf niedrigschwellige Weise Anzeige erstatten können. Aber:
- Die schiere Zahl der Meldestellen,
- ihre Finanzierung,
- die unklare Abgrenzung zwischen strafbaren, rechtswidrigen und rechtmäßigen Inhalten, derer sie sich annehmen,
- die enge Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Stellen und privaten Akteuren,
- die unterschiedlichen Zwecke, denen diese Meldestellen dienen, und
- letztlich auch die Rechtsgrundlagen und die rechtlichen Grenzen ihres Tuns
werfen Fragen auf, die einer näheren Betrachtung bedürfen und die weit über die „Trusted Flagger“-Problematik des Digital Services Act hinausreichen. Fortsetzung folgt …