CR-online.de Blog

Öffentlich-private Meldegeflechte

avatar  Winfried Veil

Staatlich propagiertes und „amtlich kultiviertes“ Denunziantentum?

Meldestellen, Meldeportale und Meldehelden schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Zertifizierung der Meldestelle REspect! als „vertrauenswürdiger Hinsweisgeber“ durch die Bundesnetzagentur hat eine kritische Analyse der Rolle solcher Stellen in Gang gesetzt. Der Eindruck, dass es sich um ein quantitativ beachtliches Phänomen handelt, lässt sich durch einfaches Zählen erhärten. Schon bei kurzer Internetrecherche ließen sich (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) allein in Deutschland 56 Online-Meldestellen ausfindig machen.

Doch Meldestelle ist nicht gleich Meldestelle. Dem Einwand von Thomas Hochstein, die „Wahllosigkeit der Aufzählung“ in dem Blogbeitrag „Verpestet ist ein ganzes Land … (Teil III)“ beeinträchtige die „Ãœberzeugungskraft der Argumentation“, ist daher nachzugehen.

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Bei näherer Betrachtung schillert das Phänomen „Meldestelle“ noch stärker als erwartet. Nicht nur bei der Ãœberwachung von Inhalten im Internet setzt der Staat zunehmend auf die Einbeziehung und Institutionalisierung Privater, wie die lose Ãœbersicht im Annex zeigt.

Wenn sich ein gehäuftes Vorkommen und eine gesetzlich verstärkte Institutionalisierung von Meldestellen empirisch bestätigen lässt, stellt sich natürlich die Folgefrage, ob dies tatsächlich ein Symptom einer Renaissance des Denunziantentums ist, oder anders erklärt werden kann. Das Phänomen des Meldens oder (abwertend) „Denunzierens“ im Zeitalter der Digitalisierung ist – soweit ersichtlich – bislang weder soziologisch noch politikwissenschaftlich hinreichend erforscht. Eine Typologisierung alter und neuer Meldestellen steht aus – sicherlich ein reizvolles Dissertationsthema. Die offenkundigen rechtlichen und gesellschaftlichen Probleme müssen jedoch jetzt diskutiert werden, weswegen hier die folgenden fünf Fallgruppen zu unterschieden werden sollen:

1. Der private Akteur betreibt eine Meldestelle

Das Sammeln von Informationen ist grundrechtlich geschützt. Daher darf jeder allgemein zugängliche Informationen sammeln und auch weitergeben – selbstverständlich auch im Internet. Allen „Meldestellen“ gemein ist zumindest vordergründig auch der kaum vorwerfbare Einsatz „Gemeinsam für das Gute im Netz“, wie beispielsweise der Werbeslogan der Eco-Meldestelle lautet.

Nicht jede Meldestelle will dem Staat jedoch bei der Durchsetzung geltenden Rechts helfen. Wie die Falschparkerapp weg.li, das Greenpeace-Portal Meldeheld:in oder das Antidiskriminierungsportal LesMigraS zeigen, geht es manchen dieser Akteure vielmehr um die Herstellung von Öffentlichkeit mit dem Ziel, öffentlich Meinungsdruck aufzubauen, um politische Ziele zu erreichen. Auch das ist generell legal und legitim. Allerdings müssten Datenschützer schon an dieser Stelle misstrauisch werden. Immerhin sammeln diese privaten „Meldestellen“ oft Sachverhalte über Personen, denen eine Straftat oder zumindest eine gesellschaftlich geächtete Verhaltensweise zur Last gelegt wird.

2. Der Staat betreibt eine Meldestelle

Etwas völlig anderes ist es, wenn der Staat Informationen sammelt. Schon die Erhebung muss in jedem Fall einem öffentlichen Interesse dienen. Problematisch wird das, wenn der Staat beim Sammeln von Informationen in Rechte des Einzelnen eingreift. Das kann recht schnell geschehen, denn schon die Verarbeitung eines einzelnen personenbezogenen Datums stellt nach herrschender Meinung einen Eingriff in das Datenschutzrecht dar. In einem solchen Fall benötigt der Staat eine Rechtsgrundlage für das Sammeln von Informationen und das Sammeln muss verhältnismäßig sein.

3. Der Staat nutzt die private Meldestelle für die Aufgabenerledigung

Wenn der Staat nicht selbst Informationen sammelt, sondern Privatpersonen für sich sammeln oder sich beim Sammeln von Privatpersonen helfen lässt, wird es noch problematischer, denn für den Staat gelten beim Sammeln von Informationen strengere Vorgaben. So ist der Staat unmittelbar an den Schutz der Grundrechte (zum Beispiel die Meinungsfreiheit) gebunden. Er muss sich gegenüber dem Bürger vor dem Verwaltungsgericht für sein Handeln verantworten. Er ist nach Informationsfreiheitsgesetz informationspflichtig. Er muss Akteneinsicht nach Verwaltungsverfahrensgesetz gewähren. Für Behörden wäre es natürlich verlockend, sich dieser Bindungen zu entziehen und Privatpersonen für sich arbeiten zu lassen, die diesen Bindungen nicht unterliegen. Eine Auslagerung der staatlichen Aufgabenwahrnehmung, die mit diesem Ziel vorgenommen würde, müsste man dann allerdings als Rechtsflucht charakterisieren.

4. Der Staat nutzt die private Meldestelle für die Strafverfolgung

Noch problematischer wird es, wenn der Staat sich nicht nur bei einfachen Verwaltungsaufgaben, sondern in den Bereichen der Ordnungsverwaltung, der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung von Privatpersonen helfen lässt, für die er das Gewaltmonopol beansprucht, denn diese Bereiche sind genuin staatliche Aufgaben. Wie die Beispiele der Vertrauensperson oder der Öffentlichkeitsfahndung zeigen, darf sich der Staat durchaus der Mithilfe Privater bedienen – allerdings nur in sehr engen rechtlichen Grenzen. Bürgerwehren und Hilfssheriffs sind zu Recht in Deutschland tabu, digitale Bürgerwehren und Onlinehilfssheriffs müssten es dann ebenfalls sein.

5. Will der Staat durch private Meldestellen die Meinungsbildung beeinflussen?

Rechtlich am problematischsten wäre es allerdings, wenn der Staat Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen wollte, indem er sich privater Akteure als Erfüllungsgehilfen bediente.

Im Falle der „Meldestellen“ kann eine solche Einflussnahme verschiedene Erscheinungsformen haben:

  • Finanziert der Staat eine private „Meldestelle“, liegt darin keine unmittelbare Einflussnahme. Aber allein die Tatsache der Finanzierung sorgt schon dafür, dass der Staat das inkriminierte meldewürdige Verhalten vorzieht und andere Verhaltensweisen, deren Verfolgung keine besondere staatliche Unterstützung zuteilwird, für weniger verfolgungswürdig hält. Mindestens aber droht ein „Meldebias“, wenn der Staat die Meldung nur einer Teilmenge sozial unerwünschten Verhaltens durch Förderung und Finanzierung begünstigt. Allein für das Programm „Demokratie leben“ stellte der Bund in den vergangenen Haushaltsjahren 165,5 Millionen Euro (2022), 182 Millionen Euro (2023) und 182 Millionen Euro (2024) projektgebunden zur Verfügung – Mittel, aus denen zumindest zu einem gewissen Teil auch Projekte unterstützt wurden und werden, die in die hier in Rede stehenden Meldestellen eingeflossen sind.
  • Bewirbt der Staat eine private „Meldestelle“, liegt auch darin keine unmittelbare Einflussnahme. Es ist aber schon fragwürdig, wenn staatliche Stellen, zu deren Aufgaben eigentlich gehört, gegen mutmaßlich rechtswidrige Inhalte vorzugehen, die Betroffenen stattdessen auf die Meldeportale von Privaten zurückverweisen. Wenn ein Bürger den Weg bereits auf eine Webseite staatlicher Stellen gefunden hat, warum verweisen diese dann nicht ausschließlich auf die Polizeiwache? Stattdessen verweisen zum Beispiel die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen und die Kooperationsstelle Kriminalprävention der Freien Hansestadt Bremen auf die Meldestelle REspect!.
  • Zertifiziert der Staat eine private „Meldestelle“ ist die Gefahr einer Einflussnahme natürlich noch größer. Auch hier wird sich eine unmittelbare Einflussnahme auf die Meldetätigkeit des Privaten nicht nachweisen lassen. In einem für den politischen Kampf der Meinungen hochsensiblen Bereich wie dem der Meinungsfreiheit reicht aber schon der böse Schein, um die Legitimität staatlichen Handelns zu beeinträchtigen. Wenn dieser böse Schein auch noch durch unbewusste (?) oder bewusste (?) Kommunikation befeuert wird, drängt sich der begründete Verdacht des Versuchs staatlicher Diskurslenkung natürlich auf.
  • Institutionalisiert der Staat immer mehr gesetzlich verankerte Meldestellen (insbesondere im Bereich der meinungsbildenden Kommunikation), entsteht allein dadurch ein „selektives Abbild des öffentlichen Diskursraumes“ (Philipp Fess). Trennt der Gesetzgeber dabei nicht sauber zwischen der staatlichen und der privaten Sphäre, besteht die Gefahr, dass die Grenze zwischen staatlicher Ãœberwachung und zivilgesellschaftlichem Engagement verwischt. Es ist jedoch „nicht die Aufgabe der Regierung, die ideologische Meinungsbildung der Gesellschaft zu organisieren“ (Ijoma Mangold). Wenn er dies dennoch versucht, untergräbt er die Legitimität seines eigenen Handelns.

Errichtet der Staat selbst in großem Umfang eigene Meldestellen, forciert durch Finanzieren, Bewerben, Zertifizieren und Institutionalisieren darüber hinaus eine Vielzahl privater Meldestellen und trennt anschließend nicht mehr sauber zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Meldestellen, entsteht ein öffentlich-privates Meldegeflecht, das insgesamt zu einem Klima der Verdächtigung, der Furcht und des Misstrauens und zur gesellschaftlichen Spaltung beitragen kann.

Früher waren es vor allem liberale oder linke Verteidiger bürgerlicher Freiheiten, die sich gegen Bürgerwehren und selbsternannte Hilfssheriffs, die das Recht „in die eigene Hand nehmen“ wollten, wandten. Selbst Öffentlichkeitsfahndungen oder Sendungen wie Aktenzeichen XY“ wurden kritisiert, während die „Law and Order“-Fraktion eher Beifall klatschte. Heute gilt dagegen der Widerstand gegen digitale Bürgerwehren und Onlinehilfssheriffs, die beim Kampf gegen „Hass“, „Hetze“ und „Fakenews“ helfen, als rechtspopulistisch (vgl. Zeit Online, Sie nennen es Freiheit – aber sie fördern das Chaos, 13. Oktober 2024). Wer gerade die kulturelle Hegemonie und Diskurshoheit im Lande besitzt, scheint offensichtlich immer versucht zu sein, diese durch Denunziation und Aufforderung zur Denunziation absichern zu müssen. Gegen solche Versuchungen des Totalitarismus muss ein demokratischer und pluralistischer Rechtsstaat jedoch Haltung zeigen.

Annex

  1. Öffentliche und nichtöffentliche Meldestellen
  2. Die Meldebehörde
  3. Der Vertrauenswürdige Hinweisgeber
  4. Der Anzeigeerstatter
  5. Die Öffentlichkeitsfahndung
  6. Aktenzeichen XY … ungelöst
  7. Die Onlinewache
  8. Der Whistleblower
  9. Die Meldestelle nach Hinweisgeberschutzgesetz
  10. Die Landesmedienanstalt
  11. Das Falschparkerportal
  12. Das Meldeheld:in-Portal
  13. Der Verdeckte Ermittler
  14. Die Vertrauensperson
  15. Der Kronzeuge
  16. Die Nichtregierungsorganisation

1. Öffentliche und nichtöffentliche Meldestellen

Zunächst ist zu unterscheiden zwischen Meldestellen, die vom Staat selbst eingerichtet und betrieben werden, und solchen, die von privaten Vereinen, Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen oder Einzelpersonen angeboten werden.

Von „Stellen“ spricht man im Verwaltungsrecht, wenn man Organisationseinheiten von Behörden meint, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Von Meldestelle spricht man, wenn die Verwaltungseinheit dazu da ist, Informationen entgegenzunehmen oder für bestimmte Verwaltungszwecke weiterzuverarbeiten. Zu welchen Zwecken dies geschehen kann, ist grundsätzlich offen. In den meisten Fällen werden es aber Zwecke der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung sein.

Der Begriff „Stelle“ klingt im allgemeinen Sprachgebrauch „amtlich“. Eine „Meldestelle“ dürfte umgangssprachlich daher als eine offizielle Einrichtung aufgefasst werden, der man eine Information übermitteln kann und/oder die selbst Informationen übermittelt. Juristisch geschützt ist der Gebrauch der Begriffe „Stelle“ oder „Meldestelle“ aber natürlich nicht. In einer freiheitlichen Gesellschaft sind Erhebung, Verarbeitung und Weiterverarbeitung von Informationen für jegliche kommerzielle und nichtkommerzielle Zwecke zulässig. Jeder darf also eine Stelle zur Sammlung von Informationen „für was auch immer“ gründen. Jeder Private darf auch andere Private zur „Meldung“ bestimmter Informationen aufrufen (also eine Meldestelle einrichten) und diese auch so nennen.

Dass der Begriff der Meldestelle offiziös klingt, macht ihn für manche Private wohl attraktiv genug, um sich den Anstrich staatlicher Seriosität zu geben.

Problematisch wird es, wenn öffentliche und nichtöffentliche Meldestellen zu eng zusammenwirken.

2. Die Meldebehörde

Die Meldebehörde ist keine Meldestelle im hier noch zu definierenden Sinne. Die Rechtsgrundlage für ihre Arbeit gibt aber wertvolle Hinweise dafür, was eine rechtsstaatlich organisierte Behörde ausmacht und was dem Wildwuchs an Meldestellen zum größten Teil fehlt:
  • Aufgabe: Die Meldebehörde hat einen klaren gesetzlichen gesetzlichen Auftrag. Sie hat die in ihrem Zuständigkeitsbereich wohnhaften Personen (Einwohner) zu registrieren, um deren Identität und deren Wohnungen feststellen und nachweisen zu können (§ 2 Abs. 1 BMG).
  • Register: Da die Meldebehörden große Datenmengen erheben und strukturiert speichern müssen, führen sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben Melderegister. Diese enthalten Daten, die bei der betroffenen Person erhoben, von öffentlichen Stellen übermittelt oder sonst amtlich bekannt werden (§ 2 Abs. 2 BMG).
  • Auskunft: Ihre Eigenschaft als datenhaltende Stelle qualifiziert die Meldebehörde in besonderer Weise dafür, Melderegisterauskünfte zu erteilen, bei der Durchführung von Aufgaben anderer öffentlicher Stellen mitzuwirken und Daten zu übermitteln (§ 2 Abs. 3 BMG).
  • Personenbezogene Daten: Die Meldebehörden dürfen personenbezogene Daten, die im Melderegister gespeichert werden, nur nach Maßgabe gesetzlicher Vorschriften verarbeiten (§ 2 Abs. 4 BMG).

3. Der Vertrauenswürdige Hinweisgeber

Die sogenannten „vertrauenswürdigen Hinweisgeber“, an denen sich die aktuelle rechtliche und politische Debatte entzündet hat, sind in Art. 22 Digital Services Act (DSA) geregelt. Sie werden in jedem EU-Mitgliedstaat vom Digital Services Coordinator (Deutschland: Bundesnetzagentur) zertifiziert. Rechtsfolge der Zertifizierung ist, dass die Meldungen des „vertrauenswürdigen Hinweisgebers“ von der Online-Plattform vorrangig behandelt, unverzüglich bearbeitet und einer Entscheidung zugeführt werden müssen.

Die skizzierte klare Unterscheidung zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen ist bei dieser Art von Meldestellen nach DSA nicht gegeben. Öffentliche, halböffentliche und nichtstaatliche Einrichtungen können „vertrauenswürdige Hinweisgeber“ werden. Ausdrücklich nennt der DSA zwei öffentliche Einrichtungen, die „vertrauenswürdige Hinweisgeber“ werden könnten:

  • die „Meldestellen für Internetinhalte der nationalen Strafverfolgungsbehörden“;
  • die „Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung“ (Europol).

Bei den nichtöffentlichen Einrichtungen nennt der DSA:

  • Nichtregierungsorganisationen;
  • private oder halböffentliche Einrichtungen wie Organisationen, die Teil des INHOPE-Meldestellennetzes zur Meldung von Material über sexuellen Kindesmissbrauch sind;
  • Organisationen für die Meldung rechtswidriger rassistischer und fremdenfeindlicher Darstellungen im Internet.

Dass staatliche und nichtstaatliche Akteure vom Gesetz so unkritisch nebeneinandergestellt und mit derselben Aufgabe betraut werden (können), ist mindestens bemerkenswert.

4. Der Anzeigeerstatter

Der klassische Fall des Melders ist der Anzeigeerstatter. In Deutschland ist jedermann anzeigeberechtigt. Es muss sich dabei nicht um den Geschädigten handeln. Anonyme Anzeigeerstattungen sind möglich. Auch eine „Anzeige gegen Unbekannt“ ist zulässig. Die Anzeige kann bei der Staatsanwaltschaft, den Behörden und Beamten des Polizeidienstes und den Amtsgerichten angebracht werden (§ 158 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Wie zurückhaltend der Gesetzgeber bei der Einschaltung Privater in die Strafverfolgung ist, zeigt sich daran, dass es keine allgemeine Anzeigepflicht gibt. Nur Personen, die zur Straftatenermittlung berufen sind, müssen anzeigen. Zwar ist die Nichtanzeige geplanter bestimmter schwerer Straftaten sogar strafbar (§ 138 StGB). Eine Pflicht zur Anzeigeerstattung bereits begangener Straftaten besteht für Privatpersonen aber nicht. Der Bürger wird also vom Staat im Großen und Ganzen nicht zur Denunziation von Straftätern angehalten oder gar aufgefordert. Im Gegenteil kann die falsche Verdächtigung oder auch nur eine üble Nachrede sogar ihrerseits eine Straftat sein.

5. Die Öffentlichkeitsfahndung

Diese Einschätzung wird durch die engen Grenzen, denen die Öffentlichkeitsfahndung unterliegt, bestätigt. Hierbei wird die Bevölkerung von den Strafverfolgungsbehörden ausdrücklich zur Mithilfe bei der Aufenthaltsermittlung eines Beschuldigten oder eines Zeugen aufgefordert. Voraussetzung ist eine Straftat von erheblicher Bedeutung, ein dringender Tatverdacht und dass die Aufenthaltsermittlung auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre (§ 131a Abs. 3 StPO).

6. Aktenzeichen XY … ungelöst

Die vom ZDF seit 1967 ausgestrahlte Sendung macht die Öffentlichkeitsfahndung zu einem Unterhaltungsformat. Vor allem in den ersten beiden Jahrzehnten seiner Ausstrahlung wurde es von Teilen von Presse und Öffentlichkeit immer wieder scharf kritisiert. Die Vorwürfe reichten von „Menschenjagd“ über Förderung des Denunziantentums, Diskriminierung von Minderheiten, Schüren von Ängsten, Instrumentalisierung von Verbrechen zu Unterhaltungszwecken bis hin zur Befriedigung von Sensationslust.

7. Die Onlinewache

Die Onlinewache ist ein Meldeportal der Polizei. Man kann dort Strafanzeigen erstatten, was auch und insbesondere für die Meldung rechtswidriger Inhalte im Internet in Betracht kommt. Die Onlinewache wird daher auch als Internetwache, virtuelle Polizeidienststelle, elektronisches Polizeirevier oder eRevier bezeichnet. Da die Zuständigkeit für die Polizei bei den Ländern liegt, liegt die Verantwortung für die jeweiligen Onlineportale bei den Ländern. Das Portal Onlinewache.Polizei.de bietet einen zentralen Zugang zu den jeweiligen Angeboten. Über die auf diesem Portal angeführten Links erreicht man die Services der jeweils zuständigen Polizei. Durch das jeweilige Landeswappen in den Formularen ist ersichtlich, in wessen Webauftritt bzw. Zuständigkeit man sich aktuell befindet. Jedes Bundesland ist selbst für die Ausprägungen und Inhalte der Formulare der Onlinewache verantwortlich. Die Onlinewache soll den Bürgern die zeitgemäße Kontaktaufnahme mit der Polizei ermöglichen und insbesondere die Zugänglichkeit für behinderte Menschen erleichtern.

8. Der Whistleblower

Mit der Richtlinie 2019/1937 („Whistleblower-Richtlinie“) hat die EU Mindeststandards für den Schutz von Personen festgelegt, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Sie betrifft Personen, die für eine öffentliche oder private Organisation arbeiten oder mit ihr in Kontakt stehen und die Rechtsverstöße wahrnehmen und melden. Als „Hinweisgeber“ definiert wird eine natürliche Person, die im Zusammenhang mit ihren Arbeitstätigkeiten erlangte Informationen über Verstöße meldet oder offenlegt (Art. 5 Nr. 7 Richtlinie 2019/1937).

Diese Personen tragen – so die Richtlinie – als Hinweisgeber oft dazu bei, Verstöße aufzudecken und zu unterbinden. Da potenzielle Hinweisgeber aber aus Angst vor Repressalien häufig davor zurückschrecken, ihre Bedenken oder ihren Verdacht zu melden, verstärkt die Richtlinie ihren Schutz. Sowohl auf Unionsebene als auch auf internationaler Ebene werde – so EG 1 Richtlinie 2019/1937 – zunehmend anerkannt, dass es eines ausgewogenen und effizienten Hinweisgeberschutzes bedürfe. Die Rechtsdurchsetzung müsse verbessert werden, indem effektive, vertrauliche und sichere Meldekanäle eingerichtet und Hinweisgeber wirksam vor Repressalien geschützt werden.

Dementsprechend enthält die Richtlinie 2019/1937 die Pflicht juristischer Personen zur Einrichtung interner Meldekanäle (Art. 8) und die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Einrichtung externer Meldekanäle (Art. 11).

9. Die Meldestelle nach Hinweisgeberschutzgesetz

Eine Meldestelle nach dem Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) ist eine Stelle, die eingerichtet wird, um „Whistleblower“ zu schützen und deren Meldungen zu bearbeiten. Das Hinweisgeberschutzgesetz, das in Deutschland im Juli 2023 in Kraft trat, dient dazu, Personen, die Missstände oder Verstöße in Unternehmen oder Behörden melden, vor Repressalien wie Kündigung, Mobbing oder Diskriminierung zu schützen. Der Zweck dieser Meldestellen ist es, Missstände wie Korruption, Verstöße gegen Umweltauflagen, Datenschutzverletzungen oder andere rechtliche Verstöße frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen.

Es gibt zwei Arten von Meldestellen:

a) Interne Meldestellen

Unternehmen ab einer bestimmten Größe (in der Regel mit mehr als 50 Mitarbeitern) sind verpflichtet, interne Meldestellen einzurichten. Mitarbeiter, Geschäftspartner oder auch externe Dienstleister können über diese Meldestellen Hinweise auf Missstände oder Verstöße einreichen. Diese Meldestellen müssen unabhängig und vertraulich arbeiten und die Hinweise ordnungsgemäß prüfen und bearbeiten.

b) Externe Meldestellen

Neben den internen Meldestellen gibt es auch staatliche, externe Meldestellen, an die sich Hinweisgeber wenden können. Eine zentrale externe Meldestelle in Deutschland ist beim Bundesamt für Justiz angesiedelt. Diese Stellen sind ebenfalls dazu verpflichtet, Hinweise entgegenzunehmen, zu prüfen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Das Gesetz sieht vor, dass Hinweisgeber nicht gezwungen sind, sich zuerst an interne Stellen zu wenden, sondern auch direkt eine externe Meldestelle nutzen dürfen.

10. Die Landesmedienanstalt

Die Landesmedienanstalten sind als Anstalten des öffentlichen Rechts öffentliche Einrichtungen, die aufgrund Gesetzes und des Medienstaatsvertrages tätig werden. Es gibt in Deutschland 14 Landesmedienanstalten, die die Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflichten im privaten Rundfunk kontrollieren. Mit dem am 7. November 2020 in Kraft getretenen Medienstaatsvertrag haben sich die Aufgaben der Landesmedienanstalten um die Intermediärsregulierung erweitert. Eine Durchsicht der Webseitenauftritte der Landesmedienanstalten lässt unschwer erkennen, dass auch sie den Kampf gegen Desinformation, Hatespeech, Fakenews und Propaganda als eine ihrer Hauptaufgaben ansehen. Soweit ersichtlich, bieten alle Medienanstalten Online-Beschwerdeformulare an, in denen es heißt:

„Wenn Sie in einer Fernseh- oder Radiosendung oder in einem Internetangebot einen Verstoß gegen medienrechtliche Vorschriften vermuten, können Sie dieses Beschwerdeformular nutzen, um uns den entsprechenden Fall zur Ãœberprüfung zu melden.“

In dem Formular (Beispiel: Medienanstalt Hessen) werden als meldefähige Kategorien neben Pornographie, Gewaltdarstellung und jugendgefährdenden Inhalten auch Volksverhetzung, Extremismus und Desinformation angeboten.

11. Das Falschparkerportal

Die Stadt Frankfurt am Main betreibt seit Februar 2024 ein Online-Portal, über das Privatpersonen Verstöße im ruhenden Verkehr (also falsch parkende und haltende Fahrzeuge) online melden können. Angeboten wird ein für die Anzeige nötiges digitales Formular, das auch mobil mit dem Handy oder Tablet ausgefüllt werden kann. Die Stadt verspricht sich davon die Optimierung und Beschleunigung der Privatanzeigenerstattung, die schnellere Einleitung von Bußgeldverfahren, dadurch eine „zeitnahe Behördeninteraktion“ mit dem Falschparker oder Fahrzeughalter („verknüpft mit der Hoffnung auf eine künftige Verhaltensänderung“) und eine Entlastung der Mitarbeiter.

Privat betrieben wird die Falschparkerapp weg.li. Mit ihr soll man unproblematisch ein mit dem Handy gemachtes „Beweisfoto“ hochladen, den Verkehrsverstoß erfassen und den Falschparker per E-Mail beim Ordnungsamt oder der Polizei melden können. Ziel ist es laut FAQ, dem „gesellschaftlich akzeptierten Falschparken ein Ende zu bereiten“, der Forderung nach einem Ausbau der Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur Nachdruck zu verleihen und damit die Verkehrswende zu beschleunigen. Die Webseite nennt sogar Meldeziele und zeigt via Balkendiagramm an, inwieweit das Wochenziel (8.000 Anzeigen), das Monatsziel (32.000 Anzeigen) und das Jahresziel (416.000 Anzeigen) schon erreicht wurden.

12. Das Meldeheld:in-Portal

Das Verpackungsgesetz verpflichtet alle Vertreiber von To-Go-Essen in Einwegplastikverpackungen und To-Go-Bechern  auch eine Mehrwegalternative hierfür anzubieten. Anfang 2023 richtete Greenpeace ein Online-Meldeportal ein, über das jedermann als sogenannter „Meldeheld:in“ Take-Away-Ketten, Mensen und andere melden konnte, wenn diese sich nicht an die seit dem 1. Januar 2023 geltende Mehrwegangebotspflicht gehalten hatten. Hier musste man nur ein Onlineformular ausfüllen und abschicken. Das „Single Use“-Meldeportal wurde inzwischen allerdings wieder abgeschaltet, da – so Greenpeace – das politische Ziel (die Schließung einer Gesetzeslücke) erreicht worden sei.

13. Der Verdeckte Ermittler

Der Verdeckte Ermittler ist ein eigener Mitarbeiter einer Strafverfolgungsbehörde (§ 110a StPO), eines Nachrichtendienstes (dann Verdeckter Mitarbeiter: § 9a BVerfSchG, § 5 MADG), § 5 BNDG) oder einer Gefahrenabwehrbehörde (dann besonderes Mittel der Datenerhebung: § 45 Abs. 2 Nr. 5 BKAG, § 28 Abs. 2 Nr. 4 BPolG). Sie sind in der Regel Beamte, die unter einer ihnen verliehenen, auf Dauer angelegten, veränderten Identität (Legende) ermitteln (vgl. § 110a Abs. 2 StPO).

Verdeckte Ermittler dürfen zur Aufklärung bestimmter Straftaten von erheblicher Bedeutung eingesetzt werden. Sie dürfen dann unter der Legende am Rechtsverkehr teilnehmen.

14. Die Vertrauensperson

Im Unterschied zum Verdeckten Ermittler ist die Vertrauensperson eine Privatperson, die planmäßig, dauerhaft mit der Behörde zusammenarbeitet, was aber Dritten nicht bekannt ist (§ 9b BVerfSchG). Die Vertrauensperson erhebt Informationen, die für den jeweiligen Auftraggeber von Interesse sind, inklusive personenbezogener Daten Dritter.

15. Der Kronzeuge

Ein Kronzeuge ist ein Zeuge, der gegen Zusage von Strafmilderung oder Straffreiheit für den eigenen Tatbeitrag gegen die übrigen Tatbeteiligten aussagt. § 46b StGB und weitere bereichsspezifische Normen verschaffen dem Täter einer Straftat bei der Strafzumessung eine bessere Ausgangsposition, wenn er durch freiwilliges Offenbaren seines Wissen zur Aufdeckung oder Verhinderung einer Straftat beigetragen hat.

16. Die Nichtregierungsorganisation

Die Voraussetzungen des Betriebes einer Meldestelle durch eine „Nichtregierungsorganisation“ (NRO) dagegen sind weitaus unklarer. Als NRO gelten prinzipiell alle Verbände oder Gruppen, die gemeinsame Interessen vertreten, nicht gewinnorientiert und nicht von Regierungen oder staatlichen Stellen abhängig sind.

Wie die Liste der 56 Meldstellen zeigt, sind darunter zahlreiche Vereine und Stiftungen, die vielfältige Ziele verfolgen (Zitate):

Wann die Grenze überschritten wird, an der insbesondere eine weitgehend von staatlicher Förderung „abhängige“ Meldestelle noch als NRO gelten kann, wäre rechtlich noch genauer zu untersuchen. Auf welchem Niveau der „Meldung“ sich manche Organisationen allerdings offenkundig bewegen, mag ein Beispiel verdeutlichen: Am 18. Oktober 2024 wurde am S-Bahnhof Jungfernheide in Berlin ein Aufkleber einer fundamentalistischen katholischen Organisation entdeckt. Der Träger des „Registers Charlottenburg-Wilmersburg“, das diesen konkreten „Vorfall“ aufgenommen hat, ist der „Landesverband Berlin der Sozialistischen Jugend – Die Falken“ – also eine politische Jugendorganisation. Die „Registerstellen“ des „Berliner Registers“, die solche „Vorfälle“ dokumentieren, werden allerdings vom Land Berlin und den Berliner Bezirken finanziert und gefördert.

 

 

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Sie müssen sich einloggen um einen Kommentar schreiben zu können.