Hinter verschlossenen Türen verhandeln drei Personen in Brüssel derzeit über die Zukunft des Datenschutzes in Europa. Und während wir alle auf weißen Rauch warten, mehren sich die Anzeichen für einen faulen Kompromiss:
- Ein Datenschutzrecht, das noch bürokratischer, unbeholfener und umständlicher sein wird als bisher.
- Ein Datenschutzrecht, das die Privatsphäre der Bürger unzulänglich schützt und europäischen Unternehmen den Wettbewerb mit der US-Konkurrenz weiter erschwert.
- Ein Datenschutzrecht, das auf Big Data keine Antworten hat. Ein Datenschutzrecht, das die medizinische Forschung gefährdet und die freie, anonyme Kommunikation der Bürger behindert.
Wer mit wem wie verhandelt
Der grüne Abgeordnete Jan Albrecht, der sich jüngst wieder als einsamer Held im Kampf gegen Lobbyisten feiern ließ (Filmkritik von Veil, „Democracy – im Rausch der Daten“, CRonline Blog v. 12.11.2015), sitzt seit Wochen selbst in einem dunklen Hinterzimmer und handelt mit der EU-Justizkommissarin VÄ›ra Jourová und einem Vertreter der luxemburgischen Regierung die Datenschutzreform aus. Jan Albrecht kennt die rund 100 Artikel in all ihren Einzelheiten, Jourová ist recht neu im Amt und die luxemburgische Ratspräsidentschaft auf sechs Monate befristet. Man kann sich in etwa vorstellen, wer in diesem Kreis das Zepter führt.
Festhalten an veraltetem Datenschutz-Konzept
Jan Albrecht glaubt fest daran, dass das Datenschutzrecht vor allzu tiefgreifenden Änderungen bewahrt werden muss. Kritik am Verbotsprinzip und Zweifel am Allheilmittel der Einwilligung lässt er nicht gelten. Hinter allen Vorschlägen umfassender Erneuerungen wittert er sinistere Absichten. Big Data hält Albrecht für ein Randthema, das keiner näheren Behandlung bedarf. Wer nicht mehr an Datensparsamkeit glaubt, ist für Albrecht kein Verbündeter im heldenhaften Kampf zwischen „dem Bürger“ und „der Wirtschaft“. Pseudonyme sind für ihn ein schwaches Schutzinstrument, das die Einwilligung nicht ersetzen kann.
(Warum der Datenschutz, wie wir ihn kennen, am Ende ist und der Schutz der Privatsphäre neu entdeckt werden muss, erklären Härting/Schneider in CR 12/2015.)
Frischer Wind zur FAZ
Selbst Albrechts Stellvertreter im Europäischen Parlament, der CDU-Mann Axel Voss, spielt im Trilog offenkundig nur noch eine Statistenrolle. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich Voss heute in der FAZ Luft verschafft und vor einer missratenen Datenschutzreform warnt, die im Denken des letzten Jahrhunderts stecken bleibt (Voss, „Die neue GrundÂverÂordÂnung antÂworÂtet auf die FraÂgen des letzÂten JahrÂhunÂderts“, StandÂpunkt FAZ v. 24.11.2015).
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Voss vermisst eine „Willkommenskultur eines digitalen und datengetriebenen Zeitalters“ und befürchtet ein Datenschutzrecht, das die technologische Wettbewerbsfähigkeit Europas gefährdet. Er bekennt sich dazu, die Datenschutzreform bis Anfang dieses Jahres falsch eingeschätzt und die Bedeutung von Big Data unterschätzt zu haben.
Und Voss bemängelt – völlig zurecht – die Verhuschtheit und die Leisetreterei der Wirtschaftsverbände. Von der Agrarindustrie über die Handwerker bis zu den Apothekern betonen die Verbände gerne (und verlogen), wie gelungen und wunderbar das Reformvorhaben ist, um im gleichen Atemzug umfassende Ausnahmen für die eigene Branche zu fordern.
Advent, Advent, die Datenschutzreform brennt?
Kurz vor Weihnachten werden die drei Brüsseler Datenprotagonisten ihr Hinterzimmer verlassen und einen Kompromiss verkünden. Überraschendes (oder gar Kreatives) ist schon wegen des enormen Zeitdrucks nicht zu erwarten. Es droht ein Datenschutzrecht, das vor allem darauf setzt, europäische Bürger mit einer Flut von Einwilligungserklärungen zu konfrontieren. Voss weist zurecht darauf hin, dass wir diese Einwilligungen alle dankbar erteilen werden, um die Vorteile digitaler Anwendungen in Anspruch zu nehmen (Bei den Cookies üben wir dies ja zur Zeit bereits fleißig). Ein wirksamer Schutz der Privatsphäre sieht anders aus, sodass es am Ende nur Verlierer geben wird.
2 Kommentare
Es ist ja vollkommen zutreffend, dass die Grundverordnung keine Lösungen für Online und Big Data bereit hält. Das ist nur gar nicht das Ziel der Grundverordnung. Die aktuelle Datenschutzdebatte mitsamt Lobbying der Online-Wirtschaft und die Debatte um die Grundverordnung haben nicht so ganz viel miteinander zu tun. Das ist kein Argument für oder gegen die Grundverordnung, die für alles die Grundlage schaffen muss. Spannend wäre deshalb die Frage, was man speziell für Online und Big Data auf dieser Grundlage reguliert, statt die Grundlage als solche in Frage zu stellen, nur weil gerade die Debatte von den ganz anderen Fragen bestimmt wird, die mit der überfälligen Grundverordnung nur am Rande zu tun haben.
Lieber Herr Rebentisch, ich habe leider Mühe, Ihren Punkt zu verstehen.