„Hass ist keine Meinung“ ist der Titel eines neuen Buches zu Hate Speech und Fake News. Die Verfasserin ist keine Unbekannte. Renate Künast ist eine grüne Juristin und Politikerin mit Ecken und Kanten. Sie leitet den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages. Ob sie dem neuen Bundestag noch angehören wird, ist derzeit ungewiss.
Ausgangslage & NetzDG
Renate Künast widmet den ersten Teil des Buches der„Lage“. Sie schildert ihre persönlichen Erfahrungen in den Sozialen Netzwerken: mannigfaltige Schmähungen, Beleidigungen und Unflätigkeiten, meist vergebliche Strafanzeigen und Begegnungen mit Menschen, von denen die Pöbeleien stammten. In Begleitung einer Journalistin machte Künast im vergangenen Jahr einige Pöbeler ausfindig und suchte sie zu Hause auf. Nicht völlig überraschend traf sie dabei vorwiegend auf Unschuldsmienen und Biedermänner aus den Vorstädten der Republik.
Künast zeigt, mit wie viel Hass eine Politikerin in den Sozialen Netzwerken konfrontiert wird. Und der Leser beginnt zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass Politiker ein „Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)“ verabschiedet haben (zum NetzDG siehe Heckmann/Wimmers, CR 2017, 310). Für einen Abgeordneten, der Facebook und Twitter aktiv nutzt, müssen die Netzwerke wirken wie Abgründe des Hasses. Bei allen Scheußlichkeiten, die man in den Netzwerken findet, ist dies jedoch gewiss ein Zerrbild.
Lesenswerte Perspektive
„Radikal subjektiv“ ist die Perspektive, die Künast einnimmt. Und es ist diese Subjektivität, die das Buch lesenswert macht. Dazu passt es auch, dass sie in der zweiten Hälfte des Buchs eingesteht, weit mehr Fragen als Antworten zu haben. Viel zu selten hört man von Politikern solche Sätze.
Patentrezepte gegen „den Hass“ hat Künast nicht. In großer Deutlichkeit sprach sie sich gegen das NetzDG aus. Künast betont den hohen Rang der Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit wäre nichts wert, wenn sie keine unerträglichen Meinungen schützen würde.
Unerträglich sind auch zahlreiche Äußerungen aus dem rechtsextremen Spektrum, dem Künast im vor allem im zweiten Teil ihres Buches viel Aufmerksamkeit widmet.  Und es ist wohl dem Wahlkampf geschuldet, dass Künast dabei das linke Auge weitgehend verschließt. „Hass im Netz“ müssen nicht nur grüne Politikerinnen und Politiker aus dem linken Spektrum aushalten. Man schaue sich einmal den Twitter-Feed der AfD-Frau Weidel an oder auch die Kommentare zu Tweets des amerikanischen Präsidenten. Pöbeleien ziehen sich kreuz und quer durch das politische Spektrum.
Ursache „Abgehängte“
Künast fragt nach den Ursachen des „Hasses“ und meint, es handele sich um eine Reaktion der „Abgehängten“. Die „Abgehängten“ sind nicht so sehr die Arbeitslosen und Benachteiligten, sondern Menschen, die Mühe haben, die Welt zu verstehen. Wenn Politik den Eindruck vermittelt, sie kümmere sich primär um Themen, die Otto Normalverbraucherin wenig betreffen, werden Politiker als „abgehoben“, „elitär“ und egoistisch wahrgenommen.
Phänomen „politische Korrektheit“
Nichts ist elitärer als „politische Korrektheit“. Renate Künast möchte auch in Zukunft den Eskimo „Eskimo“ nennen dürfen, nimmt jedoch ansonsten die „politische Korrektheit“ energisch in Schutz. Dies überzeugt mich nicht. Die „Korrektheit“ ist ein Labyrinth der Sprach-, Denk- und Diskursregeln, erzeugt in vordigitalen, intellektuellen „Filterblasen“. Wenn darüber gestritten wird, ob die Berliner Mohrenstraße auch in Zukunft noch Mohrenstraße heißen darf, geht dies am Alltag der „Abgehängten“ vorbei. Eine feuilletonistische Diskussion bürgerlicher Besserverdiener.
„Fake News“ Aspekte
Zu „Fake News“ weiß Renate Künast nicht ganz so viel zu sagen wie zum „Hasse“. Dies wohl auch, weil sich Künast – ebenso wenig wie wir alle – zu den Betroffenen zählt. „Fake News“ verblenden immer die anderen, weil wir selbst auf „Fake News“ nie hereinfallen und selbstverständlich „richtig“ und „falsch“ unterscheiden können (zur Löschung und Sperrung von Beiträgen und Nutzerprofilen durch Betreiber Sozialer Netzwerke siehe Elsaß/Labusga/Tichy, CR 2017, 234).
„Fake News“ und die Parolen gegen eine „Lügenpresse“ liegen nah beieinander. Hier wie dort geht es um das Vertrauen in Nachrichten. Was sind die Ursachen für den offensichtlichen Vertrauensverlust? Liegt es vielleicht auch daran, dass in Presse, Fernsehen und in Online-Publikationen Fakten und Meinungen oft bunt durcheinander gehen und sich Journalisten nicht mehr genug für Fakten interessieren? Wenn Fakten zur Nebensache werden, fühlt sich der Leser indoktriniert und belogen.
Fazit zur gesellschaftlichen Gestaltung
So differenziert wie Künast in weiten Strecken ihres Buches argumentiert, muss man sich wünschen, dass ihr der Wiedereinzug in den Bundestag gelingt. Gerne als grüne Digitalpolitikerin. Künast widersteht jeder Versuchung, die Digitalisierung für eine Verrohung der Sitten verantwortlich zu machen. Sie schätzt den Wert der direkten, unmittelbaren Kommunikation, den das Netz ermöglicht, und möchte die digitale Kommunikation gegen „den Hass“ verteidigen. Das Netz ist für Künast weder Schreckgespenst noch Quelle düsterer Gefahren, sondern ein offener gesellschaftlicher Raum, den es mitzugestalten gilt.