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Massive Eingriffe in Grundrechte: BND filtert systematisch E-Mails

avatar  Niko Härting

Wer hätte das gedacht? „Bombenwetter“ – Ein harmlos-unbedachtes Wort in einer Mail. Und der BND liest mit. Dies mit dem Segen der Geheimdienstkontrolleure des Deutschen Bundestages. Der Bericht über mehr als 37 Mio. überwachte Mails im Jahre 2010 legt massive Grundrechtseingriffe offen. Man darf hoffen, dass engagierte Bürger Verfassungsbeschwerde einlegen werden.

Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Deutschen Bundestages hat am 10.2.2012 über Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses im Jahre 2010 berichtet (BT-Drucks 17/8639). Das PKGr hat nach dem Artikel 10-Gesetz (G 10) die Aufgabe der Kontrolle, die Geheimdienste bei Eingriffen in Art. 10 GG zu überwachen.

Brisant: Art. 5 Abs. 2 G 10 gibt dem Bundesnachrichtendienst (BND) die Befugnis, E-Mails mit Suchbegriffen zu durchforsten. Voraussetzung: Die Suchbegriffe müssen „zur Aufklärung von Sachverhalten über den in der Anordnung bezeichneten Gefahrenbereich bestimmt und geeignet“ sein.

Von dieser Befugnis hat der BND im Jahre 2010 massiv Gebrauch gemacht und laut dem PKGr-Tausende von Suchbegriffen verwendet:

  • Gefahrenbereich „Internationaler Terrorismus“: 3.752 Suchbegriffe
  • Gefahrenbereich „Proliferation und konventionelle Rüstung“: 26.147 Suchbegriffe
  • Gefahrenbereich „Illegale Schleusung“: 634 Suchbegriffe

Laut dem Bericht handelt es sich bei den Suchbegriffen (auch) um „gängige und mit dem aktuellen Zeitgeschehen einhergehende Begriffe“. Pressebereichte, nach denen mit Suchbegriffen wie „Bombe“ gearbeitet wird, erscheinen demnach durchaus plausibel. Hier muss allerdings spätestens auch die verfassungsrechtliche Kritik einsetzen: Denn wenn tatsächlich mit Allgemeinbegriffen gearbeitet wird, kann von einer „Bestimmtheit“ und „Geeignetheit“ gemäß Art. 5 Abs. 2 G 10 nur noch in sehr allgemeinem Sinne die Rede sein. Die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit einer solchen Suche ist mehr als fraglich.

Es kommt zu massiven Grundrechtseingriffen. Denn die Suche mit Allgemeinbegriffen führte laut dem Bericht zu mehr als 37 Mio. Treffern. Von diesen Treffern wurden nur wenige als „nachrichtendienstlich relevant“ eingestuft.

Wie der BND mit den 37 Mio. Treffern genau verfährt, ist nicht bekannt. Um festzustellen, welche der 37 Mio. Mails „nachrichtendienstlich relevant“ sind, werden die Geheimdienstler diese Mails in der ein oder anderen Form lesen müssen. Denn wie soll man sonst unterscheiden, ob es sich bei einer Mail mit dem Stichwort „Bombe“ um eine pornographische Spam-Mail oder um die Mail einer Terrorbande handelt?

Unbekannt ist auch, wie denn der BND an die durchforsteten Mails gelangt. Hier kann man nur vermuten, dass die TK-Provider den Diensten zuarbeiten. Dies kann man den Providern nicht verdenken, da sie nach § 2 G 10 verpflichtet sind, entsprechenden Anordnung nachzukommen.

Verfassungsrechtlich bietet sich folgendes Bild:

  • BVerfG zur Beschlagnahme von Mails beim Provider: Das BVerfG hat klargestellt, dass die Mails beim Provider unter dem Schutz des Art. 10 GG stehen.
  • BVerfG zu Kreditkartendaten: Ein Eingriff liegt noch nicht in der Durchsuchung selbst. Bei den Mails, die ohne Treffer durchsucht worden sind, fehlt es an einem Grundrechtseingriff. Anders indes in den mehr als 37 Mio. Fällen, in denen es „Treffer“ gegeben hat.
  • BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung: Die Zahl der Treffer dürfte außer Verhältnis stehen zu den verfolgten Zwecken. Wenn der BND Mails mit zahlreichen Allgemeinbegriffen durchsucht, läuft dies auf eine anlasslose Totalüberwachung des Mailverkehrs hinaus.
  • BVerfG zu § 113 TKG: Wie bei dem jüngst entschiedenen Fall zur TK-Ãœberwachung dürfte auch bei den BND-Maßnahmen jedermann befugt sein, Verfassungsbeschwerde zu erheben, da jeder Bundesbürger damit rechnen muss, von den geheimdienstlichen Filtermaßnahmen betroffen zu sein.

Nur abschließend noch der Hinweis auf das rasante Ansteigen der „Filtermaßnahmen“ des BND:

  • PKGr-Bericht 2006, BT-Drucks. 16/6880: rund 1.300.000 „G10-Nachrichten“
  • PKGr-Bericht 2007, BT-Drucks. 16/11559: rund 5.200.000 Nachrichten
  • PKGr-Bericht 2008, BT-Drucks. 17/549: rund 2.200.000 Nachrichten
  • PKGr-Bericht 2009, BT-Drucks. 17/4278: rund 5.800.000 Nachrichten
  • PKGr-Bericht 2010, BT-Drucks. 17/8639: rund 37.300.000 Nachrichten

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Mehr zum Autor: RA Prof. Niko Härting ist namensgebender Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Er ist Mitglied der Schriftleitung Computer und Recht (CR) und ständiger Mitarbeiter vom IT-Rechtsberater (ITRB) und vom IP-Rechtsberater (IPRB). Er hat das Standardwerk zum Internetrecht, 6. Aufl. 2017, verfasst und betreut den Webdesign-Vertrag in Redeker (Hrsg.), Handbuch der IT-Verträge (Loseblatt). Zuletzt erschienen: "Datenschutz-Grundverordnung".

3 Kommentare

  1. avatar RCoote
    Veröffentlicht 28.3.2012 um 14:34 | Permalink

    Zu Frage, wie Sicherheitsbehörden die Emails erhalten: Seit 2005 müssen sich Internet-Provider „überwachungsbereit“ halten (
    http://de.wikipedia.org/wiki/E-Mail-%C3%9Cberwachung). Scheinbar werden die Emails dann einfach per FTP an Sicherheitsbehörden übertragen.

  2. Veröffentlicht 2.4.2012 um 12:03 | Permalink

    Danke für den Hinweis. Zig Millionen Mails, die per FTP auf Rechner des BND hochgeladen werden. Das ist skandalös. Hoffentlich finden sich Betroffene, die dies einmal in Karlsruhe zum Thema machen. Verfassungswidrig.

  3. avatar woksoll
    Veröffentlicht 6.4.2013 um 14:01 | Permalink

    Bezeichnend war gestern Abend in der Tagesschau auch der asymmetrische Datenschutzansatz, der von unseren grünen Fundis gefeiert wird. Mit großem Trara wird für die bedingungslose Akzeptanz des Entwurfes der EU-Datenschutzverordnung geworben, die in ganz Europa zwingend gelten soll (aber nur ein absurdes Lex Facebook ist), während sich Polizei und Justiz mit einer unverbindlichen Richtlinie davon schleichen wollen, die vom deutschen Gesetzgeber sowieso als belanglos angesehen wird, wir bei beim Boykott der EU-Dienstleistungsrichtlinie durch Deutschland (Art. 8), der verstümmelten Signaturrichtlinie (bei der deutschen Bürger ein Übermaß an technischer Bürokratie aufgebürdet wird, währen in England die Bürger mit einer einfachen E-Mail rechtsverbindlich mit ihrem Staat kommunizieren dürfen) oder auch bei der Vorratsdatenspeicherung.

    In der Tagesschau war dann wie immer ein grüner Fundi zu sehen, diesmal Schaar, der frei darüber spekuliert hat wie ein Londoner Banker, was denn das neue Produkt „Home“ für Auswirkungen auf den Datenschutz haben könnte. Plangemäß wurden die Facebook-GFestpsiele der Fundi-Datenschützer fortgesetzt, während im Bericht danach über die Aushöhlung jeder Privatheit durch den BND ein großes Schweigen vom Datenschutz entgegengesetzt wurde. Klar wurde wieder einmal, dass es den EUdataP-Fundamentalisten nicht um den Schutz des Bürgers geht, sondern nur jede Gelegenheit genutzt wird, in den Facebookfacespielen den Alt68er Antiamerikanismus weiter auszutoben.

    Schade, dass das Amt der Datenschützer mit diesen sinnentleerten Facebookfestspielen so derartig demontiert wird. Beim Bundestrojaner haben Weichert und Schaar die Täter durch Geheimschutz (VS-NfD) gedeckt (während der bayerische Kollege sachlich in dr Öffentlichkeit berichtet hat:
    http://www.datenschutz-bayern.de/nav/0301.html

    Gerade beim BND tauchen aber viele Fragen auf. So sind die verwendeten Schlüsselworte skurril, das Volumen ist anhe an einer Totalüberwachung,. es gibt keine echte demokratische Kontrolle (die G10-Kontrolle versagt regelmäßig, es gibt keine Wirkungsnachweise: die NSU-Möderne konnten trotz exzessiver Volksbelauschung enthemmt und ohne jede Beeinträchtigung durch Behörden Mord um Mord begehen).

    Befremdlich ist auch, dass in Deutschland auch von Parlamentariern häufig bei Cloud-Diskussionen auf den US-Patriot Act verwiesen wird, aber in Deutschland die Bürger nach den Schily-Paketen weniger Rechte als US-Bürger mit dem Patriot Act haben und die Parlamentarier sich weigerten, die Schily-Pakete zu evaluieren.

    Es sieht so aus, als wenn die deutschen Sicherheitsbehörden auf neue demokratische und rechtsstaatliche Füße gestellt werden müssten, wo mindestens US-Standards eingehalten werden und nicht von „Datenschützern“ US-Firmen nur politisch auf dem Datenschutzticket bekämpft werden.

Ein Trackback

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