Zu Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO wird im Aprilheft der CR ein Beitrag von mir erscheinen (Härting, CR 2019, 219 – 225). Ein jüngst bekannt gewordenes arbeitsgerichtliches Urteil gibt Anlass zu einer „Sneak Preview“
Das LAG Baden-Württemberg hat den Automobilkonzern Daimler verurteilt, einem langjährigen Mitarbeiter
„eine Kopie seiner personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten, die Gegenstand der von ihr [Daimler] vorgenommenen Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen.“
[LAG Baden-Württemberg v. 20.12.2018 – Az. 17 Sa 11/18 (Hervorhebung hinzugefügt)]
Worst Case Scenario
Ein Albtraum für Daimler. Der Kläger ist dort seit 2007 als Mitarbeiter der Rechtsabteilung beschäftigt, das Verhältnis seit Jahren angespannt. „Leistungs- und Verhaltensdaten“ sind schwammige Begriffe. Und in Akten und E-Mails, in Vermerken und Protokollen werden sich zahlreiche Angaben zur Person des Klägers finden, die sich als „Leistungsdaten“ oder „Verhaltensdaten“ bezeichnen lassen. Weiterer Streit ist vorprogrammiert.
Der Kläger ist kein Sozialfall. Jahreseinkommen zuletzt mehr als 150.000 EUR plus stattlichem Bonus. Müssen Arbeitgeber befürchten, dass auch andere Besserverdiener die DSGVO demnächst trickreich nutzen werden, um Druck auf Arbeitgeber auszuüben? Gehört es schon bald zum Standardrepertoire eines geschassten Vorstands, die Aussichten auf einen üppig vergoldeten „Handshake“ mit weitreichenden DSGVO-Auskunftsverlangen zu verbessern?
Recht auf Kopie
Das Recht auf Kopie, um das es in dem Daimler-Fall geht, ist hierzulande neu. Nach dem alten BDSG gab es in § 34 nur ein Auskunftsrecht. Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO ergänzt das Auskunftsrecht durch eine Verpflichtung des Datenverarbeiters, dem Betroffenen „eine Kopie der personenbezogenen Daten“, zur Verfügung zu stellen, „die Gegenstand der Verarbeitung sind“.
- Wortlaut
Dem Wortlaut nach lässt sich Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO so verstehen, dass dem Betroffenen jede E-Mail in Kopie herauszugeben ist, die er je geschrieben oder empfangen hat. Jedes Dokument, jede Notiz und jeder Vermerk, in dem der Betroffene namentlich erwähnt wird, lässt sich zwanglos unter den Wortlaut des Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO subsumieren. Selbst wenn der Betroffene in einer Mail weder namentlich noch als Absender oder Empfänger in Erscheinung tritt, kann sich die Mail auf seine Person beziehen, wenn die Mail sich zu Vorgängen verhält, an denen der Betroffene beteiligt war.
- Kommentarliteratur
Schaut man in die Kommentierungen zu Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO, bemerkt man zumeist ein deutliches Störgefühl, das die Autoren beschleicht, wenn sie sich die potenzielle Reichweite des Rechts auf Kopie vor Augen führen. Eine überzeugende Eingrenzung gelingt den Kommentatoren jedoch nur selten. Dies gilt insbesondere für verbreitete Versuche, Unterschiede zwischen dem Auskunftsrecht und dem Recht auf Kopie zu leugnen. Wenn es bei Franck etwa heißt, die Kopie sei „keine Sonderform, sondern der Grundtatbestand der Auskunftserteilung“, kratzt man sich den Kopf und versteht nicht, was der Verfasser eigentlich sagen möchte (Franck in Gola, DSGVO, 2. Aufl. 2018, Art. 15, Rn. 27). Ratlos bleibt man auch, wenn man bei Schantz liest, es gehe bei Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO um nicht mehr als um eine „besondere Form der Auskunftserteilung“ (Schantz in Schantz/Wolff, Das neue Datenschutzrecht, Rn 1199).
Ansatz des LAG Baden-Württemberg
Franck, Schantz und andere Autoren, die nicht zwischen Auskunft und Kopie unterscheiden, kommen in dem Daimler-Urteil des LAG Baden-Württemberg gar nicht erst zu Wort. Stattdessen bejaht das LAG mit einem schlichten Anspruch das Recht auf Kopie sämtlicher „Leistungs- und Verhaltensdaten“:
„Der Anspruch auf Herausgabe einer Kopie der Daten ergibt sich aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO.“
(LAG Baden-Württemberg vom 20.12.2018, Az. 17 Sa 11/18, Rdnr. 177)
Das LAG, das die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassen hat, hat noch recht ausführlich erwogen, ob sich wegen überwiegender Geheimhaltungsinteressen aus § 29 Abs. 1 Satz 2 BDSG Einschränkungen des Rechts auf Kopie ergeben können, dies jedoch im konkreten Fall verneint, da es an hinreichend konkretem Sachvortrag zu diesen Geheimhaltungsinteressen fehlte (LAG Baden-Württemberg vom 20.12.2018, Az. 17 Sa 11/18, Rdnr. 179 ff.).
Grenze der Zumutbarkeit
Nicht befasst hat sich das LAG mit Zumutbarkeitsgrenzen beim Recht auf Kopie. Vieles spricht dafür, Art. 14 Abs. 5 lit. b DSGVO analog auf das Recht auf Kopie gem. Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO anzuwenden und dem Datenverarbeiter den Einwand unzumutbaren Aufwands zu eröffnen (so schon Härting, DSGVO, 2016, Rdnr. 684). Dies schließt zwar das Recht auf Kopie nicht vollständig aus (a.A. Wybitul, DSGVO im Unternehmen, Kap. IV, Rdnr. 166), ermöglicht jedoch in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen dem Aufwand, den ein Ersuchen für den Verantwortlichen bedeutet, und dem Nutzen, den der Betroffene aus den Kopien ziehen kann.
Fazit
Das Urteil aus dem Südwesten der Republik zeigt, welche Sprengkraft in dem Recht auf Kopie gem. Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO steckt. Es handelt sich um ein eigenständiges Betroffenenrecht, das sich nicht fortleugnen oder wegdefinieren lässt. Allerdings wird über die Schranken zu reden sein – eine Diskussion, die ich mit einem Aufsatz eröffnen möchte, der im Aprilheft von Computer und Recht erscheinen wird.