Der Ende letzten Jahres veröffentlichte Entwurf eines Digital Markets Acts (DMA-E) soll eine sektorspezifische Märkteregulierung sog. Gatekeeper ermöglichen (“EU: The Two Proposed Regulations in the Commission’s Digital Services Act Package“). Gatekeeper sind Unternehmen, die zentrale Plattformdienste betreiben und dabei die gesetzlich festgelegten Schwellenwerte überschreiten. Diesen Unternehmen werden spezifische Verhaltenspflichten positiv auferlegt.
Der strenge Maßstab der Artt. 5 und 6 DMA-E gilt jedoch nicht vorbehaltlos. Denn die betroffenen Unternehmen haben auch Möglichkeiten, sich unabhängig von den überschrittenen Schwellenwerten einer Regulierung zu entziehen.
Welche Wege führen in die Regulierung?
Die Erfassung bestimmter Unternehmen richtet sich nach materiellen Kriterien. Diese knüpfen an der Standard-Plattformstruktur und positiven Schwellenwerten an.
Perspektive: Maßgeblich ist das Modell der häufig so bezeichneten mehrseitigen Märkte. Dabei werden verschiedene Nutzergruppen mit ihren unterschiedlichen Interessen durch eine Plattform miteinander vermittelt.
Formel: Richtet sich eine Plattform an eine besonders große Nutzerzahl und ist auch die wirtschaftliche Kraft des Betreiberunternehmens besonders hoch, so geht der DMA-E von einer Regulierungsbedürftigkeit aus. Dieses Vorgehen vermeidet die materiellen Hürden der kartellrechtlichen Marktmachtuntersuchung.
Verfahren: Die Benennung eines Unternehmens als Gatekeeper erfolgt gemäß Art. 3 Abs. 4 DMA-E durch die EU-Kommission. Dabei hat das Unternehmen die Möglichkeit, substantiiert vorzutragen, dass es die materiellen Gatekeeper-Kriterien des Art. 3 Abs. 1 DMA-E nicht erfüllt. Ist der Vortrag substantiiert, so muss die EU-Kommission nach Art. 3 Abs. 6 DMA-E i.V.m. Art. 15 DMA-E das Verfahren einer Marktuntersuchung durchführen. In diesem Fall trägt die EU-Kommission einen höheren Begründungsaufwand, um das Unternehmen als Gatekeeper benennen zu können.
Pflicht zum Self-Assessment: Davon unabhängig betrifft die Gatekeeper gemäß Art. 3 Abs. 3 DMA-E eine aktive Untersuchungs- und Mitteilungspflicht, ob sie die Schwellenwerte überschreiten. Das Versäumnis dieser Pflicht kann gemäß Art. 26 Abs. 2 lit. a DMA-E mit einer Geldbuße von bis zu 1 % des weltweiten Vorjahresumsatzes geahndet werden. Hierbei gelten die allgemeinen kartellrechtlichen Kriterien der Bußgeldbemessung.
Wie geht es raus aus der Regulierung?
Status-Monitoring: Die Gatekeeper-Stellung ist alle zwei Jahre zu überprüfen. Das bedeutet, dass bereits von Amts wegen die materiellen Kriterien der Regulierungsbedürftigkeit turnusmäßig überprüft werden müssen. Unbeschadet davon kann das Unternehmen entweder nach Art. 3 Abs. 4 UAbs. 2 DMA-E vorgehen und seine Entlastung im Rahmen einer Marktuntersuchung anstoßen oder aber Tatsachen vortragen, wonach die materiellen Umstände seiner Gatekeeper-Benennung entfallen.
Status-Reduzierung: Nicht auf die Gatekeeper-Stellung, sondern den Pflichtenbereich der Artt. 5 und 6 DMA-E zielt ein Antrag auf Aussetzung nach Art. 8 DMA-E ab. Danach kann die EU-Kommission einzelne bestimmte Verhaltenspflichten aussetzen. Dafür muss der Gatekeeper außergewöhnliche Umstände nachweisen, wonach die Rentabilität seiner Geschäftstätigkeit durch konkrete Verhaltenspflichten gefährdet wird. Der Aussetzungsantrag wird jedes Jahr überprüft. Gemäß Art. 8 Abs. 3 DMA-E sind auch einstweilige Maßnahmen der EU-Kommission möglich.
Status-„Wechsel“ zu Kartellrecht: Wird dem Aussetzungsanstrag durch die EU-Kommission stattgegeben, entbindet dies das Unternehmen nicht von den allgemeinen kartellrechtlichen Pflichten. Dies gewinnt dort eine Bedeutung, wo die ausgesetzte Verhaltenspflicht aus einer kartellrechtlichen Schadenstheorie gewonnen wurde. In diesem Fall hat die Aussetzungsentscheidung selbst keine Auswirkung auf die Verbotswirkung. Es könnte aber naheliegen, dass das Unternehmen auch hinsichtlich des Marktmachtmissbrauchsverbots rechtfertigende Umstände vorbringen könnte, wenn es bereits mit dem Aussetzungsantrag Erfolg hatte. Interessant wird es noch sein, ob und inwiefern sich die EU-Kommission mit einer Aussetzungsentscheidung selbst bindet.
Status-Befreiung: Nicht auf die unternehmensbezogenen Interessen, sondern auf die öffentlichen Interessen zielt ein Befreiungsantrag nach Art. 9 DMA-E ab. Dieser kann sich auch auf einen ganzen Plattformdienst beziehen. Die Gründe des öffentlichen Interesses sind in Abs. 2 enumerativ aufgezählt: öffentliche Sittlichkeit, öffentliche Gesundheit, öffentliche Sicherheit. Anders als im allgemeinen Kartellrecht können also auch Interessen berücksichtigt werden, die über den Schutzzweck des Wettbewerbs hinaus reichen und politischen Zwecken dienen. Es müsste daher nicht erst geprüft werden, ob Sittlichkeit, Gesundheit oder Sicherheit in der konkreten Fallkonstellation Gegenstand des wirksamen Wettbewerbs ist und damit keine Wettbewerbsbeschränkung in Betracht kommt.
Verpflichtung zur Anmeldung von Zusammenschlüssen
Nicht ganz eindeutig sind die Auswirkungen dieser Möglichkeiten auf die in Art. 12 DMA-E vorgeschlagene sektorspezifische Anmeldepflicht. Demnach sollen von einem Gatekeeper alle Zusammenschlüsse angezeigt werden, an denen ein anderer Betreiber zentraler Plattformdienste oder Erbringer sonstiger Dienstleistungen im digitalen Sektor beteiligt ist.
Trotz Aussetzung/Befreiung? Der Wortlaut „Gatekeeper“ deutet darauf hin, dass jedenfalls Anträge auf Aussetzung oder Befreiung (des Status Gatekeeper) auf die persönliche Stellung keinen Einfluss haben. Denn diese Stellung wird durch die Beschlüsse auf die Anträge nicht berührt.
Trotz entlastenden Tatsachenvortrags? Auch hinsichtlich der Möglichkeit eines substantiierten Vorbringens zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen einer Gatekeeper-Stellung gilt nichts anderes. Dies ergibt sich daraus, dass die Pflicht aus Art. 3 Abs. 3 DMA-E zum self assessment unbedingt gilt. Erst auf einen entsprechenden Feststellungsbeschluss der EU-Kommission hin wird ein Unternehmen aus der Regulierung entlassen.
Reichweite:Â Diese sektorspezifische Anmeldepflicht geht dabei denkbar weit. Denn sie erfasst neben den Betreibern zentraler Plattformdienste, die als solche bereits vom DMA-E erfasst sind, auch die Erbringer sonstiger Dienstleistungen im digitalen Sektor. Digitaler Sektor bezieht sich nach der Definition in Art. 2 Nr. 4 DMA-E auf Produkte und Dienstleistungen, die durch Dienste der Informationsgesellschaft bereitgestellt werden.