Die BRAK kündigt ein Update des beA an. Aber das Problem bleibt: Wenn Anwälte fristwahrende Dokumente elektronisch einreichen, können sie nie sicher sein, dass diese Dokumente auch wirklich bei Gericht eingegangen sind – es sei denn, sie telefonieren hinterher. Der Fehler liegt im System.
Was zunächst aussah wie ein hausgemachtes Problem der Anwaltschaft (nämlich der Wegfall einer gesetzlich vorgeschriebenen Empfangsbestätigung), stellte sich als grundsätzliches Problem des Elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) heraus. Zur Lösung wurde jetzt ein Update angekündigt. Dem liegt jedoch nach wie vor ein fundamentales Missverständnis der Erfordernisse der Öffentlichkeit zugrunde. Wer Fristen – insbesondere Verjährungsfristen – wahren muss, ist künftig darauf angewiesen, den Eingang von Schriftsätzen bei Gericht telefonisch abzufragen!
Status quo
Wie bereits berichtet, hatte das „besondere elektronische Anwaltspostfach“ (beA) bis zum letzten Update etwas vorgegaukelt, was es gar nicht gab: Eine Eingangsbestätigung bezüglich (fristwahrender) elektronischer Dokumente, wie sie in § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO gesetzlich vorgeschrieben ist. Das geschah durch die Behauptung, eine signierte Export-Datei könne nachträglich als Beweis für eine fristwahrende Einreichung dienen. Es stellte sich heraus: Die Signatur stammte gar nicht von den Justizsystemen, sondern von der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und war damit wertlos. Nicht zuletzt konnte sie nicht mit gängigen kryptographischen Werkzeugen wie openssl, sondern nur mit einer inzwischen eingestellten proprietären Software verifiziert werden. Insoweit ist es stringent, dass die BRAK diesen wirkungslosen Mechanismus abgeschafft hat.
Darauf aufmerksam gemacht, erklärte die BRAK nun aber, dass die „automatisierte Bestätigung des Zeitpunkts des Empfangs“ statt dessen in einer Datei namens „*_export.html“ zu sehen sei, die Bestandteil des beA-Exports ist. Eine nähere Analyse zeigte jedoch: Auch diese Datei geht nicht auf die Justizsysteme zurück, sondern wiederum nur auf die BRAK selbst. Und die kann den Empfang der fristwahrenden elektronischen Dokumente durch die Gerichte gar nicht aus eigener Wahrnehmung beurteilen.
Inzwischen konnte ermittelt werden, dass die einzige Rückantwort der Justizsysteme auf eine Einlieferung elektronischer Dokumente in einer sogenannten OSCI-„Zustellungsantwort“ (vom beA standardwidrig „Zustellantwort“ genannt) liegt. Damit steht Stand heute fest, dass es an einer Möglichkeit fehlt, anhand einer Rückmeldung der Justizsysteme zuverlässig darauf zu schließen, dass fristwahrende elektronische Dokumente bei Gericht eingegangen sind. Diese Erkenntnis folgt nicht aus einer Auslegung der Zivilprozessordnung, sondern aus den Grundsätzen formaler Logik. Das liegt an der Aufgabenstellung, die von der Zivilprozessordnung unabhängig ist. Anwälte müssen gewährleisten, dass Fristen
a) absolut zuverlässig gewahrt werden und dies
b) ebenso zuverlässig dokumentiert wird.
Diese Anforderungen lassen sich bei Nutzung des ERV durch die Anwaltschaft nicht erfüllen. Die OSCI-„Zustellungsantwort“ enthält nämlich keine Bezugnahme auf die „elektronischen Dokumente“, die zur Fristwahrung allein maßgeblich sind. Das ist absichtlich im System so angelegt, denn es wurde extra ein Übermittlungssystem geschaffen, das den Weitertransport von eingehenden Nachrichten innerhalb der Justiz besorgen soll, dabei aber keinen Zugriff auf den Inhalt der zu transportierenden Nachrichten haben darf. Das bedeutet: Gehen die „angehängten“ Dateien auf dem Transportweg vom Anwalt zum Gericht verloren (und das kam vor), bestätigt der „Intermediär“ (so heißen die Systeme der Gerichte im ERV-Slang) trotzdem einen erfolgreichen Empfang nebst Empfangszeitpunkt. Damit ist das System aus zwingenden logischen Gründen nicht geeignet, eine Aussage über den Zugang (auch) der fristwahrenden „elektronischen Dokumente“ zu treffen. Der bestätigte Eingang der OSCI-Nachricht ist nur eine notwendige, aber nie eine hinreichende Bedingung für die Fristwahrung.
Man kann (und darf) sich damit nicht darauf verlassen, dass Fristen gewahrt wurden, nur weil das beA eine erfolgreiche Ãœbermittlung suggeriert!
Folgen für die Praxis
Ob dieses Defizit zugleich einen Verstoß gegen die Zivilprozessordnung oder das Telekommunikationsgesetz darstellt, kann aus Sicht der Öffentlichkeit dahinstehen. Allein wichtig ist: Rechtshandlungen gegenüber Gerichten unter Verwendung des beA sind prinzipbedingt unsicher. Kann bislang die Einreichung fristwahrender Schriftstücke durch Einwurf per Boten oder Übersendung per Gerichtsvollzieher absolut zuverlässig gewährleistet und beweissicher dokumentiert werden, fehlt dem ERV die Möglichkeit, in vergleichbarer Weise Gewissheit herzustellen.
Damit bleibt vor allem im Fall nicht wiedereinsetzungsfähiger Fristen, insbesondere Verjährungsfristen, nur ein Mittel, um Fristen zuverlässig zu wahren: Hinterhertelefonieren. Man muss den Eingang der (vollständigen) elektronischen Dokumente bei Gericht durch einen geeigneten Zeugen abfragen und das Ergebnis dokumentieren lassen. Das anstehende Jahresende gibt Anlass, insbesondere bei knappen und wichtigen Einreichungen ein letztes Mal den verlässlichen analogen Weg zu wählen, um dem Loch im Ablauf nicht zum Opfer zu fallen.
Keine Hoffnung
Abhilfe soll nach Auffassung der BRAK ein Update des ERV bieten. Sie berichtet insoweit davon, dass nach einer…
„…Weiterentwicklung zum Vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (VHN), dem sogenannten VHN2, zeitnah die Möglichkeit geschaffen werden wird, neben dem Versand einer Nachricht über einen sicheren Ãœbermittlungsweg zugleich die Korrektheit der übermittelten Anlagen auf Grundlage der in der signierten VHN-Datei enthaltenen Prüfsummen zu prüfen bzw. nachzuweisen. Die Umsetzung im beA erfolgt bereits mit dem Release 3.9, das noch in diesem Jahr zur Verfügung gestellt werden wird. Die Nutzung des VHN2, insbesondere durch die Gerichte, setzt die Vorbereitung aller Kommunikationspartner im EGVP-Verbund voraus, sodass die tatsächliche Umstellung auf den VHN2 koordiniert durch die Justiz zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen wird. Voraussichtlich wird die Umstellung mit der Einführung der besonderen elektronischen Bürger- und Organisationenpostfächer zum 1. Januar 2022 erfolgen.“
In unserer Kanzlei sind die Mitarbeiter geschult, auf bestimmte Signalwörter zu achten, mit denen Unsicherheiten kaschiert werden. Hier sticht eines heraus und blinkt: Das Kürzel „bzw.“ in der Formulierung „zu prüfen bzw. nachzuweisen“. Ein näherer Blick zeigt denn auch: Die geplante Maßnahme ist nicht geeignet, das Problem zu beheben, weil die Möglichkeit sowohl zur Prüfung als auch zum Nachweis für die falsche Person bestehen wird.
Bei dem „Vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis 2“ handelt es sich um eine Behauptung des Absenders (!) – also der Anwälte – über die Identität übersandter „elektronischer Dokumente“. Damit wird der Empfänger, meist also ein Gericht, in die Lage versetzt, später zu überprüfen, ob die empfangene Nachricht auch alles enthielt, was der Absender nach eigener (zusätzlicher) Aussage beim Versand beigefügt hat. Das löst aber das Problem nicht, und zwar nicht etwa zufällig, sondern prinzipbedingt.
Der Empfang der „elektronischen Dokumente“ erfolgt auf Justizseite nämlich zweischrittig: Sie werden als Teil einer sogenannten OSCI-Nachricht zunächst in verschlüsselter Form von dem bereits beschriebenen „Intermediär“ empfangen. Dieser kann die Anhänge – wegen der Verschlüsselung – weder lesen noch anhand einer künftig mit übersandten Prüfsumme auf Integrität und Vollständigkeit prüfen. Das kann erst der endgültige Empfänger, der die Nachricht zu einem späteren Zeitpunkt beim Intermediär abruft und entschlüsselt.
Die Bestätigung des Eingangs der „elektronischen Dokumente“ soll im System des ERV allerdings nicht durch das empfangende Gericht, sondern bereits durch den „Intermediär“ erteilt werden. Das ist unmöglich: Dieses System kann wegen der Verschlüsselung keinerlei Aussage über die „elektronischen Dokumente“ treffen. Es kann sie nicht lesen; es kann noch nicht einmal zuverlässig beurteilen, ob überhaupt welche Teil der Nachricht sind.
Es gäbe eine letzte Hoffnung, dass das System doch liefert, was es müsste – aber auch die wird bei näherer Betrachtung zunichte gemacht. So wäre es ja denkbar, dass der Absender die Prüfsumme der elektronischen Dokumente gar nicht anhand der Dokumente im Klartext erstellt und im Rahmen des „VHN2“ beifügt, sondern anhand der bereits verschlüsselten Dateien. Dann könnte der Intermediär sie (wohl) doch prüfen und die „Zustellungsantwort“ hätte einen Informationswert (soweit sie die Aussage umfasste, dass die Prüfung erfolgreich war).
Aber auch das ist ausgeschlossen. Die BRAK und ihr privatwirtschaftlicher Dienstleister brechen nämlich die Verschlüsselung auf dem Weg vom Anwalt zum Intermediär und verschlüsseln die Daten neu. Eine vom Absender erstellte Prüfsumme wäre damit nutzlos. Eine Prüfung durch den Intermediär ergäbe immer ein falsches Ergebnis. Und die Erstellung einer neuen Prüfsumme durch die BRAK liefe dem Zweck des „Vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises 2“ zuwider, denn dann würde fälschlich angegeben, die Dokumente gingen auf die BRAK zurück und nicht den absendenden Anwalt.
Mit den Worten Frank Drebins: „Aber warum..?“
Den Abläufen liegt ein fundamentales Missverständnis der Aufgabenstellung zugrunde. Sie wurden und werden allein aus Sicht der empfangenden Stellen auf Justizseite designt. Alles, was das System tut, ist darauf ausgerichtet, der Justiz – und nicht der Öffentlichkeit – Nachweismöglichkeiten zu eröffnen. Der Ausdruck des „Vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises“ illustriert das plastisch. Dahinter steht eine irrationale Obsession der öffentlichen Hand, betrügerische Einreichungen zu erkennen. Es muss dort von gefälschten Tätigkeitsberichten von Forstämtern wimmeln. Was das bei anwaltlicher Korrespondenz bringen kann? Nichts natürlich. In mehreren tausend Jahren Justizgeschichte ist es zu keiner unentdeckten anwaltlichen Eingabe unter falschem Namen gekommen. Das fällt nämlich ein bisschen auf.
Was die Öffentlichkeit statt dessen benötigte, wäre ein „Vertrauenswürdiger Empfangsnachweis“, an dem es allerdings fehlt und auch künftig fehlen wird. Die Aussagen der BRAK belegen das. Dabei geht es nicht um die Frage, ob die weiterhin allein vorgesehene Empfangsbestätigung der Justiz nun mehr oder weniger zuverlässig wäre, denn sie ist aus formal logischen Gründen absolut unzuverlässig. Die Entität, die sie ausspricht (der Intermediär), kann über die relevante Information aus eigener Wahrnehmung gar keine Aussage treffen. Und das Risiko einer fehlgeschlagenen Einreichung ist auch keineswegs theoretisch. Einerseits sind Fälle bekannt, in denen das geschehen ist. Andererseits liegt im Prozess der „Umschlüsselung“ durch die BRAK ein Scheunentor-großes Einfallstor für technische Fehler und sogar für Manipulation, ob nun gewollt oder ungewollt. Klingt nach Science Fiction? Mitnichten.
Akademische Fragen
Aus Sicht der Öffentlichkeit ist es irrelevant, ob die faktisch unzuverlässige Gestaltung zugleich auch gegen gesetzliche Vorgaben verstößt. Weil das allerdings von verschiedenen Seiten in Frage gestellt wurde, soll auch darauf abschließend kurz eingegangen werden.
So sprechen die besseren Argumente dafür, dass der ERV die Vorgaben des § 109 TKG verletzt. Es handelt sich um einen sogenannten OTT-Dienst (over the top), der mit Auslaufen der Umsetzungsfrist der Richtlinie (EU) 2018/1972 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation zur regulierten Telekommunikation gehört. Damit müssen u.a. die Anforderungen des von der Bundesnetzagentur herausgegebenen „Katalogs von Sicherheitsanforderungen für das Betreiben von Telekommunikations- und Datenverarbeitungssystemen sowie für die Verarbeitung personenbezogener Daten nach § 109 Telekommunikationsgesetz (TKG), Version 2.0“ erfüllt werden. Dazu zählt die Gewährleistung der Datenintegrität, was mit Blick auf die irreführende Gestaltung durch eine unzuverlässige Empfangsbestätigung ausgeschlossen erscheint.
Daneben spricht einiges dafür, dass der ERV nicht den Anforderungen des § 130a Abs. 5 ZPO genügt. Die daraus folgende Aufgabenstellung lässt sich am einfachsten anhand der Gesetzesbegründung illustrieren:
„Eine automatisierte Eingangsbestätigung ist als Standard auch für andere sichere Übermittlungswege vorzusehen. Hierdurch soll der Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit erlangen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind.“
(BT-Drucks. 17/12634, S. 26).
Wie oben gezeigt, kann der ERV die vom Gesetzgeber geforderte Gewissheit nicht gewährleisten. Damit liegt ein Verstoß gegen § 130a Abs. 5 ZPO auf der Hand.
Dieses Ergebnis wiederum wurde mit der Begründung in Zweifel gezogen, § 130a ZPO bezeichne in seinen Absätzen 1, 2, 3, 4 und 6 mit „elektronischen Dokumenten“ das, was zur Fristwahrung eingereicht werden müsse, in Abs. 5 aber eine OSCI-Nachricht, die davon unabhängig sei. Man müsse die Vorschrift entsprechend historisch auslegen. Die Schlüssigkeit dieser Ansicht, zumal im Licht des Wortlauts des Gesetzes, des dokumentierten Gesetzeszwecks und der Systematik einer Regelung innerhalb eines einheitlichen Paragraphen, mag der Leser selbst beurteilen.
Gegen einen Verstoß gegen § 130a Abs. 5 ZPO wurde auch eingewandt, dass sich doch anhand der OSCI-Nachrichten-ID (richtig: der „MessageID“ nach dem OSCI-Standard) nachprüfen lasse, ob die fristwahrenden Dokumente angehängt gewesen und eingegangen seien. Das gilt allerdings nur für das später empfangende Gericht, nicht aber für den Absender, und ist damit (auch aus Sicht der Zivilprozessordnung) irrelevant. Die Aufgabenstellung ist nicht, im Nachhinein eine erfolgreiche Einreichung zu beweisen, sondern – wie in der Gesetzesbegründung geschildert – dem Absender Gewissheit darüber zu geben, dass er alles zur Fristwahrung Erforderliche getan hat. Diese Gewissheit hat er auch nicht etwa (wie teilweise offenbar angenommen wird), weil er es selbst in der Hand hat, die PDF-Dateien vor Versand anzuhängen. Sie können ja auf dem Weg zum Gericht trotz dieser Handlung verloren gehen, ohne dass der Absender das merkt. Hier tritt wieder das fundamentale Missverständnis des ERV zu Tage: Es geht nicht darum, später etwas Geschehenes nachzuweisen, sondern sicherzustellen und zu dokumentieren, dass etwas geschieht – nämlich die formwirksame Einreichung wichtiger elektronischer Dokumente.
Daran scheitert der ERV Stand heute.