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Wohl behütet

avatar  Christian Franz, LL.M.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz

Der BGH festigt das gesetzliche Verbraucherleitbild. Es handelt sich um einen durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen Dreijährigen. Das hat Auswirkungen auch auf die Vertragsgestaltung im IT-Bereich. (Besprechung von BGH, Urt. v. 20.4.2023 – I ZR 113/22Reservierungsvertrag)

Wie der Bundesgerichtshof am 20. April 2023 entschieden hat, können Makler bestimmte Verträge nicht abschließen. Sie können es einfach nicht. Nun muss man zugestehen: Es gibt wenige Berufsgruppen, die schlechter beleumundet sind. Maklern wird ihre Vergütung gemeinhin in etwa gleichem Maße gegönnt wie Gebrauchtwagenhändlern, Rechtsanwälten oder Heiratsschwindlern. Kann hier ein Grund für die robuste und überraschende Entscheidung liegen? Nein. Der Bundesgerichtshof lässt sich natürlich nicht von Vorurteilen, sondern vom Ideal der Gerechtigkeit leiten. Damit ist klar: Die Schlussfolgerungen, die der BGH im konkreten Fall zieht, sind nicht etwa dazu angetan, der Maklerschaft „einen mitzugeben“, weil Senatsmitglieder persönliche Erfahrungen verarbeiten, sondern verallgemeinerungsfähig. Das, was in diesem Urteil steht, ist das AGB-Recht in seiner vorerst letzten Ausbaustufe. Das ist das brave new Vertragsrecht.

Was war passiert?

Interessenten für eine Immobilie hatten mit ihrem Makler vereinbart, dass dieser eine Immobilie gegen Zahlung eines Geldbetrags für sie „reserviere“, also für einen bestimmten Zeitraum keinen anderen Interessenten zum Kauf nachweise. Die Vereinbarung wurde zeitlich nach einem separaten Maklervertrag und zusätzlich zu ihm abgeschlossen. Dem versagte der Bundesgerichtshof die Anerkennung. Tragender Grund der Entscheidung ist, dass ein „Reservierungsvertrag“ gesetzlichen Grundgedanken des „Maklervertrags“ fremd sei und die Verwendungsgegner daher unangemessen benachteilige. Nun teilen sich die Worte „Reservierung“ und „Makler“ zwar die Buchstaben „r“ und „e“ – aber das sind auch schon die einzigen Überschneidungen. Insbesondere begrifflich gibt es keine. Die entsprechende Vereinbarung war auch nicht Teil eines Maklervertrags, sondern wurde nachträglich und separat abgeschlossen. Auf Seiten des Verwendungsgegners befanden sich Personen, die geschäftsfähig, erwachsen und in der Lage waren, eine Immobilie zu erwerben, also über einen im Normalfall wenigstens sechsstelligen Betrag verfügten. Diese Personen wollten ihren Makler verpflichten, ihnen eine Immobilie „zurückzulegen“, um einen Kaufvertrag nach einer Überlegens- (oder Nachfinanzierungs-) Frist abschließen zu können. Sie waren bereit, dem betreffenden Makler dafür, dass er auf einen anderweitigen Geschäftsabschluss und die damit verbundene Vergütung vorläufig verzichtet, einen Betrag von 4.200,00 € zu zahlen (die im Fall eines Kaufs auf die Courtage hätte angerechnet werden sollen). Und sie bestätigten all das mit ihrer Unterschrift und leisteten die Zahlung, damit der Makler auch wirklich verlässlich die Füße stillhielte. Was der auch vereinbarungsgemäß tat.

Sieg der Gerechtigkeit?

Der Bundesgerichtshof allerdings weiß besser, was die verhinderten Immobilienkäufer wirklich wollten. Er verweigert nämlich nicht nur dem Makler, sondern auch den Käufern den Abschluss eines entsprechenden Vertrags, indem er ihren ausdrücklichen Willenserklärungen die rechtliche Anerkennung versagt. Typenfreiheit im Vertragsrecht? Pah. Interessengerechte Auslegung nach beiden Seiten, wie früher regelmäßig betont? Schnickschnack. Vertragsautonomie als Ausdruck einer liberalen Wirtschaftsordnung, die die Lebenserwartung in Deutschland zwischen 1872 und heute mehr als verdoppelt hat? Was ist das schon gegen Gerechtigkeit, wie der BGH sie empfindet.

Zeigte die Rechtsprechung des BGH in der Vergangenheit eine Art verschämten Drang zur Erosion der Vertragsfreiheit (beispielhaft m.w.N.: Lenkaitis/Löwisch, Zur Inhaltskontrolle von AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr: Ein Plädoyer für eine dogmatische Korrektur, ZIP 2009, 441), reißt er sich mit dieser Entscheidung die Maske herunter, hinter der sich die Fratze der Bevormundung verbarg. Hier geht es nämlich nicht um Feinheiten einer Haftungsklausel, an der der BGH über Jahrzehnte herumgekrittelt hatte, bis er aufgab und der Praxis einen Formulierungsvorschlag machte, damit die endlich aufhöre, ihn mit immer neuen Varianten zu nerven (BGH, Urt. v. 20.7.2005 – VIII ZR 121/04 – Kardinalpflicht). Hier geht es um die Möglichkeit eines Vertragsschlusses im Ganzen. Und das ist eine neue Qualität.

Was der Bundesgerichtshof dabei als Ungerechtigkeit erkennt, begegnet einem seit einigen Jahren in sehr vielen juristischen Bereichen, namentlich im Datenschutzrecht. Die Rede ist von einem „Machtgefälle“. Ein solches wird von Vertretern autoritärer politischer Strömungen synonym für „Ungerechtigkeit“ verwendet. Die Rede ist dann von einem „missverstandenen Freiheitsbegriff“, als wäre „Freiheit“ in rechtlichem Kontext etwas anderes als die schlichte Abwesenheit staatlicher Regulierung. Jedenfalls: Diese Gleichsetzung von Machtgefälle und Ungerechtigkeit ist regelmäßig und auch in diesem Fall unzutreffend. Jeder hat die Möglichkeit, von einem Vertragsschluss, den er als unvorteilhaft erkennt, Abstand zu nehmen. Genau dieser Erwägung erteilt der BGH in seiner Entscheidung eine Abfuhr und erklärt sie unter Aufgabe älterer Rechtsprechung für irrelevant (Randnummer 18).

Was man im entschiedenen Fall tatsächlich beobachten konnte, war das Marktprinzip bei der Arbeit: Der Makler verfügte über ein knappes Gut und konnte sich in Verhandlungen mit einer für ihn günstigen vertraglichen Gestaltung durchsetzen. Die war weder verschleiert, überraschend noch intransparent. Den Wannabe-Käufern drohte allein, dass ihnen ein anderer Interessent zuvorkam – und das wollten (sic!) sie verhindern.

Welche Schlussfolgerung folgt daraus für die Kautelarpraxis?

Man sollte keine zu guten Geschäfte machen. Passiert das, greift die durch den BGH nun etablierte Allgemeine Billigkeitskontrolle – gewissermaßen das „ABK-Recht“ als Steigerung des AGB-Rechts. Es ist damit zu rechnen, dass die Entscheidung über den Verbraucherbereich hinausgreift und vergleichbare Wertungen auch im unternehmerischen Bereich herangezogen werden. Auswege gibt es keine. Der BGH verstand es nämlich schon in der Vergangenheit, den Weg zu einer „Individualvereinbarung“, die nicht der AGB-Kontrolle unterliegt, zu vernageln. Im Verbraucherbereich genügt schon qua Gesetzes eine einmalige Verwendung einer Klausel, die auch nur den Anschein macht, zur mehrmaligen Verwendung entworfen zu sein, § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB – und für welche professionell gestaltete Vertragsklausel gilt das nicht? Aber auch im B2B-Bereich setzt ein „Aushandeln“ mehr voraus, als der Wortsinn hergibt. Es genügt dem BGH nämlich nicht, dass der Verwendungsgegner Gelegenheit hatte, sich darüber klar zu werden, ob er einen Vertrag eingehen möchte oder nicht. Er verlangt, dass der Verwender eine Klausel „ernsthaft zur Disposition stellt“, um ein „Aushandeln“ zu bejahen (s. bereits BGH, Urt. v. 16. 07.1998 – VII ZR 9/97). Daraus folgt: Der Verwender darf keine abschließende Verhandlungsposition einnehmen. Er muss sein Gegenüber irgendwie freundlich bitten. Setzt er sich – gegebenenfalls durch anderweitige Zugeständnisse – mit seiner ursprünglichen Gestaltung durch, verringert er sein Risiko allerdings auch nur. Der Umstand, dass er sich durchgesetzt hat, spricht ja gegen ein „ernsthaftes zur-Disposition-Stellen“. Das genannte Erfordernis hat der BGH sich übrigens ausgedacht. Im Gesetz steht davon nichts.

Kann man über solche Überdehnungen des Wortlauts von Begriffen wie „Aushandeln“ noch hinwegsehen, wenn es um Nebenbestimmungen geht, verbietet der BGH mit seiner jüngsten Entscheidung den Vertragsschluss dem Grunde nach. Damit bleibt der Praxis nur, sich Vertragsschlüssen zu enthalten, auch wenn sie von der vermeintlich schwächeren Partei ausdrücklich gewünscht sind. Dieses Ergebnis ist natürlich bitter. Aber als Rechtsanwender findet man den Bundesgerichtshof vor. Angesichts des Umstands, dass die Fachwelt schon seit über 20 Jahren gegen die restriktive Linie des BGH im AGB-Recht Sturm läuft, ist mit einer Abhilfe des Gesetzgebers kaum zu rechnen. Es gilt daher künftig das, was man zutreffend mit „falsch verstandener Vertragsfreiheit“ umschreiben kann: Betreutes Wirtschaften unter den wachsam-liebevollen Augen des Bundesgerichtshofs. Er weiß besser, was Parteien wollen oder wollen sollten.

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