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„Fake News“ als Persönlichkeitsrechtsverletzung

avatar  Maximilian Hauser
Student der Rechtswissenschaft, Universität Regensburg

Wer mit Desinformation konfrontiert wird, kann sich bislang nur dann rechtlich wehren, wenn die Falschnachrichten einen persönlichen, individuellen Bezug aufweisen. Dass aber auch sonstige, nicht individualisierte Desinformation eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstellen kann, zeigen die Parallelen zur getarnten oder unerwünschten Werbung.

 

„Fake News“ und ihre Folgen

„Der Hass, die undifferenzierte Zuschreibung von unbewiesenen Vorgängen lassen mich erschaudern. Andersdenkende werden ausgegrenzt. Das sind Anzeichen von Faschismus.“ Aus diesen Gründen will Dr. Stefanie Müller AfD-Mitglied werden. Dabei könnte ihr jedoch § 2 Abs. 1 S. 2 PartG einen Strich durch die Rechnung machen. Denn: Dr. Stefanie Müller existiert nicht. Der AfD Kreisverband Göppingen verwendete eine durch künstliche Intelligenz erschaffene Person, um mit dieser Wahlwerbung zu betreiben (https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/stuttgart/afd-deepfakes-wahlkampf-100.html, 11.03.2024). Der Beitrag mag auf den ersten Blick harmlos wirken, im Kern handelt es sich dabei jedoch um eine Art von Desinformation, nämlich die gezielte Verbreitung falscher Informationen zum Zwecke der Täuschung (https://www.dwds.de/wb/Desinformation, 11.03.2024).

Die Stürmung des Kapitols in den USA, angefacht durch falsche Behauptungen über angeblichen Wahlbetrug, ist ein extremes Beispiel für die Folgen von Desinformation. Dabei wird deutlich, wie Desinformation (umgangssprachlich auch „Fake News“), Verschwörungstheorien ins Leben rufen, Menschen gegeneinander aufhetzen und die Demokratie gefährden kann. Diese Betrachtung der Folgen von Desinformation auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zeigt die Dimension der Bedrohung. Was man dabei jedoch aus den Augen verliert, ist die „unmittelbarste“ aller Folgen: Die Manipulation des Individuums.

Der einzelne Medienkonsument hat in der Regel keine Möglichkeit, gezielte Falschinformationen und Falschbehauptungen abzuwehren, wenn diese nicht seine Person betreffen. Insofern steht ihm lediglich die Meldung beim maßgeblichen Betreiber der Plattform bzw. des Sozialen Mediums zur Verfügung. Eine direkte zivilrechtliche Inanspruchnahme des Urhebers oder Verbreiters wird bis dato nicht für möglich gehalten.

Es bleibt jedoch zu überlegen, ob die Verbreitung nicht individualisierter Desinformation eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR) darstellt. Damit könnte ein quasinegatorischer Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB dem Einzelnen die subjektive Rechtsdurchsetzung ermöglichen.

 

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wird aus Art. 2 Abs. 1 GG (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) und Art. 1 Abs. 1 GG (Würde des Menschen) abgeleitet. Es handelt sich um Richterrecht, das in der Rechtsprechung seine Konkretisierungen gefunden hat. Bislang ist es beispielsweise für Bereiche wie dem (1) Recht am eigenen Bild und Wort, (2) Ehrschutz oder (3) Recht auf informationelle Selbstbestimmung angenommen worden.

Unter die bisher anerkannten Fallgruppen kann die Problematik der Desinformation wohl nicht subsumiert werden. Allein das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt vor informationellen Immissionen, die von außen in die Sphäre des Konsumenten eindringen. Dieses hat jedoch bislang nur etwa in Bezug auf die Kenntnis von der eigenen Abstammung oder persönlichen, genetischen Prädispositionen Anwendung gefunden. Informationen über die Umwelt, die dem Individuum zugetragen werden, sind damit wohl nicht vom Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung umfasst.

Die vorgenannten konkreten Fallgruppen dürfen nicht als abschließend angesehen werden. Eine wichtige Eigenschaft des APR ist seine Entwicklungsoffenheit, die gerade neue Gefahren der modernen Medien zu erfassen vermag. (Di Fabio in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 147)

Um dieser Entwicklungsoffenheit Rechnung zu tragen, muss man einen Schritt Abstand von den ausgearbeiteten Fallgruppen des APR nehmen und allein seinen Schutzzweck betrachten. Das APR soll unter anderem den Schutz der Selbstbestimmung sowie der Grundbedingungen der Persönlichkeitsentfaltung gewährleisten (Di Fabio in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar a.a.O.). Es soll dabei dem Einzelnen gerade die Möglichkeit einräumen, seine Individualität zu entwickeln und zu wahren (BVerfG, Urteil vom 05.06.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202 (220)).

Desinformation verletzt genau diese Kernbereiche. Mit ihrer Hilfe wird in den Meinungsbildungsprozess der Medienkonsumenten eingegriffen. Eine durch Falschnachrichten beeinflusste Weltanschauung erlaubt keine freie Entfaltung der Persönlichkeit oder Individualität. Sie ist Ergebnis von Fremdbestimmtheit und nimmt den Betroffenen gerade die Möglichkeit, ihre Persönlichkeit unbeeinflusst zu entwickeln (Vgl. LG München I, ZUM-RD 1997, 148 (150f); Hackbarth, Christina: Titelsponsoring im Fernsehen (ZUM 1998, 974 (982)).

 

Parallelen zur getarnten Werbung

Der Grundgedanke, dass eine unerwünschte Manipulation von (Medien-)Konsumenten einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen darstellen könnte, ist keine vollkommen neue Überlegung. Besonders im wettbewerbsrechtlichen Problemfeld der getarnten Werbung hat sich der BGH bereits mit dieser Thematik befasst.

Im Jahr 1995 beschäftigte sich der erste Zivilsenat mit der lauterkeitsrechtlichen Bewertung von Schleichwerbung in einem Spielfilm mit dem Titel „Feuer, Eis und Dynamit“ (BGH, Urteil vom 06.07.1995 – I ZR 58/93, GRUR 1995, 744 (748f)). Dabei wog der BGH unter anderem Aspekte der Kunstfreiheit mit solchen des Persönlichkeitsrechts ab. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass das Recht auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG auch als ein Recht auf eine manipulationsfreie Entfaltung zu verstehen sei. Diese manipulationsfreie Entfaltung der Persönlichkeit sei dann nicht gewährleistet, wenn der Verbraucher durch die Tarnung einer Werbemaßnahme über einen für die freie Willensentscheidung maßgebenden Umstand getäuscht werde.

Prof. Dr. Henning-Bodewig schrieb in einer Besprechung dieses Urteils:

„Es ist daher sicher verfassungsrechtlich verboten, den Verbraucher gleichsam wie einen Pawlow’schen Hund zu „konditionieren“, indem dieser durch für ihn nicht erkennbare und daher auch nicht richtig einordbare Werbemaßnahme beeinflußt wird.“ (Henning-Bodewig: Werbung im Kinospielfilm – – Die Situation nach „Feuer, Eis & Dynamit“, GRUR 1996, 321 (323))

Die Vergleichbarkeit von Desinformation und getarnter Werbung drängt sich dabei unweigerlich auf. Die Verbreitung solcher „Fake News“ zielt, ebenso wie getarnte Werbung darauf ab, den Meinungsbildungsprozess der Rezipienten zu manipulieren. Dies geschieht in beiden Fällen, indem die wahre Intention des konsumierten Inhalts verschleiert wird. Die nach außen als objektiv dargestellte Information ist in Wirklichkeit ein künstlich geformtes Instrument, das lediglich der Einflussnahme auf den Konsumenten dient. Damit wird die Weiterentwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit zum Spielball fremder Interessen.

Wie Henning-Bodewig im Kontext der getarnten Werbung kritisierte, kommt es auch hier zu einer Konditionierung der Empfänger. Die Urheber der Desinformation verknüpfen gezielt Personen, Institutionen oder Meinungen je nach Belieben mit negativen oder positiven Assoziationen. Im Unterschied zur getarnten Werbung kommt es den Verbreitern dabei nicht auf eine Absatzsteigerung, sondern vielmehr auf eine Förderung politischer, ideologischer oder sonstiger Ziele an.

 

Parallelen zur unerwünschten Zusendung von Werbung

Nicht nur die getarnte Werbung, sondern auch ­die Problematik der Zusendung unerwünschter Werbung weist Parallelen auf, die eine „analoge Anwendung“ der diesbezüglich herrschenden Rechtsprechung auf das Problemfeld der Desinformation nahelegen.

Im Kontext der unerwünschten Werbung wird ein Unterlassungsanspruch aus einer analogen Anwendung des § 1004 BGB als möglich erachtet, wenn der Adressat unerwünscht zugesandter (Brief-)Werbung nicht mit deren Suggestivwirkung konfrontiert werden möchte. In seiner Entscheidung vom 20.12.1988 stellte der BGH fest:

„Der Wille des Bürgers, insoweit seinen Lebensbereich von jedem Zwang zur Auseinandersetzung mit Werbung nach Möglichkeit freizuhalten, ist als Ausfluss seines personalen Selbstbestimmungsrechts schutzwürdig. Jedenfalls für den Bereich der Privatsphäre setzt sich das Recht des Einzelnen, Aktivitäten entgegenzutreten, die unter gegenständlichem Eindringen in seine Privatsphäre Einfluss auf seine Konsumentscheidungen zu gewinnen suchen, angesichts des Stellenwertes dieses Bereichs für eine individuelle Lebensgestaltung ohne Fremddiktat gegenüber den entgegenstehenden Interessen der Werbewirtschaft grundsätzlich durch.“ (BGH, Urteil vom 20.12.1988 – VI ZR 182/88, NJW 1989, 902 (903))

Da der BGH hier ausdrücklich darauf abstellt, dass physisch in die Privatsphäre eingedrungen wurde, (dasselbe gilt für die Verwendung elektronischer Postfächer durch Direktwerbung in Form von E-Mail-Werbung (BGH, Urteil vom 15.12.2015 – VI ZR 134/15, MMR 2016, 240 (241)) könnte man auf den ersten Blick einen entscheidenden Unterschied zur Problematik der Desinformation sehen.

Anders als bei der vom BGH behandelten Thematik wird Desinformation meist auf Social-Media-Plattformen verbreitet. Da hier gerade der zwischenmenschliche Austausch im Vordergrund steht, findet der Kontakt mit dem betreffenden Inhalt wohl unstreitig in der sozialen Sphäre statt. In diese ist der Konsument freiwillig eingetreten. Eine Verletzung der Privatsphäre durch die Verbreitung von Desinformation scheint damit ausgeschlossen zu sein.

Zentrale Schädigungshandlung ist im Falle der „Fake News“ jedoch nicht die unerwünschte Kontaktaufnahme, sondern die daraus resultierende psychologische Manipulation des Konsumenten der Desinformation. Diese Manipulation dringt im Hinblick auf die, für das APR entwickelte, Sphärentheorie nicht nur in die Sozialsphäre der Adressaten ein. Es bleibt auch nicht bei einer Verletzung der Privatsphäre. Die Manipulation wirkt tiefergreifend. Sie greift in die höchstpersönliche Gedankenwelt, bis hin in das Unterbewusstsein des Adressaten ein und hat so die Macht, dessen Persönlichkeit zu beeinflussen, zu formen und zu verzerren. Ist es bereits zu einer Beeinflussung gekommen, vermag auch ein Rückzug in die Privatsphäre nicht mehr, den bereits erlittenen „Schaden“ zu heilen.

 

Warum ein Erst-Recht-Schluss geboten scheint

Wenn bereits bei einer Manipulation der Kaufentscheidungen der Verbraucher eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts angenommen werden kann, so sollte dies erst recht für solche Eingriffe in die Persönlichkeitsentfaltung gelten, die Folgen für Lebensbereiche mit erheblich größerer Bedeutung haben.

Im Laufe der Zeit kann durch Desinformation die politische und soziale Orientierung unbewusst, beziehungsweise entgegen dem Willen des Individuums, beeinflusst werden. Die damit verknüpften persönlichen Entscheidungen sind von weit größerer Tragweite als die Wahl zwischen Produkten der Marke A oder B.

Wenn Desinformation in der Medizin verbreitet wird, kann dies mittelbar zu gesundheitlichen Schäden bei den beeinflussten Personen führen. Wurde beispielsweise im Laufe der Coronapandemie, eine Präventivmaßnahme (etwa eine Impfung oder das Tragen einer Maske) auf Basis von falschen Behauptungen abgelehnt, konnte es zu schweren Krankheitsverläufen kommen. Das gleiche gilt in ähnlich gelagerten Fällen der Verharmlosung der möglichen gesundheitlichen Folgen einer Ansteckung mit sonstigen Infektionskrankheiten.

Bei jedem Kontakt mit Desinformation kann sich die persönliche Weltanschauung einen Schritt weiter von der objektiven Realität entfernen. Und das nicht nur bei unbedachtem Konsum nicht vertrauenswürdiger Medien. „Desinformation“ ist gerade so gestaltet, dass dem Betrachter der irreführende Charakter möglichst lange verborgen bleibt. Selbst bei einer skeptischen Grundeinstellung, muss sich erst mit dem gegebenen Inhalt auseinandergesetzt werden, um ihn als wahrheitswidrig und manipulativ einordnen zu können. Schon allein deshalb kann sich der unterbewussten Suggestivwirkung nicht vollständig entzogen werden.

Der immer häufiger werdende Kontakt mit Beiträgen derselben Zielrichtung ist dabei maßgebend für den manipulativen Effekt. Die von den Social-Media-Plattformen genutzten Algorithmen tragen ihren Teil dazu bei, indem sie Meinungsblasen/Echokammern begünstigen. Außerdem eignen sich besonders emotional aufgeladene Themen, um eine größtmögliche Reichweite zu erzielen. Diese Umstände machen sich die Verbreiter zunutze und multiplizieren so den Effekt ihrer Desinformationskampagnen.

Wie das anfangs erwähnte Beispiel der AfD-Wahlwerbung zeigt, werden auch die Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz das Problem weiter intensivieren. Künstliche Intelligenz wird es immer einfacher machen, nicht nur falsche Behauptungen in Textform aufzustellen, sondern auch gefälschte Bilder, Stimmen und Videos zu generieren. Dazu sind keine besonderen technischen Kenntnisse nötig. Mit Hilfe weniger Schlagworte können Inhalte mit beliebigem Informationsgehalt erstellt werden. Die freie Persönlichkeitsentfaltung ist damit wachsenden Gefahren ausgesetzt. Um diesen Gefahren entgegenzutreten und um Rechtssicherheit zu schaffen, wird es künftig angezeigt sein, die konkretisierten Fallgruppen des APR, um ein Recht auf Manipulationsfreiheit zu erweitern (So auch: Kevekordes in: Handbuch Multimedia-Recht, Teil 29.1, KI im Überblick, Rn. 44-46.). Wie ein solches konkret auszugestalten ist, wird dabei noch zu klären sein.

Maximilian Hauser ist Student der Rechtswissenschaft an der Universität Regensburg. Im Rahmen seines Schwerpunktstudiums im Bereich „Wirtschaftsrecht“ beschäftigt er sich vertieft mit dem Unlauterkeits- und Kartellrecht. Sein besonderes Interesse gilt der Bekämpfung von Manipulation und Desinformation in der Werbewirtschaft, aber auch darüber hinaus.

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