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Auch downgeloadete Software ist erschöpft

avatar  Helmut Redeker

Zu der lange umstrittenen Frage des Gebrauchtsoftwarehandels hat der EUGH am heutigen Tag eine klare Entscheidung gefällt (EuGH, Urt. v. 3.7.2012 – C-128/11, UsedSoft v. Oracle):

Reichweite der Erschöpfung

Das Erschöpfungsrecht an urheberrechtlich geschützter Software erschöpft sich auch dann, wenn die Software nur downgeloadet wird. Noch mehr: Der Erschöpfungsgrundsatz gilt auch dann, wenn die weitergegebene Software nicht etwa die ursprünglich downgeloadete Software ist, sondern eine solche, die Rahmen von Pflege verbessert und geändert worden ist. Dieser zusätzliche Grundsatz gilt auch für mit Datenträgern übermittelte Software. Wer einmal ein Werkexemplar einer Software erworben hat, kann dieses Werkexemplar weitergeben. Voraussetzung ist nur, dass er selbst alle von ihm genutzten Exemplare dieser Software löscht. Es nützt dem Hersteller auch nichts, wenn er den Erwerb einer Nutzungslizenz vom Download trennt: Dies wird europarechtlich als einheitlicher Kauf angesehen. Der Erschöpfungsgrundsatz greift ein. Faktisch kann man – ohne dass dies der EuGH klar ausführt – sagen: Der Erschöpfungsgrundsatz gilt bei downgeloadeter Software für das virtuelle Werkstück, das der Ersterwerber gekauft hat. Dieses ist Gegenstand des Handels. Dieses erschöpft sich. Die Anknüpfung an ein konkretes körperliches Werkstück entfällt.

Kein Aufspalten von Lizenzen

Nicht erlaubt ist das Aufspalten von Softwarelizenzen. Wer eine Vielfalt von Lizenzen gekauft hat und diese anschließend aufsplittet, weil er sie nicht alle braucht, handelt ohne Zustimmung des Rechtsinhabers rechtswidrig. Auch muss der Veräußerer mit Veräußerung des Werkstücks alle bei ihm vorhandenen Kopien löschen.

Schuldrechtliche Weitergabeverbote unwirksam

Ein Weitergabeverbot in Softwarekaufverträgen ist damit praktisch unwirksam.

Das Verbreitungsrecht umfasst zwar nicht das Vervielfältigungsrecht. Die Softwareschutz-Richtlinie erlaubt jedoch jede Vervielfältigung, die für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms durch den rechtmäßigen Erwerber notwendig ist. Dazu gehört auch die Anfertigung von Kopien durch Erwerber, wenn er sie für seine Nutzung benötigt und zwar auch durch Download vom Hersteller. Der Geschäftsmodell von Used Soft wird damit voll bestätigt.

Dies zeigt deutlich: Bei der Erschöpfung geht es nach Meinung des EuGH nur noch um eine Erschöpfung bzgl. eines virtuellen Gegenstand, nämlich an dem Werk, an dem ein Nutzungsrecht erworben ist, und zwar in seiner von der Erstverkörperung völlig unabhängigen aktuell gebrauchen Realisierung. Rechtlich wird damit downgeloadete Software mit solcher gleichgestellt, die auf Datenträger verkauft wird. Der virtuelle Handel wird genauso behandelt wie der analoge Handel. Begründet wird dies alles damit, dass bei der Erstveräußerung ein Entgelt gezahlt worden ist, das die Rechte auf Dauer überträgt. Ökonomisch ist diese Argumentation schwer zu widerlegen. Die faktische Virtualisierung des Werkstücks entspricht der immer mehr digitalisierten Welt (siehe Ulmer/Hoppen, „Was ist das Werkstück des Software-Objektcodes?“, CR 2008, 681). Die Softwareindustrie wird sich auf die entsprechenden Regelungen einstellen müssen.

Offen gebliebene Fragen:

Trotz der klaren Entscheidung bleiben einige Fragen offen:

Anknüpfungspunkt der Erschöpfung?  In der Begründung des EuGH bleibt eigentlich ziemlich unklar, an welchem Gegenstand die Erschöpfung wirklich eintritt. Im Ergebnis kann dies nur das erworbene, rein virtuelle Werkstück sein, auf das oben abgestellt wird. Dennoch führt dies der EuGH nicht genau aus. Deswegen bleibt auch unklar, was bei einer Übertragung geschehen darf, bei der der (Zweit-)Erwerber die aktuelle Software nicht vom Hersteller herunterladen kann:

  • Darf dann der Veräußerer eine zur Veräußerung bestimmte Kopie anfertigen – womöglich als berechtigter Nutzer im Sinne der Softwareschutzrichtlinie?
  • Darf dies der Erwerber, ähnlich wie er ja die Kopie vom Hersteller herunterladen kann?

Diese Fragen mussten angesichts der Praxis von Used Soft nicht beantwortet werden. Sie werden aber in Zukunft beantwortet werden müssen. Jedenfalls die zweite Frage müsste klar bejaht werden. Es ist nicht einzusehen, dass der Erwerber die Kopie vom Hersteller downloaden kann, nicht jedoch vom Veräußerer. Ökonomisch macht es dann auch keinen Sinn, die erste Frage zu verneinen – vorausgesetzt, der Veräußerer löscht alle sonstigen Kopien.

Übertragbarkeit der entwickelten Grundsätze?  Offen bleibt auch, ob die hier genannten Grundsätze auch für andere virtuelle Güter als Software gelten. Die Entscheidung des EuGH bezieht sich deutlich auf die Softwareschutzrichtlinie und dürfte daher für andere Werke als Software nicht gelten. Ob dies ökonomisch und technologisch sinnvoll ist, wird eine Frage der Zukunft sein.

Erstes Fazit

Die Entscheidung des EuGH sorgt dennoch weitgehend für klare Verhältnisse im Sinne der Nutzer von Software. Für Urheberrechtler ist sie allerdings fast eine Revolution, weil die Anknüpfung des Erschöpfungsgrundsatzes an ein physikalisches Werkstück entfällt. Historisch gesehen war allerdings die Einführung des Erschöpfungsgrundsatzes vermutlich eine ähnliche Revolution.

 

Ein Kommentar

  1. Veröffentlicht 4.7.2012 um 12:09 | Permalink

    Die Revolution kommt diesmal von oben. Reicht das?

    Ja, ich bewerte die Entscheidung zwar als überfällig, aber doch auch als ungewöhnlich. Dazu gibt es mehrere Gründe:

    1. Das Thema „gebrauchte Software“ wurde bisher von der Justiz nach älteren Gesetzen abgeurteilt. Oftmals hatte man es sich einfach gemacht, ohne das nötige Bestreben zu zeigen, zumindest die Auslegung der Gesetze an die gesellschaftliche und wirtschaftliche Realität anzupassen. Es fällt mir positiv auf, dass die Richter eine Gruppe von Verbrauchern schützt, deren Interessen bisher unangemessen wenig vertreten wurden. Wenn das den europäischen Gedanken von Freiheit widerspiegelt, dann sind wir auf dem richtigen Weg und brauchen Unterstützung von allen gesellschaftlichen Gruppen.

    2. Über die Lobby-Arbeit der Beteiligten gibt es wenig Öffentliches. Im Gegensatz zu den Vertretern der Softwareanwender traue ich allerding den Herstellern nachhaltigere Aktivitäten zu. Ich muss mir nur die Strafzahlung in Höhe von 860 Millionen Euro an die EU betrachten; vermutlich gibt es Leute, die Gründe für jährliche Zahlungen bereit halten. An dieser Stelle hinterfrage ich die Positionen von Irland, Frankreich, Spanien und Italien. Warum sind diese Regierungen in diesem Verfahren vor dem EuGH aktiv vertreten?

    3. Die Anwendung des Urheberrechts ist bei der Beurteilung nicht ausreichend. Dies Urteil wird nicht der Tatsache gerecht, dass Softwarehersteller keine normalen Lieferanten sind. Nicht nur, dass für bestimmte wesentliche Anwendungen ein Hersteller eine quasi Monopolstellung innehat, auch steigt die Abhängigkeit der Softwareanwender proportional zur Investitionssumme. Wir können deshalb annehmen, dass besonders die nicht privaten Softwareanwender sich den Vorgaben verschiedener Softwarelieferanten ohne nennenswerten Protest beugen müssen.

    4. Das Urteil greift nicht weit genug. Es kann an der Fragestellung des BGH liegen. Trotzdem fällt die Entscheidung zum Splitten von Volumenlizenzen auf. Ob bei Zahnpasta, Fernsehern oder Kartoffeln – der Großhandel erfüllt seine Aufgabe zum Wohle auch des Wettbewerbs. Warum werden die Softwarehersteller davor beschützt?

Ein Trackback

  1. […] Einschätzung des Kollegen Redeker (lesen!) […]

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