Das aktuelle EuGH-Urteil zu gebrauchter Software (EuGH, Urt. v. 3.7.2012 – C-128/11, CR 2012, 498) ist auf den ersten Blick auch auf elektronisch gespeicherte Musik, Filme und Bücher übertragbar. Aus grundsätzlicher urheberrechtlicher Sicht scheint es tatsächlich keinen Unterschied zwischen einer Oracle-Datenbanksoftware und einem bei Amazon durch Einmalzahlung für unbegrenzte Zeit erworbenen Roman zu geben (siehe Kreutzer, „EuGH-Urteil zu Gebrauchtsoftware: Eine revolutionäre Entscheidung für die Informationsgesellschaft“, iRights.info v. 4.7.2012). Ob tatsächlich in beiden Kategorien Erschöpfung eintritt, sei der juristischen Diskussion vorbehalten. Im Folgenden werden kurz wesentliche Unterscheide in der Technik und im Nutzerverhalten dargestellt. Insbesondere das unterschiedliche Nutzerverhalten könnte bei einer Anwendung des EuGH-Urteils auf eBooks zu großen Problemen für Verlage und Autoren führen.
Technische Unterschiede zwischen Software und eBooks
Aus technischer Sicht ist ein eBook eher mit einer HTML-Seite vergleichbar, da es sich im Wesentlichen um Text mit Formatierungsanweisungen und Grafiken handelt. Statt eines „Browsers“ wie bei HTML-Seiten verwendet man bei einem eBook einen eBook-Reader bzw. eine spezielle Software auf einem Tablet oder Mobiltelefon, um die Inhalte sichtbar zu machen. HTML-Seiten sind nach Auffassung deutscher Gerichte (z.B. OLG Rostock, Besch. v. 27.6.2007 – 2 W 12/07, CR 2007, 737 = ITRB 2007, 249 (Wolff) zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit suchmaschinenoptimierter Webseiten) keine Computerprogramme, so dass eine direkte Anwendbarkeit des Urteils (das sich nur auf Computerprogramme bezieht) nicht wahrscheinlich erscheint.
Unterschiede im Nutzerverhalten
Die wirklich kritischen Unterschiede liegen jedoch meines Erachtens im Nutzerverhalten: Eine Oracle-Datenbank wird üblicherweise nicht wie ein Roman in zwei Wochen (im Urlaub auch mal schneller) fertig gelesen und dann meistens nicht mehr weiter betrachtet. eBooks sind im Bücherschrank zudem auch nicht sonderlich dekorativ, so dass eine dauerhafte Rolle als Gegenstand der Inneneinrichtung eher nicht in Frage kommt. Hinzu kommt, dass man eBooks beim Weiterverkauf nicht erst mühsam zur Post schleppen muss, sondern mit einem (patentierten?) Klick ohne Portokosten an den neuen Eigentümer verschicken kann. Und außerdem findet man bei gebrauchten eBooks üblicherweise keine Brotkrümel zwischen den Seiten.
Konsequenz: Potential für Sekundärmarkt
Kurzum: eBooks haben eigentlich großes Potential, Gegenstand eines Sekundärmarkts zu werden, in dem eine gekaufte Erstkopie in kürzester Zeit über Plattformen im Internet eine Vielzahl von (sequentiellen) Gebrauchtkäufern findet. Über den dabei jeweils erzielbaren Preis kann man nur spekulieren – fest steht nur, dass die Erlöse dieses Sekundärmarktes nicht dem Buchhandel oder den Autoren zufließen würden. Im Extremfall würden bei der Neuerscheinung eines Buches nur noch vielleicht genau die 1023 unverbesserlichen Harry-Potter-Fans, die keine zwei Wochen auf die ersten Gebraucht-eBooks warten wollen, eine Erstkopie erwerben und diese dann sofort nach dem Lesen in den Sekundärmarkt verkaufen. Dieses (vielleicht übertriebene) Szenario wäre eine wirtschaftliche Katastrophe für Autoren und Verlage.
Ich bin gespannt, welche technischen oder rechtlichen Lösungen für dieses Problem gefunden werden, falls das EuGH-Urteil in der Praxis tatsächlich auch auf elektronisch erworbene eBooks, Filme und Musik angewandt wird.